Parlamentskorrespondenz Nr. 461 vom 27.04.2023

Nationalrat: Einstimmigkeit für Überarbeitung der Österreichischen Sicherheitsstrategie und Aufwertung von Auslandseinsätzen

Abgeordnete behandeln Petition zum Chronischen Erschöpfungssyndrom und fassen Entschließung zur besseren Erforschung und Versorgung

Wien (PK) – Der Krieg in der Ukraine und seine Folgen schlagen sich auch in der österreichischen Verteidigungspolitik nieder. So herrschte in der heutigen Nationalratssitzung parteiübergreifender Konsens über die Notwendigkeit, die Österreichische Sicherheitsstrategie aus dem Jahr 2013 hinsichtlich aktueller Entwicklungen und Bedrohungen zu überarbeiten. Ebenso einhellig fiel die Zustimmung der Abgeordneten zu einer finanziellen Aufwertung von Auslandseinsätzen aus, um diese angesichts genereller Personalnot für die Soldat:innen attraktiver zu machen.

Ebenfalls auf der Tagesordnung stand eine Petition, die auf mehr Bewusstseinsbildung und bessere medizinische Versorgung für Menschen, die am chronischen Erschöpfungssyndrom (Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom – kurz ME/CFS) leiden, abzielt. Auf dieser Basis fasste der Nationalrat einhellig eine Entschließung, laut der sowohl der Gesundheits- als auch der Wissenschaftsminister ersucht werden, sich für eine bessere diagnostische und therapeutische Versorgung, die stärkere Berücksichtigung von postviralen bzw. postinfektiösen Syndromen in medizinischen Leitlinien, die Einrichtung eines Beratungsgremiums sowie die Förderung des interdisziplinären Austauschs einzusetzen.

Im Zuge der Debatte wurde auch ein Entschließungsantrag aller Fraktionen eingebracht und angenommen, in dem gefordert wird, den aktuellen Frauengesundheitsbericht 2022 offiziell als Verhandlungsgegenstand dem Parlament zuzuleiten.

Überarbeitung der Sicherheitsstrategie und Aufwertung von Auslandsmissionen

Der veränderten Einschätzung der militärischen Gefahrenlage in Europa Rechnung tragen soll die Überarbeitung der Österreichischen Sicherheitsstrategie. Diese ist laut Initiative der Freiheitlichen mehr als zehn Jahre alt und enthält keine aktuellen Bedrohungsszenarien wie etwa jene durch den Krieg in der Ukraine oder die Gefahr eines Blackouts (2414/A(E)). Der Entschließungsantrag wurde unter Berücksichtigung eines im Verteidigungsausschuss eingebrachten Abänderungsantrags von Abgeordneten der ÖVP, der SPÖ und der NEOS einstimmig angenommen. Darin  wird die Bundesregierung aufgefordert, schnellstmöglich die Sicherheitsstrategie 2013 unter Einbeziehung aller im Hauptausschuss des Nationalrats vertretenen Fraktionen und unter Berücksichtigung der Leitlinien des "strategischen Kompass" der EU zu überarbeiten.

Auf Basis einer Initiative der NEOS (3132/A(E)) fordern sämtliche Fraktionen in einem gemeinsamen Antrag zudem das Auslandszulagen- und –hilfeleistungsgesetz (AZHG) zu novellieren. Ziel sei es, die Teilnahme an Auslandseinsätzen generell attraktiver zu gestalten, um eine entsprechende "personelle Befüllung" auch in Zukunft sicherstellen zu können. Im ursprünglichen Antrag werden insbesondere unvorteilhafte Regelungen bei der Besoldung kritisiert, auf die der Mangel an Soldat:innen im Auslandseinsatz unter anderem zurückzuführen sei.

