Parlamentskorrespondenz Nr. 301 vom 16.03.2023

Demokratie Monitor 2022: Aktuelle Krisen lassen auch bei jungen Menschen Vertrauen in das politische System schwinden

Podiumsdiskussion im Parlament über Ergebnisse der von SORA präsentierten Sonderauswertung "Jugend und Demokratie"

Wien (PK) – Ende November 2022 hat das SORA-Institut erste Ergebnisse des Demokratie Monitors 2022 veröffentlicht und dabei auf zum Teil alarmierende Entwicklungen aufmerksam gemacht. Nur noch 34 % der mehr als 2.000 befragten Menschen haben angegeben, dass ihrer Meinung nach das politische System in Österreich gut funktioniert. Das ist der tiefste Wert seit Erhebungsbeginn 2018. Vor fünf Jahren lag die Zufriedenheit noch bei 64 %. Gleichzeitig ist auch das Vertrauen in das Parlament und in andere Institutionen gesunken, und die klassische Frage nach dem "starken Führer" wurde erstmals seit 2018 nicht mehr mehrheitlich abgelehnt. Allerdings denken weiterhin jeweils knapp neun von zehn Menschen, dass die Demokratie trotz mancher Probleme die beste Staatsform ist.

Für das Parlament hat das SORA-Institut im Rahmen des Demokratie Monitors erneut einen besonderen Fokus auf den Bereich "Jugend und Demokratie" gelegt und die Einstellungen und Erfahrungen junger Menschen in Zusammenhang mit Demokratie sowie ihre politische Partizipation analysiert. Insgesamt 323 junge Menschen zwischen 16 und 26 Jahren wurden dafür befragt – die Ergebnisse präsentierte die Sozialwissenschaftlerin Janine Heinz heute im Hohen Haus. Im Anschluss daran fand dazu unter der Moderation von Walter Hämmerle eine Podiumsdiskussion mit den Abgeordneten Carina Reiter (ÖVP), Eva-Maria Holzleitner (SPÖ), Rosa Ecker (FPÖ), Barbara Neßler (Grüne) und Yannick Shetty (NEOS) statt.

Entspannung der Pandemielage hat für junge Menschen kaum Entlastung gebracht

Beim Ergebnis sticht laut Heinz unter anderem hervor, dass die Entspannung der Pandemielage für die jungen Menschen kaum Entlastung gebracht hat. Nach wie vor berichtet rund die Hälfte der Befragten von einer Verschlechterung ihrer psychischen Gesundheit, dazu kommt die Verschlechterung der finanziellen Situation durch die hohe Inflation. Vor allem jene, die schon vor der Pandemie wenig Ressourcen hatten, leiden stark unter den Krisenfolgen. Bei den dringendsten politischen Anliegen der jungen Menschen steht die Teuerung an erster Stelle – sie beschäftigt rund die Hälfte der 16- bis 26-Jährigen. Dahinter folgen der Klimawandel, die Schere zwischen Arm und Reich (jeweils rund ein Fünftel) sowie der Krieg in der Ukraine (14 %).

Die multiplen Krisen haben – wie bei den Erwachsenen – auch bei der Jugend zu einem sinkenden Systemvertrauen geführt. Derzeit ist weniger als die Hälfte der jungen Menschen davon überzeugt, dass das politische System in Österreich gut funktioniert. Mit 39 % denken außerdem so viele 16- bis 26-Jährige wie noch nie seit Erhebungsbeginn 2018, dass die Demokratie in Österreich eher schwach ist. Das ist ein Plus von 12 Prozentpunkten im Vergleich zum Vorjahr, wobei diese Ansicht unter jenen, die unter den psychosozialen und finanziellen Folgen der Pandemie leiden, noch deutlich stärker verbreitet ist (jeweils 62 %). Auch die Korruptionswahrnehmung spielt laut Heinz eine Rolle: Wer Korruption als ein großes oder eher großes Problem in Österreich erachtet und denkt, dass das Land als Selbstbedienungsladen genutzt wird, beurteilt den Zustand der Demokratie in Österreich weniger gut.

Negativ wirkt sich eine persönliche Betroffenheit auch auf das Institutionenvertrauen aus. So hängen etwa das Vertrauen in das Parlament und in die Regierung davon ab, wie stark man selbst unter den Krisen leidet. Das Parlament ist laut Heinz darüber hinaus mit einer weiteren Herausforderung konfrontiert. Nur ein Drittel der jungen Menschen sieht sich und die eigenen politischen Anliegen dort vertreten.

