Parlamentskorrespondenz Nr. 216 vom 01.03.2023

Vollzeitarbeit: Kocher will attraktive Rahmenbedingungen schaffen

Arbeitsminister und Nationalrat diskutieren in Aktueller Stunde Arbeitsmarktpläne

Wien (PK) – Auf Verlangen der NEOS wurde heute die von Wirtschafts- und Arbeitsminister Martin Kocher medial angestoßene Debatte über Teilzeitarbeit in den Nationalrat geholt. "Der Beitrag der arbeitenden Menschen in Österreich muss sich wieder lohnen - Vollzeitbonus und Entlastung jetzt umsetzen, Herr Arbeitsminister" lautete der Titel der Aktuellen Stunde, bei der Kocher seinen Entschluss bekräftigte, Vollzeitanstellungen attraktiver machen zu wollen. Neben der Arbeitsmarktpolitik seien dazu auch gesundheitspolitische und bildungspolitische Weichen zu stellen, etwa mittels Ausbau von Pflegeeinrichtungen und ganztägiger Kinderbetreuung.

Die NEOS stimmen insofern mit dem Arbeitsminister überein, als dass sie die Notwendigkeit attraktiverer Rahmenbedingungen für Vollzeitarbeitende betonen. Die pinke Fraktion wirft der Bundesregierung allerdings vor, bei der Schaffung entsprechender Angebote wie einer bundesweit ausgebauten Kinderbetreuung säumig zu sein. Ein diesbezüglicher Antrag wurde von den NEOS angekündigt, ebenso wie ein Antrag auf einen Vollzeit-Bonus von 100 € monatlich unabhängig vom Gehalt. ÖVP und Grüne rechneten den NEOS bereits heute vor, dass ein derartiger Bonus bis zu 4 Mrd. € monatlich kosten würde, wobei die Volkspartei die fragliche Gegenfinanzierung, ihr Koalitionspartner fehlende Verteilungsgerechtigkeit ins Treffen führte. Anlässlich des heutigen "Equal Care Day" forderten die Grünen vor allem eine gerechtere Aufteilung von unbezahlter Arbeit, also von den meist durch Frauen erbrachten Betreuungs- und Pflegeaufgaben daheim.

Für die ÖVP hat die Behebung des Arbeitskräftemangels in Österreich oberste Priorität zum Erhalt der Wirtschaftsleistung und somit des Sozialsystems, für die SPÖ dagegen die Dämpfung der Inflation, um die Konsumkraft zu erhalten. Die FPÖ ortet das Grundproblem für den heimischen Wohlfahrtsstaat in der Zuwanderungspolitik der letzten Jahrzehnte, die der österreichischen Bevölkerung zum Nachteil gereiche.

NEOS: Leistungserbringung muss attraktiver werden

"In einer Zeit von so vielen Krisen muss unser Anspruch sein, Österreich wieder an die Spitze zu bringen", unterstrich NEOS-Klubobfrau Beate Meinl-Reisinger in Hinblick auf die wirtschaftlichen Voraussetzungen für einen funktionierenden Sozialstaat. "Der Blick auf die arbeitenden Menschen" gehöre geschärft, nachdem diese Gruppe durch das Krisenmanagement der Bundesregierung völlig im Stich gelassen worden sei. Das Regierungsmotto "koste es, was es wolle", schlage teuer zu Buche, warnte Meinl-Reisinger, zumal die Hilfen nicht sozial ausgewogen verteilt würden. Der Mittelstand, der sich durch eigene Arbeit etwas aufbauen wolle, leide darunter. Die "Gießkannenpolitik" führe überdies zu einer "galoppierenden Inflation" von mehr als 11 %. Meinl-Reisinger zufolge liegt dieser Wert weit über jenem des Euroraums von etwa 8 %. Sogar ohne der Energiepreise liege Österreich bei der Inflation weit über dem europäischen Durchschnitt. Von Lebensmitteln bis zu Mietpreisen würde diese Teuerung die Menschen belasten. Die Steuer- und Abgabenlast sei mit 48 % in Österreich so hoch wie kaum in einem anderen Land.

Angesichts der bestehenden Probleme verstand Meinl-Reisinger die vom Minister begonnene Teilzeitdebatte, sie hinterfragte aber die Vorgangsweise. Tatsächlich liege das Problem nicht am grundsätzlichen Unwillen von Teilzeitarbeitenden, Vollzeit zu arbeiten, sondern an den Rahmenbedingungen, meinte sie. Die Steuerbelastung für Vollzeitarbeit sei viel zu hoch. Teilzeitarbeitende dürften jedoch nicht durch Leistungskürzungen bestraft werden, vielmehr sollte man Vollzeitarbeitende durch eine Steuergutschrift von 100 € monatlich belohnen. Gerald Loacker (NEOS) fügte an, die Vorteile der Teilzeit lägen vor allem auf der Beitragsseite, zum Nachteil der Vollzeitbeschäftigten, weswegen junge Menschen sich nichts mehr aufbauen könnten. Neben einem Vollzeitbonus brauche es auch eine steuerliche Entlastung der Überstunden.

