Parlamentskorrespondenz Nr. 1472 vom 15.12.2022

Nationalrat: Entschließung zum Holodomor in der Ukraine

Abgeordnete setzen sich außerdem gegen Menschenrechtsverletzungen im Iran und Verfolgung von Minderheiten ein

Wien (PK) – Mit mehreren Entschließungen setzte der Nationalrat heute Zeichen in Menschenrechtsangelegenheiten. So fassten die Abgeordneten etwa einstimmig eine Entschließung zum Holodomor in der Ukraine und zur Verurteilung von Hunger und Mangel als Kriegswaffe. Mit breiter Mehrheit wird auch die Gewalt an Frauen sowie gegenüber friedlich Demonstrierenden im Iran verurteilt. Außerdem setzen sich die Mandatar:innen gegen die Verfolgung ethnischer, kultureller und religiöser Minderheiten sowie konkret gegen die Verfolgung von Christ:innen ein.

Hunger und Mangel als Kriegswaffe werden verurteilt

In Erinnerung an den sogenannten Holodomor in der Ukraine sprachen sich die Abgeordneten mittels Entschließungsantrag einstimmig dafür aus, dass Hunger und Mangel nicht als Kriegswaffe eingesetzt werden. Der Holodomor war ein von der Sowjetunion unter Stalin systematisch provozierter Hungermord vor 90 Jahren, der in der Begründung des Antrags als "schreckliches Verbrechen" verurteilt wird. Hunger und Mangel dürften nicht als Waffe gegen die Zivilbevölkerung oder als ein Druckmittel gegen Regierungen eingesetzt werden, heißt es m Antrag, in dem auch das aktuelle Vorgehen Russlands kritisiert wird.

Wer die Geschichte nicht kenne, verstehe auch die Gegenwart nicht, zeigte sich Gudrun Kugler (ÖVP) überzeugt. Der Antrag ziehe eine Parallele von der Geschichte zur Gegenwart und sei ein kleiner Beitrag dazu, dass solche Verbrechen nicht wieder vorkommen. Kugler verwies auch auf die Debatte im Europäischen Parlament, das heute den Holodomor als Genozid eingestuft hat. Auch Susanne Fürst (FPÖ) betonte, dass man nur mit Wissen über die Geschichte die Konflikte von heute verstehen könne. Den "Mord durch Hunger", wofür Holodomor steht, habe Stalin künstlich und barbarisch herbeigeführt. Durch den aktuellen Krieg zwischen Russland und der Ukraine erlange das Thema eine besondere Brisanz.

Robert Laimer (SPÖ) bezeichnete den Holodomor als eine der größten humanitären Katastrophen des 20. Jahrhunderts. Auch aktuell sei menschenverachtende Kriegsführung für die Zivilbevölkerung in der Ukraine bittere Realität, so Laimer. Von der aktuellen Situation in der Ukraine berichteten unter anderem Ewa Ernst-Dziedzic (Grüne), Helmut Brandstätter (NEOS) und Wolfgang Gerstl (ÖVP), die als Mitglieder der Bilateralen Parlamentarischen Gruppe Österreich-Belarus, Moldau, Ukraine kürzlich vor Ort im Kriegsgebiet waren. Was der Diktator Stalin begonnen habe, wolle der Diktator Putin nun vollenden, sagte Brandstätter etwa. Er berichtete, dass mittlerweile rund 24.000 Fälle von Kriegsverbrechen dokumentiert und nachgewiesen seien.

Auch Ernst-Dziedzic zog eine Parallele von der Geschichte zur Gegenwart und nannte Putin den "neuen Stalin". Aus ihrer Sicht sei der Holodomor historisch-politisch gesehen ein Völkermord gewesen. Man habe im Antrag um Worte gerungen, aber das Verständnis, dass es sich um ein Verbrechen handle, sei ein gemeinsames, sagte sie. Die Verurteilung als Völkermord kommt im Antrag nicht vor. Auch Martin Engelberg (ÖVP) meinte, es liege aus heutiger Perspektive nahe, von einer historisch-politischen Einordnung des Holodomor als Völkermord zu sprechen. Nikolaus Scherak (NEOS) fand den Antrag zwar positiv, sprach sich aber dafür aus, den Holodomor "als das zu bezeichnen, was er war, nämlich als Völkermord".

Einsatz gegen Gewalt an Frauen und Demonstrierenden im Iran

Mit breiter Mehrheit verurteilten die Abgeordneten mittels Entschließung die Gewalt gegen Frauen im Iran. Sie ersuchen die Regierung, auf internationaler Ebene generell gegen sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt aufzutreten. Eine weitere mehrheitlich gefasste Entschließung beklagt die unverhältnismäßige Anwendung von Gewalt gegenüber friedlich Demonstrierenden im Iran. Die Abgeordneten drängen dabei auf transparente Untersuchungen. Auch für eine umgehende und bedingungslose Freilassung aller willkürlich inhaftierten Demonstrierenden und politisch Gefangenen, für eine Rechenschaftspflicht der Verantwortlichen, für die Abschaffung der Todesstrafe sowie ein Ende der Verfolgung von Minderheiten im Iran soll sich die Regierung einsetzen.