Mit Blick auf die Mediennutzung gilt, dass sich Social-Media-Plattformen – und dabei allen voran Instagram – als wichtigste Quelle für politische Informationen etabliert haben, während WhatsAPP und andere Messengerdienste an Bedeutung verloren haben. Rund die Hälfte der 16- bis 26-Jährigen nutzt außerdem Zeitungen und im Vergleich zu den Vorjahren ist 2022 das Radio wieder etwas wichtiger geworden. Mit der Familie, Freund:innen oder Kolleg:innen diskutiert rund die Hälfte der Jugendlichen und jungen Erwachsenen zumindest einmal pro Woche über Politik. Die schulische politische Bildung wird von den jungen Menschen nach wie vor kritisch bewertet.

Reiter: Studienergebnisse stimmen nachdenklich

In der auf die Präsentation folgenden Podiumsdiskussion waren sich die Abgeordneten einig, dass die Studienergebnisse als Alarmsignal zu werten seien. Man sehe auf der einen Seite, dass junge Menschen sehr interessiert an Politik seien, sich auf der anderen Seite aber nicht von der Politik repräsentiert fühlten, meinte etwa Carina Reiter (ÖVP). Ihrer Meinung nach könnte man durchaus bestimmte – traditionell gewachsene – Arbeitsabläufe im Parlament überdenken, etwa was den Umgang mit Oppositionsanträgen betrifft. Wichtig ist ihr auch ein breites niederschwelliges Angebot für psychisch belastete Kinder und Jugendliche. Sie werde die Ergebnisse der Studie jedenfalls in ihrem Klub verbreiten, versicherte sie.

Holzleitner: Anliegen junger Menschen stärker berücksichtigen

Es sei eine sehr bedenkliche Entwicklung, wenn so viele Menschen der Politik nicht mehr vertrauten, zeigte sich auch Eva-Maria Holzleitner (SPÖ) über die Studienergebnisse betroffen. "Das muss uns alle wachrütteln", betonte sie. Als eines der Probleme machte die SPÖ-Jugendsprecherin aus, dass sich viele junge Menschen nicht an Wahlen beteiligen dürfen. Zudem müsse sich die Politik überlegen, was für ein Bild sie abgebe und wie sie mit jungen Menschen umgehe, die ihren Protest auf der Straße äußern, unabhängig davon, ob man diesen persönlich gutheiße oder nicht. Zwischen den Jugendsprecher:innen im Parlament sieht Holzleitner zwar grundsätzlich eine gute Gesprächsbasis, die Zusammenarbeit funktioniere aber nicht so, wie man es sich als Oppositionspartei wünschen würde. Inhaltlich plädierte die Abgeordnete unter anderem für "moderne" Arbeitszeiten sowie Änderungen im Bildungssystem, um die starke "Bildungsvererbung" in Österreich aufzuheben.

Ecker: Viele Jugendliche haben psychische Probleme

Die Studienergebnisse seien erschreckend, aber erwartbar gewesen, hielt Rosa Ecker (FPÖ) fest. Angesichts der psychischen Probleme vieler Jugendlicher sei die Stimmungslage nicht überraschend. Durch die Corona-Pandemie hätten Jugendliche viel versäumt, die fehlenden Erlebnisse, die man nur in einem bestimmten Alter habe, könnten nicht nachgeholt werden. Was die Zusammenarbeit zwischen den Parteien betrifft, meinte Ecker, sie habe das Gefühl, dass es sehr viele Punkte gebe, wo sich die Parteien weitgehend einig seien, trotzdem komme es zu keinen Beschlüssen. Um die Situation der Jugendlichen zu verbessern, sind ihr unter anderem der Ausbau von Therapieplätzen und mehr Begleitlehrer:innen in Schulen mit psychologischer Ausbildung ein Anliegen. Zudem drängte sie auf eine Verbesserung der politischen Bildung. Dass viele Menschen in Österreich nicht wählen können, sieht sie hingegen nicht als demokratiepolitisches Problem.

Neßler: Jugendliche fühlen sich von Politik übersehen

Angesichts der vielen aktuellen Krisen – Corona-Pandemie, Krieg in Europa, Teuerung, Klimawandel – seien die Ergebnisse der Studie nicht überraschend, stellte auch Barbara Neßler (Grüne) fest. Dennoch wertet sie es als alarmierend, dass viele Jugendliche das Gefühl hätten, die Politik sehe ihre Probleme nicht. "Wir müssen mehr in Gespräche treten mit jungen Menschen und dort hingehen, wo junge Menschen sind", ist aus ihrer Sicht eine Antwort darauf. Auch sei häufig zu hören, "die da oben richten sich das eh immer". Korruption sei ein großes Problem, aus dem man nur "mit Transparenz" herauskomme, ist Neßler überzeugt. Ein Plädoyer hielt Neßler für den Kompromiss: Es sei "traurig", dass ein solcher häufig per se negativ gesehen werde. Ihrer Ansicht nach macht es außerdem etwas mit der Demokratie, wenn ein immer größerer Teil der Bevölkerung nicht wählen dürfe.

