Parlamentskorrespondenz Nr. 614 vom 05.06.2023

Lehrpraxen: Gesundheitsministerium zieht positive erste Bilanz

Evaluierungsbericht zeigt gesteigerte Ausbildungsqualität in der Allgemeinmedizin, Verbesserungsbedarf bei organisatorischen Inhalten

Wien (PK) – Die erste Evaluierung der 2015 im Rahmen der Ausbildung zum/zur Allgemeinmediziner:in verpflichtend eingeführten Absolvierung einer sechsmonatigen Lehrpraxis fällt großteils positiv aus. In seinem Bericht (III-952 d.B.) dazu führt das Gesundheitsministerium unter anderem den Praxisgewinn bei Turnusärzt:innen in niedergelassenen Ordinationen im Vergleich zum reinen Krankenhausturnus an, sowohl in medizinisch-fachlicher Hinsicht als auch beim Umgang mit Patient:innen. Verbesserungspotential gibt es laut Bericht allerdings bei der Wissensvermittlung über organisatorische und betriebswirtschaftliche Aspekte einer Hausarztpraxis. Neben qualitativen Studien und quantitativen Analysen der Lehrpraxis in der Allgemeinmedizin, beauftragt vom Dachverband der Sozialversicherungsträger, lagen der Evaluierung Umfragen unter den Lehrpraktikant:innen (LP) und Lehrpraxisinhaber:innen (LPI) durch die Österreichische Ärztekammer zugrunde. Ergänzende Recherchen gab es auf Websites und in Datenbanken relevanter Organisationen wie universitären Instituten für Allgemeinmedizin sowie bei vergleichbaren Ausbildungsabschnitten in anderen europäischen Ländern.

Persönliches Ausbildungsverhältnis maßgeblich für Erfolg

Die Änderung der Ärztinnen‐/Ärzte‐Ausbildungsordnung 2015 zielte auf eine Attraktivierung der Ausbildung ab und sollte durch die sechsmonatige verpflichtende Lehrpraxis die Auszubildenden besser an eine spätere Tätigkeit als Hausärztin oder ‐arzt heranzuführen. Aus den Erhebungen, auf denen die vorliegende Evaluierung fußt, geht hervor, dass die Zielsetzungen weitgehend erreicht wurden.

Von den Turnusärzt:innen in einer Lehrpraxis gaben bei der ÖÄK-Untersuchung 87,2 % ihrer Ausbildung die Schulnote "Sehr gut" oder "Gut". In nahezu allen medizinisch‐fachlichen Teilbereichen schätzten LP und LPI zu über 60 % den Lerngewinn als sehr groß oder groß ein. Der allgemein hohe Zuspruch zum Ausbildungsabschnitt der Lehrpraxis bei LP und LPI wurde in den Befragungen vorrangig mit dem engen Ausbildungsverhältnis erklärt, wobei man die Ausbildungsqualität als maßgeblich abhängig von den involvierten Personen definierte. Insbesondere hinsichtlich strukturierter Feedbackkultur in einer Lehrpraxis abseits der gesetzlich vorgesehenen Evaluierungsgespräche mit den LP gab es unterschiedliche Bewertungen. Grundsätzlich wurde aber sowohl von LP als auch von LPI die Zusammenarbeit als positiv empfunden.

Als großen Lerngewinn beschrieben die meisten LP die Behandlung von im Spital nicht auszumachenden Krankheitsbildern, extramurale diagnostische Möglichkeiten, die Bedeutung der eingehenden Anamnese und den Kompetenzerwerb beim Umgang mit Patientinnen und Patienten. Lernerfahrungen im Notfallmanagement gaben hingegen nur knapp über 20 % der LP und knapp 50 % der LPI als Erfolg der Lehrpraxis an. Mehr fachliche Anleitungen wünschten sich die Auszubildenden überdies bei der Behandlung chronisch Kranker.

