Parlamentskorrespondenz Nr. 217 vom 01.03.2023

Nationalrat: Debatte über ökologische Transformation der Wirtschaft und Stärkung des Industriestandortes Europa

Gewessler sieht Klimaschutz als wichtigen Wirtschafts- und Jobmotor und Europa im Wettlauf mit den USA und China

Wien (PK) – Um die Themen "Grüne Energie und Technologie für einen modernen Industriestandort Europa" ging es in der heutigen Europastunde im Nationalrat, an der auch Abgeordnete des Europäischen Parlaments teilnahmen. Die "grüne Transformation" sei ein Gebot der Stunde, an der kein Weg vorbei führe, betonte Sigrid Maurer (Grüne).  Bundesministerin Leonore Gewessler appellierte daran, den Klimaschutz in einen Wettbewerbsvorteil zu verwandeln. Noch könne das wirtschaftliche Rennen gegen China und die USA gewonnen werden, war sie überzeugt. Für die Stärkung des Standortes Europa sprachen sich auch die Vertreter:innen der Oppositionsparteien aus. Sie sahen jedoch noch einigen Handlungsbedarf auf europäischer und vor allem nationaler Ebene. Viele Probleme seien hausgemacht und wichtige Gesetze würden fehlen, beklagten unter anderem die NEOS. Eine konträre Position in dieser Frage nahmen die freiheitlichen Abgeordneten ein, die der Regierung einen unrealistischen Zugang zum Klimaschutz vorwarfen. Obwohl Europa nur einen geringen Anteil an den globalen CO2-Emissionen habe, würde die "Vernichtung der europäischen Industrie" in Kauf genommen.

Gewessler: Globaler Wettlauf mit den USA und China kann noch gewonnen werden

Da die Klimakrise in den letzten Jahren nicht ernst genug genommen worden sei, stehe man heute unter Druck, konstatierte Bundesministerin Leonore Gewessler. Angesichts der zahlreichen Herausforderungen gebe es mittlerweile einen globalen Wettlauf um die "grünsten Produktionsweisen und die klimafreundlichsten Technologien", wobei die USA und China bereits "große Brocken vorgelegt" hätten. Die Europäische Union sei daher gefordert, sich dieser Entwicklung zu stellen und den Klimaschutz als einen relevanten Wirtschafts- und Jobmotor zu begreifen. Wenn Europa 2050 der erste klimaneutrale Kontinent werden soll, dann müssten die Möglichkeiten etwa im Beihilfenrecht und im Wettbewerbsrecht erweitert sowie strategisch wichtige Projekte gefördert werden. Da die Zeit des billigen russischen Gases endgültig vorbei sei, müsse Europa auf smarte und effiziente Produkte und Herstellungsweisen sowie auf erneuerbare Energieträger setzen. Dazu gehöre auch eine Anpassung des Strommarktdesigns, um nicht mehr länger erpressbar zu sein, so die Ministerin. Um die industrielle Transformation einzuleiten, habe man auf auch nationaler Ebene viele Maßnahmen in die Wege geleitet und etwa 3 Mrd. € für den Ausbau von klimafreundlicher Produktion bereitgestellt. Weitere 210 Mio. € würden in die Forschung und Entwicklung fließen, um "grüne Innovation" zu fördern. Außerdem stünden 100 Mio. € im Rahmen des Aufbau- und Resilienzplans für die produzierende Wirtschaft zur Verfügung. Mitte Februar 2023 wurde nun das Erneuerbare-Gase-Gesetz (EGG) in Begutachtung geschickt, wodurch der Ausbau der Produktion bis 2030 fixiert werde.

Grüne: Klimaschutz stärkt die Wirtschaft und macht sie krisenfest

Die "grüne Transformation" sei ein Gebot der Stunde, begründete Klubobfrau Sigrid Maurer (Grüne) die Themenauswahl für die heutige Europastunde. Es gehe dabei um weit mehr als die wirtschaftliche Zukunft der Union, nämlich auch um Fragen der Unabhängigkeit, der Sicherheit und des sozialen Zusammenhalts. Grüne Energie und Technologie würden den Schlüssel für eine nachhaltige und lebenswerte Zukunft für kommende Generationen darstellen, meinte Maurer, und Österreich sollte dabei eine Vorreiterrolle einnehmen. Auch wenn schon wichtige Weichenstellungen eingeschlagen worden seien, liege noch ein weiter und arbeitsreicher Weg vor Europa. Es müsse endgültig das "alte Denken" überwunden werden, das darauf basiere, dass Ökonomie und Ökologie nicht vereinbar seien. Das Gegenteil sei der Fall, unterstrich Maurer, denn der Klimaschutz stärke die Wirtschaft und mache sie krisenfest. Außerdem sei spätestens seit dem brutalen Angriff Putins auf die Ukraine der Traum vom billigen russischen Gas ein für alle Mal ausgeträumt. Durch die Beteiligung der Grünen an der Regierung sei es gelungen, eine Transformationsoffensive für die heimische Industrie zu starten, mit der die Kehrtwende eingeleitet werden soll. Dafür seien rund 5,7 Mrd. € langfristig im Budget verankert worden. Beim Ausbau der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energieträgern sei bereits eine Trendwende eingeleitet worden, hob Maurer hervor, so konnten im Rekordjahr 2022 rund 1.300 Gigawatt an neuen Sonnenstromanlangen installiert werden. Mehr Anstrengungen brauche es noch im Bereich der Windkraft, wo einige Bundesländer noch deutlichen Aufholbedarf hätten.