Shetty: Politik zeichnet ein schlechtes Bild von sich

Als kleine "positive Notiz" unter den vielen negativen Ergebnissen hob Yannick Shetty (NEOS) den Umstand hervor, dass die Jugendlichen das politische System in Österreich immer noch etwas besser beurteilten als die Erwachsenen. Die enormen psychischen Probleme, die sich auch in einer deutlichen Steigerung der Suizidversuche manifestieren, seien aber "beklemmend", meinte er. Dass sich viele junge Menschen in NGOs oder Vereinen engagieren, nicht aber bei politischen Parteien andocken, hat für Shetty nicht zuletzt damit zu tun, dass die Politik ein schlechtes Bild von sich selbst zeichnet. Seiner Meinung nach wäre es sinnvoll, würden sich die Abgeordneten außerhalb der Ausschussarbeit "mehr zusammentun". Inhaltliche Kritik übte Shetty unter anderem an den hohen finanziellen Hürden beim Zugang zur österreichischen Staatsbürgerschaft. Zudem plädierte er für eine Änderung der Schulfinanzierung auf Basis eines Chancenindex und eine drastische Senkung der Steuern auf Löhne und Gehälter.

Von Seiten des Publikums wurde unter anderem gefordert, bei der Ausarbeitung von Gesetzen stärker die Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche mitzudenken, und das Bildungssystem zu verbessern.

Zandonella: Großer Vertrauensverlust auch in der mittleren und oberen Schicht

Eingangs der Veranstaltung hatte die Sozialwissenschaftlerin Martina Zandonella einige Eckpunkte der allgemeinen Ergebnisse des Demokratie Monitors 2022 präsentiert und darauf hingewiesen, dass das Vertrauen in das politische System in den letzten fünf Jahren stark zurückgegangen sei. Erstmals sei das Vertrauen nach dem Ibiza-Skandal heruntergegangen, habe sich danach aber wieder erholt. Nun habe es aber einen absoluten Tiefststand erreicht. Es handle sich vor allem um eine Krise der politischen Repräsentation, sagte Zandonella, das Vertrauen in das Justizsystem und in die Polizei sei annähernd gleich geblieben, während das Vertrauen in das Parlament, die Regierung und den Bundespräsidenten deutlich zurückgegangen sei.

Für alarmierend hält Zandonella es auch, dass zuletzt bereits 38 % der Befragten – also fast jeder Vierte – angegeben hätten, dass sie sich von keiner Parlamentspartei vertreten fühlen. 2018 hätten das nur 13 % gesagt. Zudem ist es der Studienautorin zufolge auffällig, dass das Systemvertrauen auch im mittleren und oberen Einkommensdrittel stark abgenommen hat. Im unteren Einkommensdrittel sei dieses immer schon verhältnismäßig niedrig gewesen, weil nach Ansicht der Betroffenen zentrale politische Versprechen wie Gleichheit und Mitbestimmung nicht eingelöst würden. Jetzt seien aber Einbrüche in der mittleren und der oberen Schicht dazugekommen. Das oberste Einkommensdrittel, das den Staat bisher als Garant seiner Freiheit erlebt habe, habe plötzlich ganz andere Erfahrungen gemacht und sich bevormundet gefühlt.

Gemeinsam mit dem SORA-Institut hatte Parlamentsdirektor Harald Dossi zur Veranstaltung eingeladen. Er wies darauf hin, dass die technische Sanierung des Parlamentsgebäudes auch dafür genutzt wurde, um das Parlament noch mehr der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. So biete das Besucherzentrum die Möglichkeit, auch außerhalb von Veranstaltungen ins Parlament zu kommen. Die Sonderauswertung "Jugend und Demokratie" sei vom Parlament bewusst beauftragt worden, betonte Dossi, Österreich sei schließlich immer noch eines der wenigen Länder, wo man bereits mit 16 wählen könne. (Schluss) gs

HINWEIS: Fotos von dieser Veranstaltung finden Sie im Webportal des Parlaments.