Parlamentskorrespondenz Nr. 768 vom 29.06.2023

COVID-19-Übergangsgesetz hat letzte parlamentarische Hürde genommen

Auch weitere Nationalratsbeschlüsse passierten den Bundesrat ohne Einspruch

Wien (PK) – COVID-19 wird in Österreich ab Juli keine anzeigenpflichtige Infektionskrankheit mehr sein. Der entsprechende Gesetzesbeschluss des Nationalrats hat heute mit den Stimmen der Koalitionsparteien den Bundesrat passiert. Damit wird ein vorläufiger Schlussstrich unter die COVID-19-Pandemie gezogen. Kostenfreie Impfungen wird es aber – basierend auf noch auszuarbeitenden Impfempfehlungen – weiterhin geben. Auch bewährte Monitoringprogramme wie Abwasseranalysen werden fortgeführt und einzelne im Zuge der Corona-Pandemie eingeführte Sonderregelungen ins Dauerrecht übernommen. Die Kosten von Corona-Tests werden allerdings nur noch bei vorliegenden Symptomen von der Krankenversicherung getragen.

Begründet wird das Aus für den Großteil der Corona-Regelungen mit der höheren Grundimmunität der Bevölkerung sowie den milden Krankheitsverläufen durch die vorherrschenden Virusvarianten. Dadurch habe sich das Risiko für die Gesundheit und das Gesundheitssystem deutlich verringert, argumentieren ÖVP und Grüne. Die Opposition sieht das Gesetzespaket allerdings teilweise kritisch, wobei der SPÖ die Maßnahmen etwas zu weit gehen, während die FPÖ eine vollständige Rückkehr zur Normalität vermisst.

Endgültig auf Schiene sind auch weitere Gesetzesbeschlüsse des Nationalrats aus dem Gesundheits- und Sozialbereich. Das betrifft etwa eine Novelle zum Apothekengesetz, die künftig unter anderem die Einrichtung von Abholfächern für Medikamente in Apotheken ermöglicht. Zudem werden befristet eingeführte Regeln zur Opioid-Substitutionsbehandlung für Drogenkranke ins Dauerrecht übergeführt, nachdem sich diese nach Meinung aller Fraktionen bewährt haben. Einkommensschwache Haushalte werden bis Ende 2024 monatliche Sonderzuschüsse von 60 € für jedes Kind erhalten.

Keine Mehrheit erhielten Entschließungsanträge der Opposition, die im Zuge der Beratungen eingebracht wurden. Während die SPÖ weiterhin auf ein Inflationsdämpfungsgesetz pocht und für ein "Gesundheitsversorgungspaket" warb, bekräftigte die FPÖ ihre Forderung nach einem Corona-Wiedergutmachungsfonds des Bundes.

COVID-19-Überführungsgesetz: SPÖ und NEOS sehen positive und negative Punkte

Ergänzt wird das heute endgültig fixierte COVID-19-Überführungsgesetz durch ein COVID-19-Impffinanzierungsgesetz, das die Finanzierung von Schutzimpfungen für den kommenden Winter regelt. Demnach wird der Bund den Ländern und den Gemeinden einen Aufwandsersatz von 20 € pro Impfung gewähren. Umfasst sind alle kostenfreien Impfungen, die zwischen Anfang Juli 2023 und Ende März 2024 verabreicht werden.

Seitens der SPÖ begrüßte der niederösterreichische Bundesrat Christian Fischer grundsätzlich das Aus für einen Großteil der Corona-Regelungen. Seiner Meinung nach geht das Überführungsgesetz aber "etwas zu weit". Man sei zu unbesorgt, schloss er sich der Stellungnahme einer Ärztin an. So sieht Fischer etwa die teilweise Abschaffung von kostenfreien Testungen kritisch. Zudem wies er auf Kritik der Länder hin, die die 20 € pro Impfung als zu niedrig bewerten. Fischer vermisst darüber hinaus "ein sinnvolles Epidemiegesetz", man müsse aus der COVID-19-Pandemie lernen.

