Parlamentskorrespondenz Nr. 1020 vom 05.10.2023

Parlament: Podiumsdiskussion über Wechselwirkungen und Konflikte zwischen U-Ausschüssen und strafrechtlichen Ermittlungen

Expert:innen orten in manchen Punkten rechtlichen Anpassungsbedarf

Wien (PK) – Ist es zweckmäßig, parlamentarische Untersuchungsausschüsse parallel zu strafrechtlichen Ermittlungen zu führen oder sollen diese abgewartet werden, selbst wenn sie jahrelang dauern? Und wie können potenzielle Konflikte durch den zeitgleichen Ablauf vermieden bzw. entschärft werden? Diese Fragen beschäftigen in regelmäßigen Abständen Politik, Verwaltung und Justiz. Heute Abend fand dazu auf Einladung der Parlamentsdirektion und der Österreichischen Gesellschaft für Strafrecht und Kriminologie eine Podiumsdiskussion im Parlament statt, bei der vor allem praktische juristische Fragen im Fokus standen. Neben Susanne Reindl-Krauskopf, Vorstand des Instituts für Strafrecht und Kriminologie an der Universität Wien und Markus Vašek, Vorstand des Instituts für Verwaltungs­recht und Verwaltungs­lehre an der Johannes Kepler Universität Linz, saßen auch die Leiterin des Rechts-, Legislativ- und Wissenschaftlichen Dienstes der Parlaments­direktion, Gerlinde Wagner, und die Leiterin der Abteilung Ausschussangelegenheiten und Untersuchungs­ausschüsse der Parlaments­direktion, Heidrun Neuhauser, am Podium.

Wechselwirkungen zwischen parlamentarischen Untersuchungsausschüssen und strafrechtlichen Ermittlungen gibt es einige. So dürfen sich Auskunfts­personen bei laufenden, straf­prozessualen Ermittlungen vor dem U-Ausschuss entschlagen. Beweis­mittel aus strafrechtlichen Ermittlungen finden mitunter Eingang in Untersuchungs­­sauschüsse. Und Falsch­aussagen vor dem Untersuchungs­ausschuss können zu Strafverfahren und Verurteilungen führen.

Strafrechtliche Vorwürfe und politische Verantwortlich­keiten sind außerdem oft schwer voneinander abgrenzbar, wie auch Farsam Salimi, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Strafrecht und Kriminologie, als Moderator der Podiumsdiskussion betonte. Die Wechselwirkungen seien hoch-komplex, sagte er. In der heutigen Diskussion sah er einen Startschuss für eine notwendige weiterführende Debatte auf wissenschaftlicher und juristischer Ebene, um zu mehr Rechtsklarheit zu kommen.

Mehr Sensibilität gegenüber Persönlichkeitsrechten

Parallel laufende Verfahren seien kein neues Phänomen, hielt Susanne Reindl-Krauskopf, Vorstand des Instituts für Strafrecht und Kriminologie an der Universität Wien, in Antwort auf die Einstiegsfrage Salimis fest. Dass es nun jedoch häufiger zu Parallelitäten zwischen strafrechtlichen Ermittlungen und U-Ausschüssen komme, führte sie zum einen auf neue Straftatbestände – etwa im Korruptionsstrafrecht –, zum anderen insbesondere aber auch auf Tendenzen in der Gesellschaft zurück, Konflikte vermehrt mit strafrechtlichen Mitteln auszutragen. Werde Anzeige erstattet, seien die Strafverfolgungsbehörden verpflichtet, dem nachzugehen.

Während Ermittlungsverfahren aber geheim konzipiert seien, auch um eine Stigmatisierung der beschuldigten Person zu vermeiden, schließlich könnten sich die Vorwürfe als ungerechtfertigt erweisen, spiele bei U-Ausschüssen Öffentlichkeitsarbeit eine große Rolle, gab Reindl-Krauskopf zu bedenken. Auch gebe es bei U-Ausschüssen keinen formellen Beschuldigten, während man in gerichtlichen Verfahren zwischen Zeugen und Beschuldigten unterscheide. Letztere dürften schweigen und machten sich auch mit Falschaussagen nicht strafbar, während Auskunftspersonen in U-Ausschüssen grundsätzlich unter Wahrheitspflicht stünden. Zwar könnten sie sich – wie Zeugen – auf einen Aussagenotstand berufen, die Lösung "hinkt" ihrer Meinung nach aber.

Reindl-Krauskopf hob zudem hervor, dass die Befragungssituation in U-Ausschüssen anders sei als vor Gericht, wo es eine klare Struktur gebe. In U-Ausschüssen gehe es oft sehr emotional zu, zudem würden Befragungen durch viele Akteur:innen vorgenommen, oft kombiniert mit der Vorlage von Dokumenten. Damit sei es für Befragte schwierig, Übersicht über das Gesagte zu behalten. Vor diesem Hintergrund der unterschiedlichen Rollenverteilung hält sie die Bestimmungen über Falschaussagen auch nicht eins zu eins auf U-Ausschüsse übertragbar.

