Parlamentskorrespondenz Nr. 527 vom 12.05.2023

Parlamentsfraktionen legen in Debatte zu Dringlichem Antrag Positionen zur Teuerungsbekämpfung dar

Misstrauensanträge von SPÖ und FPÖ abgelehnt

Wien (PK) – In einer emotionalen Debatte diskutierten die Abgeordneten des Nationalrats in einer Sondersitzung heute über die aktuelle Teuerung und mögliche Maßnahmen zur Bekämpfung. Anlass war ein Dringlicher Antrag der SPÖ mit dem Titel "Totalversagen der Bundesregierung im Kampf gegen die Teuerung", der keine Mehrheit fand. Die SPÖ forderte darin ein Einfrieren der Mieten, ein Aussetzen der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel und die Einsetzung einer Anti-Teuerungskommission. Die Regierung habe bereits viel Geld ausgegeben, aber noch keinen einzigen Preis gesenkt, kritisierte die SPÖ.

Die FPÖ warf der Regierung vor, die Bevölkerung im Stich zu lassen. Als Ursachen für die Teuerung machte sie die Corona-Politik und die Russland-Sanktionen verantwortlich. Für die NEOS habe die Regierung durch Förderungen "mit der Gießkanne" in den vergangenen Monaten die Teuerung noch weiter befeuert.

Die ÖVP hingegen zeigte sich überzeugt, durch die Unterstützungsmaßnahmen die Kaufkraft der Menschen erhalten und gesteigert zu haben. Die Grünen betonten, mit Maßnahmen wie der Valorisierung der Sozial- und Familienleistungen bereits "große Brocken" in Angriff genommen zu haben. Und von Seiten der Regierung kündigte Sozialminister Johannes Rauch weitere Maßnahmen gegen Kinderarmut an.

SPÖ und FPÖ nutzten die Sitzung auch, um Misstrauensanträge gegen die gesamte Bundesregierung einzubringen. Man habe das Vertrauen in die Regierung endgültig verloren, argumentierten sie. Beide Anträge wurden abgelehnt.

Auch weitere im Zuge der Debatte eingebrachte Entschließungsanträge der Oppositionsparteien blieben in der Minderheit.

SPÖ: Österreich erlebt sozial- und wirtschaftspolitische Katastrophe

Jörg Leichtfried (SPÖ) warf dem Bundeskanzler vor, die Aufregung über die Teuerung nicht zu verstehen, weil er die Sorgen der Menschen gar nicht mitbekomme. Die Bundesregierung habe mittlerweile 38 Mrd. € ausgegeben, damit aber keinen einzigen Preis gesenkt. "Das ist das Falsche zur falschen Zeit", lautete Leichtfrieds Urteil. Österreich erlebe eine sozialpolitische und eine wirtschaftspolitische Katastrophe, weshalb eine 180-Grad-Wende in der Politik der Bundesregierung unbedingt notwendig sei. Leichtfried versicherte, nicht unüberlegt mit dem Instrument umzugehen, brachte aber einen Misstrauensantrag gegen die gesamte Bundesregierung ein, weil seine Fraktion endgültig das Vertrauen in die Regierung verloren habe. Er kündigte auch an, dass die SPÖ künftig ihre Stimmen, vor allem, wenn die Koalition sie etwa für eine Zwei-Drittel-Mehrheit brauche, nicht mehr zur Verfügung stellen werde. Der Misstrauensantrag blieb in der Minderheit.

Rainer Wimmer (SPÖ) hielt es für eine "Schande", wenn in einem der reichsten Länder der Welt, Menschen nicht wüssten, wie sie "über die Runden" kämen und plädierte für staatliche Eingriffe in die Preisbildung. Die "Almosenpolitik" der Bundesregierung treibe die Inflation nur weiter an, was aufgrund der höheren Steuereinnahmen von ihr gerne in Kauf genommen werde. Wimmer sprach von  "Scheinheiligkeit" und "Gier" der Handelskonzerne, die die Menschen "ausnehmen" würden, ohne dass die Regierung einschreite. Er brachte einen Entschließungsantrag ein, in dem eine Millionärssteuer für Millionenerben gefordert wird, der keine Mehrheit im Plenum fand. 

