Das Stenographische Protokoll

In diesem Teil der Ausstellung erfahren Sie mehr über eines der zentralen Schritstücke im parlamentarischen Alltag

Beschreibung und Verortung der Regalinhalte

Im Regal vor Ihnen sind Ausstellungsobjekte mit Bild- und Textinhalten auf vier Regalebenen verteilt. In der obersten Ebene (Regalebene 1) befinden sich auf der Rückwand Auszüge aus Stenographischen Protokollen. Zwischenrufe, Beifallsbekundungen und Unmutsäußerungen bedecken die ganze Rückwand, einige heben sich von der Rückwand ab. Auf dem Regalboden befindet sich ein Leporello zum Thema „„Der Stenographentisch im Parlamentsgebäude“ mit zwei Bildmotiven und Textinhalten. In der Regalebene 2 darunter befindet sich ein Leporello zum Thema „Der Tisch der ‚Geschwindschreiber‘“ mit vier Bildmotiven und Textinhalten. 

In der Regalebene 3 befindet sich der auf die Rückwand gedruckte Einführungstext. Rechts daneben befindet sich ein an der Wand angebrachter Auszug aus dem handschriftlichen Stenographischen Protokoll vom 11. März 2020. Auf dem Regalboden befinden sich die zwei dazugehörigen Stellen aus dem gedruckten Stenographischen Protokoll, rechts daneben der Objekttext. In der untersten Regalebene 4 befindet sich ein Easy Reader zum Thema  „Bartleby, der Schreiber“ von Herman Melville, sowie ein Easy Reader zum Thema „Staats- und Verfassungskrise 1933. Stenographische Protokolle aus Nationalrat und Bundesrat“.

Einleitungstext in Brailleschrift

Ein offener Schuber mit dem Einleitungstext zum jeweiligen Regal in Brailleschrift befindet sich in jedem Ausstellungsregal unterhalb der Braille-Zeile mit dem Titel des Ausstellungsabschnittes. Auf der Oberseite des Faches befindet sich ein QR-Code, über den jeder der Einführungstexte für die insgesamt 30 Ausstellungsabschnitte abrufbar ist.

Einleitung

Das zentrale Schriftstück im parlamentarischen Alltag ist das Stenographische Protokoll. Es gibt wieder, was sich während einer Plenarsitzung des National- oder des Bundesrates ereignet: Reden, Zwischenrufe, Beifall und Ordnungsrufe, in die Höhe gehaltene Tafeln, Abstimmungsergebnisse und eingebrachte Anträge. Das vorläufige Stenographische Protokoll wird am Sitzungstag erstellt und auf der Website des Parlaments veröffentlicht. Nach dem Einarbeiten stilistischer Korrekturen wird die finale Version vorgelegt. Die historischen Protokolle verwahrt die Parlamentsbibliothek zudem in Serien von Bänden wie eine Enzyklopädie.

Regalebene 1

Leporello „Der Stenographentisch im Parlamentsgebäude“

Die Übersiedlung ins neue Reichsratsgebäude bringt 1883 für den Stenographischen Dienst keine Verbesserung – im Plenarsaal des Abgeordnetenhauses ist die Akustik katastrophal. Da die Redner von ihren Sitzen aus sprechen, eilen die Stenografen von Platz zu Platz und stenografieren im Stehen. In der Ersten Republik gruppieren sich Abgeordnete im Eifer der Debatte gern um den Stenographentisch, was erneut zu Problemen hinsichtlich der Verständlichkeit führt. Erst im akustisch und technisch gut ausgestatteten Nationalratssitzungsaal der Zweiten Republik bessern sich die Arbeitsbedingungen. 

Regalebene 2

Leporello „Der Tisch der ‚Geschwindschreiber‘“

Im Konstituierenden Reichstag in der Winterreitschule der Hofburg sprechen die Redner 1848 von einer Tribüne, aber in den Stenographischen Protokollen häuft sich der Vermerk „Unverständlich …“. In Kremsier/Kroměříž (bis März 1849) sind die akustischen Bedingungen günstiger. Im provisorischen Abgeordnetenhaus am Schottenring (1861–1883) sprechen die Redner von ihren Plätzen aus und sind am Stenografentisch kaum zu vernehmen.

Regalebene 3

Objekt „Handschriftliches Stenographisches Protokoll vom 11. März 2020“

Die stenografische Kurzschrift bewährt sich bis heute, um vor allem die Zwischenrufe im Plenum in Echtzeit wortgetreu festzuhalten.

Regalebene 4

Easy Reader „Staats- und Verfassungskrise 1933. Stenographische Protokolle aus Nationalrat und Bundesrat“

Der 4. März 1933 gehört zu den prägendsten Daten der österreichischen Parlamentsgeschichte. Nach einer umstrittenen Abstimmung treten alle drei Präsidenten des Nationalrates aus taktischen Erwägungen zurück. Bundeskanzler Engelbert Dollfuß nutzt diese Geschäftsordnungskrise, um den Nationalrat auszuschalten und auf Grundlage des Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes von 1917 autoritär zu regieren. Die kurze Zeitspanne der parlamentarischen Demokratie in Österreich ist damit de facto beendet, auch wenn der Bundesrat vorerst noch weiter tagt und die alte Verfassung formell aufrecht bleibt. Die hier wiedergegebenen Protokolle aus dem Plenum und dem Hauptausschuss des Nationalrates sowie aus dem Bundesrat 1933/1934 geben Aufschluss über die politischen Entwicklungen; chronologisch angeordnet vermitteln diese Dokumente eindrücklich die Dramatik der Ereignisse.

Easy Reader „Bartleby, der Schreiber“ von Herman Melville

Der Inhaber einer New Yorker Anwaltskanzlei, ein Mann „schon vorgerückten Alters“, stellt einen unscheinbaren und solide wirkenden Schreibgehilfen namens Bartleby ein. Im Laufe der Erzählung verweigert sich dieser immer starrköpfiger seinem amtlichen Arbeitsauftrag mit den Worten: „I would prefer not to“. Diese höfliche Ablehnung geht bis zur totalen Verweigerung gesellschaftlicher Normen. Nachdem der durch den radikalen Widerstand seines Mitarbeiters geschädigte Anwalt das Schicksal seines Schreibgehilfen im Protokollstil erzählt hat, lässt er sich am Ende zu dem mitfühlenden Ausruf hinreißen: „Ah, Bartleby! Ah, humanity!“ Unzählige Interpreten haben sich am Widerstand des Protagonisten abgearbeitet: So sieht etwa der italienische Philosoph Giorgio Agamben in Bartleby ein archetypisches Sinnbild dafür, wie man sich der Autorität, der Herrschaft und dem Recht passiv widersetzt.