Als weiteres Problem sieht Reindl-Krauskopf, dass Unterlagen, die Ermittlungsbehörden nicht zum Akt nehmen dürfen – etwa wenn sich nachträglich herausstellt, dass sie widerrechtlich sichergestellt wurden –, über den Umweg des Untersuchungsausschusses verwertet werden können und damit auch die Gefahr einhergeht, dass sie an die Öffentlichkeit gelangen. Sie sehe ein, dass der Untersuchungsausschuss so viele Informationen wie möglich haben wolle, meinte sie, aus strafrechtlicher Sicht sei es aber "sehr schwer erträglich", dass Informationen übermittelt werden müssten, die im Strafverfahren selbst nicht verwendet werden dürfen. Damit würden Beschuldigtenrechte beeinträchtigt. Zumindest Beweise, die nach der Strafprozessordnung zu vernichten sind, sollten von der Aktenvorlagepflicht ausgenommen werden, regte die Strafrechtsexpertin in diesem Sinn an und plädierte dafür, sich in diesem Zusammenhang auch § 23 der Verfahrensordnung für parlamentarische Untersuchungsausschüsse genauer anzuschauen. Auch mehr Sensibilität der Abgeordneten gegenüber Persönlichkeitsrechten nannte Reindl-Krauskopf als ein Anliegen.

Wechselseitige Rücksichtnahme von Ermittlungsbehörden und U-Ausschüssen

Gerlinde Wagner, Leiterin des Rechts-, Legislativ- und Wissenschaftlichen Dienstes der Parlamentsdirektion, hob hervor, dass sich die Stoßrichtung eines U-Ausschusses deutlich von der Stoßrichtung strafrechtlicher Ermittlungen unterscheide, auch wenn gleiche Vorgänge untersucht würden. Bei U-Ausschüssen gehe es um politische Kontrolle und um politische Verantwortung. Der Verfassungsgerichtshof habe in der Judikatur auch keine Vorrangstellung für strafrechtliche Ermittlungen ausgesprochen, vielmehr seien wechselseitige Rücksichtnahmen vorgesehen. Etwa müssten Ladungslisten an das Justizministerium übermittelt werden, welches ein Konsultationsverfahren in die Wege leiten kann, wenn es eine Berührung mit strafrechtlichen Ermittlungen gebe. Dabei könne etwa vereinbart werden, dass bestimmte Akten und Unterlagen erst später an den Ausschuss übermittelt oder bestimmte Themenkomplexe bei der Befragung der Auskunftsperson ausgespart werden.

Probleme in der Praxis

In der Praxis funktioniert das aber nicht immer reibungslos, wie Heidrun Neuhauser, Leiterin der Abteilung Ausschuss­angelegenheiten und Untersuchungs­ausschüsse der Parlaments­direktion, berichtete. Zwar obliege der Abschluss einer Konsultationsvereinbarung mit der Justizministerin dem Vorsitzenden des Untersuchungsausschusses, Usus bei der Ausschussarbeit sei aber ein Konsens zwischen den Fraktionen. Diese hätten allerdings unterschiedliche Interessen, über was im U-Ausschuss geredet werden soll. Zudem stehe man oft unter Zeitdruck, da Auskunftspersonen zum Teil sehr kurzfristig geladen würden.

Als weiteres Problem in der Praxis nannte Neuhauser, dass dem Untersuchungsausschuss nicht immer bekannt sei, ob gegen eine Auskunftsperson ermittelt werde. Zwar funktioniere die Zusammenarbeit mit der Justiz grundsätzlich gut, es gebe aber keine standardisierte Informationsübermittlung. Daher kämen Informationen oft spät oder unvollständig, was nicht nur die Vorbereitung der Fraktionen, sondern auch die Vorbereitung des Verfahrensrichters auf die Befrgung erschwere. Das Unangenehmste, was passieren könne, sei, wenn eine Auskunftsperson erst im U-Ausschuss erfahre, dass gegen sie ermittelt wird, und zwar für alle Beteiligten.

Angesprochen darauf, welche Wünsche sie persönlich habe, sagte Neuhauser, es wäre an der Zeit die Verfahrensordnung für Untersuchungsausschüsse und die Informationsordnung an die Realität und Entwicklungen der letzten Jahre anzupassen.

Umfassende Aktenvorlagepflicht

Markus Vašek, Vorstand des Instituts für Verwaltungs­recht und Verwaltungs­lehre an der Johannes Kepler Universität Linz, wies darauf hin, dass die Parallelität von U-Ausschüssen und strafrechtlichen Ermittlungen schon in der Verfassung angelegt sei. Seit der U-Ausschuss-Reform 2014 sei dafür Vorsorge getroffen. Zwar hätten Untersuchungsausschüsse ein anderes Ziel als strafrechtliche Ermittlungen, es sei ihnen grundsätzlich aber nicht verboten, Rechtswidrigkeiten aufzuklären: "Der Untersuchungsausschuss endet nicht dort, wo das Strafverfahren beginnt."

Vašek wies zudem auf die Judikatur des Verfassungsgerichtshofs hin, nach der Grundrechte und Datenschutz einer Aktenvorlage nicht entgegenstünden. Grundsätzlich müsse alles vorgelegt werden, was vorhanden sei. Auch Dinge, die nicht zum Ermittlungsakt genommen werden und vernichtet werden hätten müssen. Allerdings sei noch nicht ausjudiziert, ob die Justizministerin mit dem Argument, dass strafrechtliche Ermittlungen gefährdet seien, die Vorlage von Akten verweigern könnte. (Schluss) gs

HINWEIS: Fotos von dieser Veranstaltung finden Sie im Webportal des Parlaments.