Martin Engelberg (ÖVP) begrüßte Vertreter:innen der iranischen Exil-Community, die während der Debatte im Saal anwesend waren. Er sicherte ihnen Unterstützung zu und sprach sich ebenso wie Harald Troch (SPÖ) und Ewa Ernst-Dziedzic (Grüne) dafür aus, die Iranische Revolutionsgarde auf die EU-Terrorliste zu setzen. Troch forderte zudem, dass Iraner:innen und Österreicher:innen mit iranischen Wurzeln hier im Land vor Bespitzelung und Überwachung durch Regime-Anhänger:innen geschützt werden. Ernst-Dziedzic unterstrich die Forderung nach scharfen Sanktionen gegen Regimeunterstützer. Auch Angela Baumgartner (ÖVP) sprach sich dafür aus. Speziell auf die Situation von Frauen gingen Henrike Brandstötter (NEOS), Melanie Erasim (SPÖ) und Romana Deckenbacher (ÖVP) ein. Sie zeigten sich an der Seite der Kämpfer:innen für Frauenrechte im Iran.

Auch seine Fraktion verurteile die Menschenrechtsverletzungen im Iran, insbesondere gegenüber Frauen, betonte Axel Kassegger (FPÖ). Er sei jedoch gegen Sanktionen, weil diese die Bemühungen um das Atomabkommen sowie das Ziel, Wien als Standort für internationale Verhandlungen zu etablieren, konterkarieren würden.

Dem widersprach Außenminister Alexander Schallenberg. Nicht der Westen habe die Türen zugeschlagen, sondern der Iran habe sich abgewendet, sagte er. Der Iran sei momentan auf Konfrontationskurs mit dem Westen und mache sich zum Handlanger Russlands im Krieg gegen die Ukraine. Vor diesem Hintergrund bezeichnete er es als völlig richtig, dass ein drittes Sanktionspaket von der EU geschnürt wurde. Selbstverständlich gebe es immer die Möglichkeit, zu einem Dialog zurückzukehren und Sanktionen aufzuheben. Der Ball liege hier aber alleine in den Händen des Regimes in Teheran.

Regierung soll sich gegen Verfolgung von Minderheiten einsetzen

In einer weiteren mehrheitlich gefassten Entschließung zeigen sich die Abgeordneten besorgt über Berichte von zivilgesellschaftlichen Organisationen und Menschenrechtsexpert:innen, wonach die Einschränkung der Religionsfreiheit und die Verfolgung religiöser Minderheiten weltweit alarmierend ansteigen. Sie fordern die Regierung daher auf, sich auf EU-, bilateraler und multilateraler Ebene weiterhin gegen die Verfolgung ethnischer, kultureller und religiöser Minderheiten einzusetzen.

Ein zusätzlicher, im Zuge der Debatte von Susanne Fürst (FPÖ) eingebrachter Entschließungsantrag wurde einstimmig angenommen. Darin wird die Regierung aufgefordert, sich auf nationaler und internationaler Ebene gegen die Verfolgung von Christ:innen einzusetzen. Es gehe ihrer Fraktion darum, das Kind beim Namen zu nennen, sagte Fürst. Den Freiheitlichen sei der ursprüngliche Antrag nicht konkret genug gewesen, außerdem liegen ihnen die Christ:innen besonders am Herzen, begründete sie den Antrag.

Auch Gudrun Kugler (ÖVP) zeigte sich besonders besorgt über die Situation von Christ:innen in einigen Regionen der Welt, etwa in Nicaragua und in Nigeria. Ewa Ernst-Dziedzic (Grüne) thematisierte Angriffe auf Kurd:innen, syrische Christ:innen und andere Minderheiten in Nordost-Syrien. Reinhold Lopatka (ÖVP) betonte, weltweit würden Verstöße gegen das Menschenrecht auf Glaubens- und Religionsfreiheit zunehmen. Es gebe Islamophobie und Antisemitismus und Europa, man sehe aber auch eine zunehmende Verfolgung von Christ:innen. Von der SPÖ unterstützten Petra Wimmer und Petra Oberrauner das Anliegen im Sinne eines klaren Bekenntnisses zu Menschenrechten. (Fortsetzung Nationalrat) kar

HINWEIS: Sitzungen des Nationalrats und des Bundesrats können auch via Livestream mitverfolgt werden und sind als Video-on-Demand in der Mediathek des Parlaments verfügbar.