Auch Eva Maria Holzleitner (SPÖ) pochte auf eine "Bändigung des Marktes", um die Preise für Güter des täglichen Bedarfs zu senken. Sie warf das Phänomen working poor (Armut trotz Arbeit) auf und drückte ihre Besorgnis darüber aus, dass der breite Mittelstand als Grundlage des Sozialstaats durch die Inflation wegbrechen könnte. Per Entschließungsantrag forderte Holzleitner ein Maßnahmenpaket gegen Kinderarmut, das eine Kindergrundsicherung, einen Rechtsanspruch auf einen Kinderbildungsplatz sowie ein gesundes, warmes Essen am Tag für jedes Kind in allen Bildungseinrichtungen vorsieht. Der Antrag blieb in der Minderheit. Julia Herr (SPÖ) wies darauf hin, dass es bereits eine gesetzliche Grundlage geben würde, um in Krisensituationen die Preise senken zu können und prangerte an, dass die Bundesregierung trotz monatelanger "Rekordinflation" nicht davon Gebrauch mache.

ÖVP: Kaufkraft konnte durch Unterstützungsmaßnahmen gesteigert werden

Von der ÖVP erinnerte Klubobmann August Wöginger an bereits gesetzte Unterstützungsmaßnahmen, mit denen es insbesondere gelungen sei, die Kaufkraft zu steigern. Die Inflation sei nach wie vor zu hoch, deshalb habe die Regierung ein weiteres Paket geschnürt, das durch die Abschöpfung der Übergewinne von Energiekonzernen insbesondere für sinkende Energiepreise sorgen soll. Wöginger führte auch an, dass die Gelder aus der Übergewinnsteuer über den Finanzausgleich den Bundesländern und Gemeinden zugutekommen sollen, damit diese dem Beispiel des Bundes folgen und die Gebühren einfrieren können. In Richtung der SPÖ erinnerte der Abgeordnete daran, dass unter der Kanzlerschaft von Christian Kern sogar um 8.000 Menschen mehr armutsgefährdet waren als nun unter Kanzler Karl Nehammer. Die Sozialdemokrat:innen sollten daher ihren Misstrauensantrag "wieder einpacken" und sich konstruktiv an der Arbeit für die Menschen beteiligen, meinte Wöginger.

Wolfgang Gerstl (ÖVP) verwies auf Wien, wo die SPÖ Regierungsverantwortung trage, die Menschen jedoch mit einer Reihe von Gebührenerhöhungen empfindlich belastet würden. "Im Bund klagen, in Wien versagen" sei die Devise der Sozialdemokratie, die den Menschen jene Entlastungen für die der Bund sorge, in ihrem Verantwortungsbereich wieder weg nehme. Auf die komplexen Herausforderungen, die die Inflation in ganz Europa mit sich bringe, könne es keine einfachen Antworten geben, kritisierte Carina Reiter (ÖVP) die Sozialdemokrat:innen. Die Grundlage des Wohlstands in Österreich sei eine dynamische Marktwirtschaft und keine Planwirtschaft. Pauschale Lösungsvorschläge, wie eine Senkung der Mehrwertsteuer, seien nicht zielführend und demonstrierten lediglich einen "billigen Populismus".