Der SPÖ-Bundesrat nutzte die Debatte auch dazu, um von der Regierung die Vorlage eines Gesundheitsversorgungspakets einzufordern. Unter anderem sind der SPÖ die Rückabwicklung der Sozialversicherungsreform, die Ausschüttung der versprochenen "Patientenmilliarde", ein Anreizsystem für Kassenärzt:innen und eine Verdoppelung der Medizinstudienplätze ein Anliegen. Auch plädierte Fischer dafür, das deutsche "Modell Landarztquote" in adaptierter Form in Österreich einzuführen.

Das vorliegende Gesetz habe positive und negative Komponenten, meinte auch NEOS-Abgeordneter Karl-Arthur Arlamovsky. So hält er es für gut, dass es weiterhin eine epidemiologische Überwachung geben wird und die Kosten für Tests bei Symptomen – wie für alle anderen Diagnosen – weiterhin von der Krankenkasse getragen werden. Hingegen kritisierte er die vorgesehenen Zweckzuschüsse für die Länder und die Gemeinden, zumal ihm zufolge nicht sichergestellt ist, dass die Mittel tatsächlich zweckgemäß verwendet werden. Es gebe keine Notwendigkeit, weiterhin spezielle Impfstellen zu betreiben, erklärte Arlamovsky.

FPÖ fordert Entschuldigung "für zweieinhalb Jahre Corona-Wahnsinn"

Eine "ehrliche Entschuldigung für zweieinhalb Jahre Corona-Wahnsinn" forderte der steirische FPÖ-Bundesrat Markus Leinfellner. Österreich habe in den letzten zweieinhalb Jahre 70 Mrd. € ausgegeben, um völlig übertriebene Maßnahmen abzufedern, beklagte er. Auch nach Meinung seines Tiroler Parteikollegen Christoph Steiner hat sich die Regierung durch völlig überzogene Corona-Maßnahmen disqualifiziert. Es brauche einen Untersuchungsausschuss, ist Leinfellner überzeugt.

Mit einem Entschließungsantrag forderten Leinfellner und sein Fraktionskollege Andreas Arthur Spanring die Einrichtung eines mit mindestens 250 Mio. € dotierten Corona-Wiedergutmachungsfonds des Bundes. Dieser soll der FPÖ zufolge nicht nur die Auswirkungen der Corona-Maßnahmen evaluieren und dokumentieren, sondern auch Personen mit Therapiebedarf infolge von Impfbeeinträchtigungen oder psychischer Probleme unterstützen. Auch Gutscheine für Nachhilfe und Freizeitaktivitäten sowie weitere Maßnahmen sollten aus dem Fonds finanziert werden.

ÖVP und Grüne halten Vorsicht weiter für geboten

Claudia Hauschildt-Buschberger (Grüne/OÖ) betonte, dass mit dem Ende der Meldepflicht auch alle Verkehrsbeschränkungen für mit dem Coronavirus infizierte Personen nach dem COVID-19-Maßnahmengesetz enden. "Wir werden aber weiter achtsam und vorsichtig sein", versicherte sie. Niemand werde vergessen, wie die Zeit der Corona-Pandemie gewesen sei. Ausdrücklich begrüßte Hauschildt-Buschberger, dass es bei niedergelassenen Ärzt:innen weiterhin kostenlose COVID-19-Test geben wird, wenn entsprechende Symptome vorliegen. Auch die Corona-Impfung und Medikamente würden über den 30. Juni 2023 kostenlos bleiben.

Vorsicht und Wachsamkeit hält auch die oberösterreichische ÖVP-Bundesrätin Johanna Miesenberger (ÖVP/OÖ) weiterhin für geboten. Die WHO habe mittlerweile zwar den weltweiten Gesundheits-Notstand aufgehoben, ein völliges Aus für alle Vorkehrungen, wie von der FPÖ gefordert, wäre ihrer Meinung nach allerdings "leichtsinnig". Matthias Zauner (ÖVP/NÖ) verteidigte die COVID-19-Hilfen und wies auf die Aufarbeitung der COVID-19-Pandemie hin. Mit dem morgigen Tag könne man ein neues Kapitel in Österreich eröffnen, zeigte er sich erfreut.

Rauch: Vorsichtsmaßnahmen werden nicht abgeschafft

"Wir schaffen nicht alle Vorsichtsmaßnahmen ab, wir sind ja nicht dumm", hielt Gesundheitsminister Johannes Rauch der SPÖ entgegen. Nur weil es derzeit in Österreich eine gute epidemiologische Situation gebe, werde das Virus nicht verschwinden. In diesem Sinn seien etwa weiterhin Abwasseranalysen vorgesehen.