Ausbildungsschemata nicht vollständig angepasst

In Hinblick auf die medizinisch-fachlichen Inhalte der Rasterzeugnisse für die Ärzteausbildung zeigte sich, dass in den einzelnen Lehrpraxen meist nicht sämtliche erforderlichen Fähigkeiten vermittelt werden können. Grundsätzlich wurde von den Befragten die derzeitige Dauer des Lehrpraxis-Abschnitts tendenziell als zu kurz eingestuft, um alle Ausbildungsinhalte der Rasterzeugnisse unterzubringen. Für eine Verlängerung der Lehrpraxis-Zeit sprach sich allerdings nur ein Teil der Befragten aus, und auch nur dann, wenn dies mit der Möglichkeit eines Praxiswechsels verbunden wäre.

Bei den Themen Praxisorganisation und Ökonomieverhalten gaben zwar mehr als die Hälfte der LP in der Umfrage der ÖÄK einen sehr großen oder großen Lernzuwachs an. Die LPI sehen in der Allgemeinmediziner:innen‐Ausbildung jedoch Lücken hinsichtlich der betriebswirtschaftlichen Grundlagen der Ordinationsführung. Von beiden Gruppen wurde der Wunsch nach entsprechenden Fortbildungen und Vernetzungstreffen geäußert. Verbesserungspotenzial hinsichtlich des Einkommens der LP wurde bei den Befragungen ebenfalls aufgezeigt, da in den Lehrpraxen durch das Wegfallen der Nachtdienste im Krankenhaus sowie durch die Reduktion auf eine Arbeitszeit von 30 Stunden teilweise deutliche Einkommensverluste im Vergleich zum Spitalsturnus schlagend werden.

Die öffentliche Förderung der Lehrpraxis wurde von den LPI als positiv hervorgehoben, wobei zum Zeitpunkt der Erhebung noch 10 % der Gehaltskosten von den LPI zu tragen waren, mittlerweile wurde dieser Betrag für die Jahre 2022 und 2023 auf 15 % erhöht. Den Rest tragen Bund, Länder und Sozialversicherung. Bei der organisatorischen Umsetzung der Lehrpraxisförderung und beim Bewilligungsprozess bzw. dem diesbezüglichen administrativen Aufwand werden von den LPI allerdings Vereinheitlichungen bzw. Vereinfachungen eingefordert.

Zulauf zur Allgemeinmedizin weiterhin mäßig

Trotz der positiven Bewertungen einer Lehrpraxis durch Turnusärzt:innen zeigte sich bei den Erhebungen, dass nur 4 von 10 Absolvent:innen eines Medizinstudiums eine berufliche Karriere in der Allgemeinmedizin anstreben. Generell zieht der Großteil an Jungärzt:innen eine Tätigkeit in Gruppenpraxen, Primärversorgungseinrichtungen oder Jobsharing-Modellen der Etablierung einer Einzelpraxis als Hausarzt oder Hausärztin vor.

Dem Bericht zufolge will der Großteil der LPI mit dem Ausbildungsangebot die Begeisterung für die Allgemeinmedizin unter den Jungärzt:innen wecken. Zur besseren Vermittlung von LP an freie Lehrpraxisstellen wurde seitens der LPI eine online-Plattform angeregt, zudem wünschen sich die Ausbilder:innen genauso wie die LP niederschwellig erreichbare Ansprechstellen zur Klärung etwaiger Probleme im Lehrpraxisbetrieb. Von Schwierigkeiten bei der Rekrutierung von LP berichteten vor allem Landärzt:innen aufgrund ihrer geografisch Lage; laut Bericht gibt es in Österreich mittlerweile jedoch 724 bewilligte Ausbildungsstellen für die allgemeinmedizinische Lehrpraxis. Bis 31.12.2022 lag die Ab- und Anerkennung der Ausbildungsstätten in der Verantwortung der Österreichischen Ärztekammer. Anfang 2023 ging diese Zuständigkeit an die jeweiligen Landesregierungen über, wobei das elektronische Ausbildungsstättenverzeichnis weiterhin von der Ärztekammer geführt und auf ihrer Website veröffentlicht wird. (Schluss) rei