Fraktionsübergreifende Einigkeit bei verteidigungspolitischen Anliegen

Mit dem Amtsantritt von Verteidigungsministerin Klaudia Tanner sei eine "nachhaltige Trendumkehr" beim Bundesheer eigeleitet worden, erklärte ÖVP-Wehrsprecher Friedrich Ofenauer und verwies auf die Steigerungen des Verteidigungsbudgets der letzten Jahre. Aufgrund der veränderten geopolitischen Verhältnisse, sei nun auch der richtige Zeitpunkt gekommen, um die Sicherheitsstrategie entsprechend anzupassen. Wichtig sei es in diesem Prozess Expert:innen und alle parlamentarischen Fraktionen miteinzubeziehen sowie den europäischen "Sicherheitskompass" mitzubedenken, wie Ofenauer ausführte. Er betonte die Bedeutung der in der Verfassung festgeschriebenen umfassenden Landesverteidigung für die Sicherheit und Wehrfähigkeit Österreichs, denn "reich und schwach zu sein" sei "keine gute Kombination". ÖVP-Mandatar Manfred Hofinger ging auf die sicherheitspolitische Relevanz von Auslandseinsätzen ein sowie auf die Notwendigkeit, diese für die Soldat:innen zu attraktivieren.

Robert Laimer von den Sozialdemokrat:innen zeigte sich erfreut, dass "mittlerweile auch der Bundesregierung klar ist", dass die Sicherheitsstrategie erneuert werden müsse. Er und sein Fraktionskollege Reinhold Einwallner unterstrichen emphatisch die Notwendigkeit, alle Parteien miteinzubeziehen, da eine aktualisierte Strategie ohne breite parlamentarische Unterstützung "wertlos" sei. Die Landesverteidigung stelle laut Laimer eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe dar und bedürfe einer modernen Sicherheitsarchitektur, die etwa durch ein Sicherheitszentrum im Bundeskanzleramt realisiert werden könne. Zudem pochte er, wie auch Rudolf Silvan (SPÖ) auf die österreichische Neutralität, die sich historisch bewährt habe.

Volker Reifenberger (FPÖ) erinnerte daran, dass die Initiative ursprünglich von seiner Fraktion ausgegangen sei, womit man demonstriert habe, dass auch die Opposition etwas bewirken könne. Daher sei es wichtig, diese auch frühzeitig an der Erstellung der neuen Sicherheitsstrategie teilhaben und nicht bloß am Ende "abnicken" zu lassen. Die FPÖ werde darauf achten, wie in diesem Prozess mit der Neutralität als österreichischem "Identitätsmerkmal" umgegangen werde. Denn die Bezugnahme auf den "strategischen Kompass" der EU im gemeinsamen Antrag widerspreche dieser laut Reifenberger bereits teilweise. Zudem hätte der Aufbauplan für das Bundesheer in den Verfassungsrang verankert werden müssen, damit das Projekt nicht von einer anderen Regierung "torpediert" werden könne, gab Gerhard Kaniak (FPÖ) zu bedenken. Auch im zivilen Bereich müssten Risiken für die innere Sicherheit und nationale Souveränität, die sich etwa durch einen Arzneimittelmangel ergeben könnten, ernst genommen werden.

Für David Stögmüller (Grüne) sei die wesentliche Frage, wie sich Österreich verteidigungspolitisch innerhalb der EU positioniere und was Neutralität konkret bedeute. Er betonte die Gefahren, die gegenwärtig von Russland ausgingen, das weltweit Demokratien "unterminiere" und sicherte eine breite parlamentarische Einbindung in die Erstellung einer aktuellen Sicherheitsstrategie zu. Den Grünen sei es ein Anliegen, dass auch der europäische Kontext, die Anliegen speziell von Frauen in der Friedenspolitik und der Klimaschutz auch im Sicherheitsbereich mitbedacht werden.

Dass Russland in der aktuellen Sicherheitsstrategie noch als Partner angeführt werde, betrachtete auch Douglas Hoyos-Trauttmansdorff (NEOS) als inakzeptabel. Die Bundesregierung kündige zwar einen breiten und offenen Diskurs an, lege der Opposition jedoch schon jetzt Denkverbote auf, was etwa die immerwährende Neutralität betreffe. Zudem zeigte Hoyos-Trauttmansdorff Unverständnis darüber, dass der Landesverteidigungsbericht nicht im Sinne einer breiten Diskussion öffentlich gemacht werde.