FPÖ macht Corona-Politik und Russland-Sanktionen für Teuerung verantwortlich

Herbert Kickl (FPÖ) sparte in seiner Rede nicht mit Kritik an allen anderen Parlamentsfraktionen, die er als "Einheitspartei" bezeichnete. Österreich habe ein "ruiniertes Gesundheits- und Pflegesystem", sei der "größte Asylmagnet in der EU" und nun auch noch die "Nummer Eins bei der Geldentwertung" unter den Euro-Ländern. Die Armut habe längst arbeitende Menschen und Pensionist:innen erreicht, so Kickl, der der Regierung vorwarf, diese im Stich zu lassen. Als Ursachen machte der Abgeordnete eine "fanatische und falsche Corona-Politik", eine "Verteufelung von Kohle, Öl und Gas im Namen der Energiewende", eine "Beteiligung an einem Wirtschaftskrieg der EU" und eine "verantwortungslose Politik der Europäischen Zentralbank" aus. Die FPÖ würde sofort die Mieterhöhung aussetzen, die CO2-Besteuerung zurücknehmen und die Energiepreise deckeln. Darüber hinaus gebe es laut Kickl noch eine Maßnahme, die sofort wirksam wäre: der Rücktritt der Bundesregierung.

Christian Hafenecker (FPÖ) brachte den entsprechenden Misstrauensantrag ein, der wie der SPÖ-Antrag ebenfalls in der Minderheit blieb. Auch für die Forderung, von der ORF-Haushaltsabgabe Abstand zu nehmen und die CO2-Abgabe abzuschaffen, konnte die FPÖ keine Zustimmung finden. Eine Bundesregierung "im Blindflug" ohne konkrete Lösungsansätze sah Peter Wurm (FPÖ) bei der Krisenbewältigung "am Werk". Allein die COVID-19-Maßnahmenpolitik habe Gesamtkosten von 100 Mrd. € verursacht – eine Summe die jede Armutsgefährdung in Österreich hätte beseitigen können.

Wurms Fraktionskollegin Dagmar Belakowitsch verwies auf die SPÖ, bei der es bezüglich der Mieten in Wien ebenfalls einen "Sündenfall" gebe. Die derzeitige Inflation sei "nicht vom Himmel gefallen" und die FPÖ habe bereits im September 2021 – noch vor dem Krieg in der Ukraine – ihren ersten Antrag auf Deckelung der Energiepreise gestellt, die nun den größten Inflationstreiber darstellten. Doch die Bundesregierung habe diese durch die CO2-Bepreisung stattdessen noch weiter erhöht.

Grüne fordern konstruktive Beteiligung der Opposition

Sigrid Maurer (Grüne) übte scharfe Kritik an der Rede von Herbert Kickl, die aus ihrer Sicht "an Scheinheiligkeit nicht zu überbieten" sei. Die FPÖ lüge ihren Wähler:innen ins Gesicht, warf Maurer den Freiheitlichen vor. Für diese Ausdrücke erteilte der Dritte Nationalratspräsident Norbert Hofer, der den Vorsitz der Sitzung führte, Maurer einen Ordnungsruf.

Dass der Nationalrat heute zum Thema Teuerung debattiere, ist für Maurer "richtig und wichtig", wenngleich sie den von der SPÖ gewählten Titel nicht konstruktiv fand. Einfache Lösungen wie Deckelungen seien zu wenig. Deshalb habe die Regierung die "schweren Brocken" in Angriff genommen und etwa Sozial- und Familienleistungen valorisiert. Dass die Inflation langsamer sinke als erwartet, liege laut Maurer auch an den in der Vergangenheit "hausgemachten Problemen", nämlich der Abhängigkeit von fossilen Energieimporten und der Übermacht der Supermarktketten. Die Opposition forderte sie auf, sich bei der Lösung dieser Probleme konstruktiv einzubringen und die "Fake News" einzustellen.

Der "ursächliche Treiber" der Inflation seien die Importe fossiler Energie, erklärte Jakob Schwarz (Grüne). Daher arbeite die Bundesregierung gezielt am Ausbau erneuerbarer Energien, um die Abhängigkeit von diesen zu reduzieren. Hinsichtlich der Teuerung sei durch Studien nachgewiesen, dass diese durch die bereits gesetzten Maßnahmen bei den untersten Einkommensschichten am meisten abgefedert würde und bei den obersten nur etwa zu einem Drittel, was deren Treffsicherheit demonstriere. Grünen-Mandatarin Barbara Neßler sprach die Problematik der Kinderarmut an, gegen die Bundeskanzler Nehammer weitere Maßnahmen angekündigt habe. Armut werde nach wie vor vererbt und es bedürfe existenzsichernder Strukturen, wie etwa eine Kindergrundsicherung, um dem Phänomen entgegenzuwirken. Dafür brauche es aber Zeit, um ein möglichst treffsicheres Paket zu konzipieren, so Neßler.