Weiters fordern die NEOS eine flächendeckende Kinderbetreuung mit Rechtsanspruch ab dem ersten Geburtstag des Kindes, wie Julia Seidl (NEOS) darstellte. Die Verantwortung, dafür die Weichen zu stellen, liege bei der Bundesregierung. Diese solle zumindest Unternehmen finanziell dabei helfen, entsprechende Angebote für die Mitarbeiter:innen umzusetzen, falls der mit Ländern und Gemeinden abzuwickelnde Kindergartenausbau stockt.  

Kocher: Ein Drittel arbeitet freiwillig Teilzeit

Arbeitsminister Kocher betonte, die Ankurbelung der Vollzeitarbeit sei ein "entscheidendes Thema für die Zukunft" des österreichischen Sozialstaats. In den letzten zehn bis zwanzig Jahren habe man jährlich rund 50.000 zusätzliche unselbständige Beschäftigte registriert, viele davon teilzeitbeschäftigt. Dieser Zuwachs an Beschäftigten habe Österreich Wohlstand gebracht. Wert legte Kocher darauf, zwischen den unterschiedlichen Gründen für Teilzeitarbeit zu unterscheiden. Während zwei Drittel wegen Betreuungspflichten, aufgrund gesundheitlicher Ursachen oder mangels Angebots nicht mehr Stunden arbeiten könnten, würde etwa ein Drittel der Teilzeitbeschäftigten sich "freiwillig" gegen Vollzeitarbeit aussprechen.

Angesichts der Pensionierungswelle der nächsten Jahre werde aber der Beschäftigtenzuwachs bald abflachen, bereits jetzt gebe es rund 111.000 offene Stellen. Da die sozialen Systeme abhängig von Beitragseinnahmen seien, müssten nun "möglichst viele Potentiale für den Arbeitsmarkt" gehoben werden, durch steuerliche Maßnahmen, Leistungen und eine geeignete Infrastruktur. Es gehe nicht darum, jemanden zu "bestrafen", betonte Kocher, sondern den Grundsatz zu stärken "Wenn man arbeitet, kann man sich was leisten". Dem von den NEOS angedachten Vollzeitbonus erteilte er dabei aus Finanzierungsgründen eine Absage, die Kosten von insgesamt 4 Mrd. € monatlich seien bei gleichzeitiger Steuersenkung nicht leistbar. Von den Unternehmen und Kollektivpartnern erwartet der Arbeitsminister, Ausschreibungen von Teilzeitstellen zurückzufahren.

ÖVP: Systemerhalt erfordert mehr Arbeitskräfte

Österreich erlebe derzeit mit fast vier Millionen unselbständig Beschäftigten eine "Rekordbeschäftigung" und das Wirtschaftswachstum liege bei 5 %, verbat sich ÖVP-Klubobmann August Wöginger, den heimischen Lebensstandard schlecht zu reden. Ein großes Problem für die Wirtschaft sei aber der Arbeitskräftemangel, so Wöginger unisono mit Maria Theresia Niss (ÖVP), die vor diesem Hintergrund den Vorstoß für eine 4-Tage-Woche klar ablehnte. Beitragssenkungen, der Anreiz für Überstunden und die Erleichterung des Zuzugs von Fachkräften seien vielmehr notwendig, ebenso wie vermehrte Anreize zur Vollzeitarbeit. Anders lasse das österreichische Sozialmodell sich nicht erhalten.

Wie Wöginger sprach sich Niss daher für einen Ausbau der Kinderbetreuung aus, wie er auf Bundesseite bereits mit 1 Mrd. € angestoßen worden sei. Wöginger gab wiederum zu bedenken, bei Betreuungspflichten würden sich Menschen oft bewusst für Teilzeitarbeit entschieden, diese "Wahlfreiheit" dürfe man ihnen nicht nehmen. Natürlich sei "Teilzeit eine Pensionsfalle", darauf habe die Politik bzw. Sozialversicherung hinzuweisen, genauso wie auf die finanziellen Vorteile eines längeren Verbleibs im Berufsleben. An die NEOS gerichtet, hielt Wöginger fest, dank der bereits erfolgten Senkung von Steuersätzen und der Abschaffung der kalten Progression zahle es sich sehr wohl schon jetzt aus, Vollzeit zu arbeiten. Für Familien habe die Regierung außerdem mit dem Familienbonus eine deutliche Entlastung geschaffen, plädierte der ÖVP-Politiker dafür, Menschen zu motivieren, Kinder zu bekommen.