Verteidigungsministerin Klaudia Tanner zeigte sich erfreut darüber, dass die Parteipolitik aus diesen sicherheitsrelevanten Fragen weitgehend herausgelassen würde. Durch diese fraktionsübergreifende Zusammenarbeit sei bereits vieles gelungen, wie sie mit Blick etwa auf das Landesverteidigungs-Finanzierungsgesetz (LV-FinG) feststellte. Dadurch sei erstmals in der Zweiten Republik Planbarkeit in diesem Bereich hergestellt worden. Bei ihrem Amtsantritt habe Tanner enormen Investitionsbedarf in den verschiedensten Bereichen vorgefunden, der nun nach und nach gedeckt werde. Besonderen Wert lege sie auf die geistige Landesverteidigung, denn Österreich müsse sich zu einer "wehrhaften Demokratie" entwickeln.

Petition: Anerkennung von ME/CFS und Ausbau der medizinischen Versorgung

Der Nationalrat befasste sich weiters mit einer Petition, in der die Anerkennung, medizinische Versorgung und die soziale Absicherung von ME/CFS-Patient:innen sowie die Finanzierung der Forschung zu dieser Krankheit gefordert wird ( 80/PET ). Das Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom (ME/CFS) ist eine schwere Multisystemerkrankung, von der in Österreich zwischen 26.000 und 80.000 Menschen betroffen sind. Diese leiden an extrem eingeschränkter Leistungsfähigkeit und schwerer Fatigue, was zur Folge hat, dass Alltagstätigkeiten zu großen Herausforderungen oder beinahe unmöglich werden. Laut Petition benötigten die Betroffenen in vier Handlungsfeldern dringend Unterstützung: Bewusstseinsbildung durch Information und Aufklärung der Ärztinnen und Ärzte wie auch der Bevölkerung, Aufbau und Finanzierung medizinischer Behandlungs- und Versorgungsstrukturen, soziale Absicherung der Betroffenen sowie finanzielle Förderung der Forschung zu ME/CFS.

Bereits 1969 sei ME/CFS als neurologische Erkrankung klassifiziert worden, führte Heike Gebien von den Grünen aus. Trotzdem sei die Krankheit noch wenig bekannt und werde oftmals "als psychosomatisch abgetan" – auch weil laut Grebien mehrheitlich Frauen betroffen seien. Erkrankte fühlten sich dadurch nicht ernst genommen und stigmatisiert, wie SPÖ-Mandatarin Eva Maria Holzleitner berichtete. Dass es für eine richtige Diagnose durchschnittlich fünf bis acht Jahre und 13 Ärzt:innen brauche bezeichnete Gerhard Kaniak (FPÖ) als "erschütternd". Er plädierte dafür, mehr Ressourcen in die Früherkennung und innovative Diagnostik zu investieren, um auch bei anderen Krankheiten die Wartezeiten zu verkürzen. Da die Symptomatik von ME/CFS jener von Long Covid-Patient:innen ähnle, habe die Pandemie die Krankheit vermehrt in den Fokus gerückt, wie Elisabeth Scheucher-Pichler ausführte. Sie zeigte sich ebenso wie Andreas Minnich, Kira Grünber (beide ÖVP) und NEOS-Abgeordnete Fiona Fiedler erfreut über die fraktionsübergreifende Unterstützung für das Anliegen. Dass es die Petition ins Plenum geschafft und zu einer einstimmigen Entschließung geführt habe, sei ein wichtiges Signal an die Betroffenen, die sich nach einem oftmals jahrelangen "Leidensweg" nun ernst genommen fühlen könnten, erklärte Gesundheitsminister Johannes Rauch. (Fortsetzung Nationalrat) wit

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