Abgeordnete Elisabeth Götze (Grüne) erinnerte daran, dass die Grünen noch vor 15 Jahren für viele Vorschläge zur Transformation der Wirtschaft belächelt worden seien, die heute unumstritten seien. Es sei immer das Ziel gewesen, langfristiges und gesundes Wachstum zu forcieren, was nun auch von der EU mit den entsprechenden Rahmenbedingungen (z.B. Green Deal) unterstützt werde. Einsetzen wolle man sich noch für einen leichteren Zugang zu Fördermitteln, eine Beschleunigung von Verfahren, für eine bessere Aus- und Weiterbildung von Fachkräften sowie für resiliente Liefer- und Wertschöpfungsketten. EU-Abgeordnete Monika Vana (Grüne) bezeichnete den Green Deal als wichtigen Baustein auf dem Weg hin zu einer energieeffizienten und ressourcenschonenden Industrie in Europa. Ohne eine möglichst rasche, grüne und gerechte Transformation der Wirtschaft könne man weder die Klimaziele noch die Verteilungsziele der UNO erreichen, zeigte sie auf. Klimaschutz sei zudem untrennbar mit den Prinzipien der Sozialunion verbunden, denn niemand "dürfe zurückgelassen werden". Abgeordneter der Grünen Michel Reimon sah keine Alternative zur grünen Transformation der Wirtschaft, die alle Bereiche betreffen werde. Nur dann könnten die Jobs nachhaltig gesichert werden.

ÖVP: Mehr Konsequenz und Geschwindigkeit bei der Umsetzung der industriellen Transformation notwendig

Nach Ansicht des Abgeordneten Joachim Schnabel (ÖVP) sei die europäische Industrie an einer entscheidenden Kreuzung angelangt, da es um den Fortbestand der Produktion in der Union gehe. Zudem habe gerade der Ukraine-Krieg die bisherige Abhängigkeit von fossilen Energieträgern aufgezeigt. Studien hätten gezeigt, dass es vor allem von drei Komponenten abhänge, wie die Zukunft der europäischen Industrie aussehen werde. Es bräuchte nicht nur einen massiven Ausbau der erneuerbaren Stromherstellung, sondern auch die Förderung von Wasserstoff sowie eine deutliche Beschleunigung der Prozesse. Laut Schnabel sollte Österreich seine Chancen vor allem beim Thema Wasserstoff nutzen, weil es in diesem Bereich bereits viele Entwicklungen und Patente gebe. Kritik übte er daran, wie Europa den "grünen Wasserstoff" definiere, weil Österreich dadurch klar benachteiligt würde.

Othmar Karas, der als Vertreter der ÖVP im Europäischen Parlament sitzt, sprach angesichts der multiplen Krisen von einer Zeitenwende, die einer umfassenden Transformation des Wirtschaftssystems bedürfe. Ebenso wie einige seiner Vorredner:innen betonte Karas aber auch die damit verbundenen Chancen für den Standort Europa, wobei der Anspruch in Bezug auf die grüne Wende ein ambitionierter sein müsse. Europa sollte zum Weltmarktführer bei den grünen Technologien werden, forderte er, weil nach der Digitalisierung und der Telekommunikation nicht ein weiterer zukunftsträchtiger Sektor an die USA oder China verloren werden dürfe. Das Europäische Parlament habe zwar bereits vieles auf den Weg gebracht, aber es brauche noch mehr Konsequenz bei der Umsetzung des Transformationsprozesses sowie einen weiteren Abbau der bürokratischen Hürden. Was die noch ausständigen gesetzlichen Grundlagen auf nationaler Ebene angeht, so kündigte Johannes Schmuckenschlager (ÖVP) an, dass eine Reihe von Entwürfen wie z.B. das Erneuerbare-Gase-Gesetz bereits in Begutachtung seien und bald beschlossen werden könnten.