SPÖ: Teuerung würgt das Sozialsystem ab

Die Inflation rückte SPÖ-Klubobfrau Pamela Rendi-Wagner ins Zentrum ihrer Rede, und zwar in Verbindung mit der SPÖ-Forderung nach einer Mietpreisbremse. Da sich die Koalitionsparteien darüber nicht einig geworden seien, hätten Mieter:innen ab 1. April 2023 mit mehr als 8 % zusätzlichen Mietkosten zu rechnen. Anstatt die Teuerung "nachhaltig" in den Griff zu bekommen, schütte die Regierung wahllos Steuergeld als "Einmalzahlungen und Boni" aus, prangerte sie an. Das Ergebnis dieser Mittelausschüttungen sei ein "enormer Schuldenberg". In diesem Zusammenhang mit der Streichung von Familienleistungen zu drohen, sei unhaltbar. Offenbar habe Kocher der "Widerstand der Gewerkschaft und der Opposition" überrascht, meinte Rendi-Wagner, als er "Frauen und Kindern" habe Leistungen streichen wollen. Dabei bräuchten Frauen "echte Chancen", um Vollzeit zu arbeiten, nannte die Sozialdemokratin konkret ganztätige Kindergartenplätze und Schulformen.

Josef Muchitsch (SPÖ) forderte ebenfalls mehr Aktivitäten von der Bundesregierung, die Inflation zu bekämpfen. Die Armutsrate im Land steige, wodurch der Konsum abnehme, so Muchitsch. Laut Prognosen werde der sinkende Konsum zu einem Ende des Wirtschaftswachstums führen.

FPÖ: Regierung arbeitet zum Nachteil der Bevölkerung

Im Vorfeld der Kärntner Landtagswahl am 5. März 2023 ließ Erwin Angerer (FPÖ) kein gutes Haar an der Regierungspolitik. So warf er der Regierung "Wohlstandsraub" vor und verwies dazu auf Corona-, Klima- und Russlandpolitik. Vollzeitarbeitende Menschen kämen mit dem Geld am Ende des Monats nicht mehr aus, stellte er fest, "das ist Politik à la ÖVP und Grüne". Die einzige Partei, die dagegenhalte, sei die FPÖ. Als "große Gewinner" dieser Politik bezeichnete er neben den Wirtschaftsmächten USA und China auch den österreichischen Finanzminister, der letztes Jahr 10 Mrd. € mehr Steuereinnahmen gesehen habe. Angesichts der Teuerung bei Wohnen und Energie von Entlastung zu reden, sei eine "Verhöhnung" der Bevölkerung. Am meisten belastet würden Menschen mit einem Durchschnittsgehalt zwischen 16.000 € und 30.000 € pro Jahr. Der Vorstand des Kärntner Energiedienstleisters KELAG verdiene monatlich mehr: "Das ist schäbig gegenüber der eigenen Bevölkerung", protestierte Angerer.

Österreichs Sozialsystem sei bereits kollabiert, konstatierte Peter Wurm (FPÖ), und zwar wegen einer jahrzehntelangen "unqualifizierten Zuwanderung". Gehe es nach der Regierung ,sollten nun teilzeitarbeitende Alleinerzieherinnen die Sozialleistungen für "Asylanten" zahlen, meinte Wurm und unterstrich, ein derartiges Vorgehen entspreche nicht der "sozialen Gerechtigkeit" für Österreicher:innen.

Grüne: Gerechtere Verteilung bezahlter und unbezahlter Arbeit

Die Situation der Betroffenen zu verbessern, ist für Markus Koza (Grüne) der Kern in der Debatte Teilzeit versus Vollzeit. Dringenden Handlungsbedarf machte er vor allem bei Frauen aus, für die vielfach die Teilzeitarbeit eine "Normalität im Arbeitsalltag" darstelle. Im dritten Quartal 2022 hätten in Österreich von ca. 3,8 Mio. Beschäftigten, 29,9 % Teilzeit gearbeitet, aber der weibliche Anteil von Teilzeitbeschäftigten habe im gleichen Zeitraum bei über 50 % gelegen, da die Rahmenbedingungen häufig keine andere Arbeitsform zuließen. Ein Ausbau von Pflegeeinrichtungen und Kinderbetreuung sei daher hoch an der Zeit.

Einem weiterhin konservativ ausgerichteten Gesellschaftsgefüge schrieb Koza den Umstand zu, dass zwei Drittel der unbezahlten Arbeiten daheim weiterhin von Frauen erbracht würden. Ähnlich wie in Dänemark könne eine generelle Angleichung der Arbeitszeiten aller Beschäftigten für eine gerechtere Verteilung der unbezahlten Arbeit zwischen Männern und Frauen sorgen, empfahl er. Den von NEOS vorgeschlagenen "Vollzeitbonus" nannte seine Fraktionskollegin Meri Diskoski "zynisch", da er von teilzeitarbeitenden Frauen, die immer noch einen Großteil der Care-Arbeit im Land schultern würden, mitfinanziert werde. Generell kritisierte sie an der Teilzeitarbeit-Diskussion, der Fokus dabei liege auf kinderlosen Männern im Arbeitsleben, die verteilungspolitisch profitieren würden. Der FPÖ richtete sie aus, die Regierung hege keinerlei Pläne, Sozialleistungen zu kürzen. (Fortsetzung Nationalrat) rei

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