NEOS: Förderungspolitik der Regierung hat Inflation befeuert

Seit Monaten weise ihre Fraktion darauf hin, dass Österreich nicht gut dastehe, sagte Beate Meinl-Reisinger (NEOS). Für die Ursache, nämlich den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine könne weder Österreich noch die EU etwas. Nicht außerhalb des Einflussbereichs liege aber die Entscheidung, wie man damit umgehe. Durch Förderungen "mit der Gießkanne" habe die Regierung in den vergangenen Monaten die Teuerung sogar weiter befeuert. Stattdessen hätte man den ökonomisch Schwächsten helfen müssen, meinte Meinl-Reisinger. Nun gelte es, dort Maßnahmen zu setzen, wo der Staat eingreifen kann, etwa über die Landesenergieversorger. Außerdem sprach sich die NEOS-Klubchefin erneut für eine Senkung der Steuern auf Löhne und Einkommen aus.

Ein Teil der Inflation sei von der Bundesregierung selbst produziert, da sie in der Krisenbewältigung undifferenziert "Geld rausgeblasen" und "jedem alles ersetzt" habe, zeigte NEOS-Mandatar Gerald Loacker auf und verwies etwa auf den Klimabonus und den Energiekostenzuschuss. In Form eines Entschließungsantrags forderte er aus seiner Sicht adäquatere Maßnahmen, wie die Senkung von Abgaben und Gebühren auf Bundes-, Landes- und Gemeindeebene sowie Entlastungen durch niedrigere Steuern, anstatt "durch ziellose Geldgeschenke". Der Antrag blieb in der Minderheit. Auch Karin Doppelbauer (NEOS) sprach von einer "hausgemachten Inflation" und warnte vor einem "Schuldenrucksack", den die nächsten Generationen noch abbezahlen müssten.

Regierung kündigt Maßnahmen gegen Kinderarmut an

Die Preisanstiege bedeuteten tatsächlich eine große Belastung für Haushalte und Unternehmen, stellte Arbeits- und Wirtschaftsminister Martin Kocher fest. Wer behaupte, der Inflation mit einfachen Lösungen begegnen zu können, erweise der Diskussion jedoch einen "Bärendienst". Es gehe darum, sowohl die Kaufkraft zu stärken als auch der Inflation mit gezielten Maßnahmen entgegenzuwirken. So müsse vornehmlich im Energiebereich angesetzt werden. Maßnahmen wie die Senkung der Mehrwertsteuer würden laut Kocher lediglich eine ineffiziente "Gießkannenpolitik" darstellen.

Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig listete eine Reihe von bereits gesetzten Entlastungsmaßnahmen und deren Volumen auf, die sowohl unmittelbar als auch langfristig wirken würden. Im europaweiten Vergleich befinde sich Österreich hinsichtlich der Inflationsrate im unteren Drittel, doch würden vor allem Menschen im unteren Einkommenssegment mit den Preissteigerungen beim wöchentlichen Einkauf "zu kämpfen haben".

Sozialminister Johannes Rauch führte Daten zur Armutsgefährung an, die zeigen würden, dass Österreich hier besser als der europäische Durchschnitt sei. Dennoch sei jeder einzelne von Armut betroffene Mensch einer zu viel. Weitere Maßnahmen zur Bekämpfung von Kinderarmut seien gerade in Ausarbeitung und werden kommende Woche präsentiert, kündigte Rauch an. (Fortsetzung Nationalrat) kar/wit

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