SPÖ fordert gesetzlichen Rahmen für Gewährleistung von "fairen Lieferketten", schlägt Plan für Schaffung von Klimaarbeitsplätzen vor

Ein Hauptgrund für die aktuellen Probleme liege daran, dass in der Vergangenheit die Produktionskapazitäten in jene Länder ausgelagert wurden, in denen die Kosten am niedrigsten und die Gewinnspannen am höchsten waren, zeigte Abgeordnete Julia Herr (SPÖ) auf. Dadurch sei eine massive Abhängigkeit von Ländern wie China, Indien oder Taiwan entstanden, die jetzt beim Einbruch der Lieferketten nun allen bewusst geworden sei. Dies zeige allein das Beispiel der Medikamente, wo im heurigen Jahr mehr als 500 Produkte nicht mehr oder eingeschränkt verfügbar gewesen seien. Ähnliches gelte bei bestimmten Rohstoffen oder bei der Umwelttechnologie, führte Herr weiter aus, da etwa der Großteil der Solarpaneele in China erzeugt würden. Um in Zukunft Versorgungssicherheit zu gewährleisten, müsse die Union Teile der Produktion in den verschiedensten Sektoren wieder zurückholen, urteilte Herr. Parallel dazu müsse auf Grundlage eines Lieferkettengesetzes garantiert werden, dass vom Abbau der Rohstoffe bis hin zum Recycling hohe Sozial- und Umweltstandards eingehalten würden. Für Europaabgeordnete Theresa Bielowski (SPÖ) stand es außer Zweifel, dass eine moderne, zukunftsträchtige, europäische Industrie "grün und nachhaltig" gestaltet sein müsse. Mit dem Green Deal solle der Standort abgesichert und Europa zum ersten klimaneutralen Kontinent gemacht werden. Gleichzeitig gelte es, die Rechte der Arbeitnehmer:innen zu schützen sowie ausreichend Mittel für die Forschung zur Verfügung zu stellen.

Ebenso wie Herr wies Abgeordnete Petra Oberrauner (SPÖ) auf die vielen noch offenen "Hausaufgaben" in Österreich hin, die ständig auf die lange Bank geschoben worden seien. So würden etwa noch immer das Energieeffizienzgesetz oder das Klimaschutzgesetz fehlen, beklagte sie. Laut Oberrauner sollte man sich zudem ein Beispiel am Bundesland Kärnten nehmen, wo die Firma Infineon über 1,5 Mrd. € in den Standort Villach investieren werde. Dazu beigeträgen hätten eine attraktive Forschungsumgebung, gute Bildungs- und Kinderbetreuungsangebote, genügend Fachkräfte, Kooperationen mit den KMU sowie ein Schulterschluss mit den Behörden und Einrichtungen vor Ort. Diese Beispiele könnten aber nur dann bundesweit Schule machen, wenn es die entsprechenden gesetzlichen Grundlagen gebe.

FPÖ vermisst realistischen Zugang und warnt vor Vernichtung des europäischen Industriestandortes

FPÖ-Abgeordnete Petra Steger sprach von einer "Industrievertreibungspolitik" und warf der Klimaschutzministerin vor, "irrationale und sündhaft teure" Ziele zu verfolgen. Allerdings sei nun auch die frühere Wirtschaftspartei ÖVP mit dabei, wenn es darum gehe, den "EU-Mainstream-Sprech" unreflektiert zu übernehmen. Das beste Beispiel dafür sei das geplante Verbot von Verbrennungsmotoren in der Union ab 2035, argumentierte Steger. Dadurch würde nämlich nicht nur die Existenz der heimischen Zulieferbetriebe zerstört, sondern das Herzstück der deutschen Industrie. Der FPÖ-Europaabgeordnete Roman Haider bezeichnete es als "Klimawahn", wenn zu 100 % auf erneuerbare Energieträger gesetzt werde. Es sei einfach nicht möglich, die Stromversorgung nur mittels Solar- und Windenergie aufrecht zu erhalten. Die Folgen einer solchen Politik wären verheerend, weil damit die wirtschaftlichen Grundlagen Europas vernichtet würden. Ähnlich argumentierte Axel Kassegger (FPÖ), der die heutige Debatte als "realitätsfremde Märchenstunde" einstufte. Der Anteil Europas an den CO2-Emissionen liege nur bei 8 %, gab er zu bedenken, die Klimapolitik der EU "bewirke daher gar nichts".

NEOS übt Kritik an "hausgemachten" Problemen und Versäumnissen in der Energiepolitik

NEOS-Mandatarin Karin Doppelbauer wertete die Energiepolitik als wesentliches Fundament für eine innovative Industriepolitik. Sie sehe dabei aber nicht nur die europäische Ebene gefordert, sondern vor allem die Mitgliedstaaten. Die EU sei nämlich nicht Schuld daran, wenn willfährige Politiker:innen und Manager:innen in teilstaatlichen Konzernen die Abhängigkeit von russischem Gas massiv befördern würden. Österreich sei auch allein verantwortlich dafür, dass der Ausbau der erneuerbaren Energieträger sowie der Stromnetze seit Jahrzehnten stocke und dass es einen eklatanten Fachkräftemangel gebe, führte Doppelbauer ins Treffen. Das "Multiorgan-Versagen in der Energiepolitik" sei daher hausgemacht. So sei es auch nicht nachvollziehbar, warum sich die Regierung seit Jahren nicht auf ein Klimaschutz- oder Energieeffizienzgesetz einigen könne,  schloss sich Abgeordneter Michael Bernhard (NEOS) der Kritik an. (Fortsetzung Nationalrat) sue

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