Was die laufenden Finanzausgleichsverhandlungen betrifft, zeigte sich Rauch zuversichtlich, dass es zu einer Einigung mit den Ländern und den Gemeinden kommen wird. Diesen sei ein neuer Finanzausgleich ein wesentliches Anliegen, da sie mehr Geld für die Bereiche Gesundheit und Pflege brauchen, meinte er. Bei den Primärversorgungszentren erwartet Rauch nicht zuletzt durch die im Parlament liegende Primärversorgungsnovelle einen "Boom".

Kinderzuschuss für einkommensschwache Haushalte

Angesichts der anhaltenden Teuerung hat das Parlament bereits vor drei Wochen beschlossen, für jedes Kind in Sozialhilfe-Haushalten zwischen Juli 2023 und Dezember 2024 einen monatlichen Sonderzuschuss von 60 € zu gewähren. Nun wird dieses Vorhaben ausgeweitet. Auch Bezieher:innen von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe, Mindestpensionist:innen sowie Alleinerzieher:innen und Alleinverdiener:innen mit einem Monatseinkommen unter 2.000 € brutto  werden diesen Kinderzuschuss erhalten. Auch gegen diese Gesetzesnovelle hat der Bundesrat heute mit Stimmenmehrheit keinen Einspruch erhoben. Sie kann somit in den nächsten Tagen kundgemacht werden.

SPÖ und FPÖ kritisieren "Almosen"

In der Debatte mahnte Andreas Babler (SPÖ/NÖ) von der Regierung erneut die Vorlage eines Inflationsdämpfungspakets ein. Es brauche die Einführung einer Mietpreisbremse, ein temporäres Aussetzen der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel des täglichen Bedarfs und die Einsetzung einer schlagkräftigen Anti-Teuerungskommission, bekräftigte er. Zudem warb er erneut für die Einführung einer Kindergrundsicherung und für eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes.

Scharfe Kritik übte Babler an jüngsten Aussagen von Finanzminister Magnus Brunner, wonach die hohen Lohnsteigerungen in Österreich die Inflation befeuert haben. Die Löhne seien nicht Schuld an der Teuerung, verantwortlich dafür sei vielmehr die Regierungspolitik, die es zulasse, dass Energie- und Lebensmittelkonzerne Übergewinne machten und die Immobilienwirtschaft Mieten immer weiter erhöhen könne, bekräftigte er. Babler berief sich dabei auch auf vom Internationalen Währungsfonds veröffentlichte Zahlen, wonach 50 % der Inflation durch Übergewinne von Konzernen verursacht worden seien. Die Löhne müssen ihm zufolge steigen, "damit sich die Menschen das Leben noch leisten können". Viele Menschen in Österreich seien armutsgefährdet, obwohl sie arbeiten.

Dass die SPÖ dem vorliegenden Paket gegen Kinderarmut nicht zustimmt, begründete Bablers Wiener Fraktionskollegin Daniela Gruber-Pruner damit, dass dieses nicht nachhaltig sei. Man setze an den falschen Hebeln an, ist auch Dominik Reisinger (SPÖ/OÖ) überzeugt. Sowohl er als auch Sascha Obrecht (SPÖ/W) sprachen von "Almosen". Um von Armut betroffene bzw. armutsgefährdete Familien gezielt zu unterstützen, regte Gruber-Pruner unter anderem an, die früheren Krankenkassen-Ferienzuschüsse wieder flächendeckend einzuführen.

Die Salzburger FPÖ-Abgeordnete Marlies Doppler kündigte die Zustimmung ihrer Fratkion zur vorliegenden Gesetzesnovelle an, bedauerte allerdings, dass das gesamte Paket gegen Kinderarmut nicht schon bei der letzten Sitzung beschlossen wurde. Die Familien bräuchten rasch Unterstützung, "es brennt der Hut", betonte sie. Jedes fünfte Kind in Österreich sei armutsgefährdet. Statt nachhaltige und langfristig wirksame Maßnahmen zu setzen und die Familienleistungen über der Inflationsrate zu erhöhen, würden Menschen außerdem "mit befristeten Einmalzahlungen abgespeist", hielt Doppler kritisch fest. Auch für sie sind die 60 € pro Monat nur "Almosen". Ihr Parteikollege Klemens Kofler hält den Zuschuss ebenfalls für "zu wenig".

Doppler kritisierte aber nicht nur die schwarz-grüne Regierung, sondern attackierte in ihrer Rede auch SPÖ-Chef Andreas Babler, dem sie unter anderem vorwarf, selten im Bundesrat anwesend zu sein. Auch der Wiener ÖVP-Bundesrat Harald Himmer schoss sich in auf den neuen SPÖ-Chef ein.

Grüne und ÖVP: Paket gegen Kinderarmut ist treffsicher

Seitens der Koalitionsparteien verwahrte sich Simone Jagl (Grüne/NÖ) gegen den Begriff "Almosen". Der monatliche Zuschuss von 60 € würde automatisch ausgezahlt, ohne irgendwelche Antrags- oder Bittstellung, gab sie zu bedenken. Mit der vorliegenden Gesetzesnovelle wird ihrer Meinung nach ein "wirkungsvoller und treffsicherer" Schritt zur Reduzierung von Kinderarmut in Österreich gesetzt.

Jagl wies auch darauf hin, dass von den bereitgestellten rund 500 Mio. € 30 % an die Bevölkerungsgruppe mit den niedrigsten Einkommen fließen. Rechne man andere Maßnahmen wie die Valorisierung der Familienleistungen hinzu, ergebe sich für Familien mit zwei Kindern ein Plus von 270 € pro Monat. Die von der SPÖ geforderte Aussetzung der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel wäre hingegen ein Musterbeispiel für das viel kritisierte Gießkannenprinzip, machte sie geltend. Diese Maßnahme würde 600 Mio. € kosten und für Familien in der unteren Einkommenshälfte lediglich 130 € pro Kopf und Jahr bringen.

Auch Margit Göll (ÖVP/NÖ) betonte, dass mit dem Paket gegen Kinderarmut Familien, die von der Krise besonders betroffen seien, "punktgenau" unterstützt würden. Das vorliegende Gesetz komme 400.000 Kindern zugute, hob sie hervor. Die Unterstützung sei nötig, da durch die Teuerung so manches Haushaltsbudget aus dem Gleichgewicht geraten sei. Auch insgesamt habe die Regierung in den letzten Jahren viel für Familien getan, sagte Göll und verwies etwa auf die Abschaffung der kalten Progression und die Valorisierung von Familien- und Sozialleistungen.

Ihre Vorarlberger Parteikollegin Heike Eder zeigte sich überzeugt, dass Österreich "das bestausgebaute Sozialsystem der Welt" hat. Auch liege Österreich bei der Pro-Kopf-Kaufkraft unter den "TOP 10" in Europa. Im Gegensatz zu Deutschland werde es in Österreich heuer außerdem ein Wirtschaftswachstum geben.

Rauch: Kinderzuschuss ist keine Einmalzahlung, sondern strukturelle Hilfe

Sozialminister Johannes Rauch erinnerte daran, dass es die FPÖ gewesen sei, die in der Vorgängerregierung "die Schneise" für Einschnitte bei der Mindestsicherung geschlagen habe und die in jenen Bundesländern, in denen sie mitregiere, Möglichkeiten zur Abfederung von Härten nicht nutze. Er spricht der FPÖ in diesem Sinn jede Glaubwürdigkeit ab, was sozialpolitische Forderungen betrifft.

Auch Kritik von Seiten der SPÖ ließ Rauch nicht gelten. Die 60 € seien keine Einmalzahlung, sondern eine strukturelle Hilfe für eineinhalb Jahre, hielt er fest. Zudem verwies er auf zahlreiche andere sozialpolitische Maßnahmen der Regierung, wobei er als Beispiele nicht nur die Valorisierung von Familienleistungen, sondern etwa auch den Wohnschirm, die Abschöpfung von Übergewinnen bei Energiekonzernen, die Einschaltung der Bundeswettbewerbsbehörde und Einmalzahlungen für Pensionist:innen – zusätzlich zu den Pensionsanpassungen – nannte. (Fortsetzung Bundesrat) gs

HINWEIS: Sitzungen des Nationalrats und des Bundesrats können auch via Livestream mitverfolgt werden und sind als Video-on-Demand in der Mediathek des Parlaments verfügbar.


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