Bundesrat Stenographisches Protokoll 614. Sitzung / Seite 35

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Vizepräsident Dr. DDr. h. c. Herbert Schambeck: Zu Wort gemeldet ist weiters Herr Bundesrat Karl Wöllert. Ich erteile es ihm.

10.32

Bundesrat Karl Wöllert (SPÖ, Oberösterreich): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! Der gemeinsame Markt des sich zunehmend integrierenden Europa verlangt eine weitestgehende Harmonisierung vor allem der wirtschaftlichen und sozialen Rechtsvorschriften. Über die wirtschaftlichen Rechtsvorschriften hat Kollege Dr. Linzer bereits ausführlich berichtet. Wir sind auch heute bei den wirtschaftlichen Rechtsvorschriften. Ich gehe aber davon aus, daß wir uns noch in vielen Sitzungen dieses parlamentarischen Gremiums auch mit den sozialen Bereichen der Europäischen Union zu befassen haben werden.

Mit dem EU-Gesellschaftsrechtsänderungsgesetz werden nunmehr die bisher noch nicht umgesetzten handels- und gesellschaftsrechtlichen Rechtsnormen der europäischen Gesetzgebung angeglichen. Die Umsetzung dieser Normen bringt natürlich eine umfassende Änderung des österreichischen Handels- und Gesellschaftsrechtes mit sich. Sie, Herr Minister, sind dabei diese Rechtsnormen dem europäischen Standard anzupassen. Das ist eine sehr breite Palette; und sie beginnt beim Handelsgesetzbuch und geht über Aktiengesetz, GmbH-Gesetz, Firmenbuchgesetz, Genossenschaftsverschmelzungsgesetz, Bankwesengesetz, Sparkassengesetz, Versicherungsaufsichtsgesetz bis hin zum Gerichtsgebührengesetz. Es handelt sich daher – das ist schon erwähnt worden – um die größte Änderung des österreichischen Handels- und Gesellschaftsrechtes seit fünf Jahrzehnten.

Da und dort wurde kritisiert, daß die Zweijahresfrist, die uns durch den EWR-Vertrag mit Stichtag Jänner 1996 vorgegeben war, nicht ganz eingehalten werden konnte. Dazu ist festzustellen und wurde zum Teil hier schon gesagt, daß erstens der EWR-Vertrag durch den EU-Vertrag überholt ist und zweitens es durch diese – unter Anführungszeichen – "Verzögerung" doch möglich war, auch eine Reihe von Bedenken und Anregungen Betroffener vernünftigerweise einzuarbeiten. Darüber hinaus waren noch Änderungen und Anpassungen durch die Beschlußfassung über das Strukturanpassungsgesetz vom 30. April dieses Jahres notwendig, die durch die erwähnte Verzögerung ebenfalls terminlich untergebracht werden konnten.

Festgestellt muß in diesem Zusammenhang auch noch werden, daß es für jene österreichischen Firmen, die im europäischen Raum tätig sind, dadurch nicht nur keine Nachteile gab, sondern daß sie in Wirklichkeit sogar froh waren, diese Verschnaufpause – wenn ich das so sagen darf – bekommen zu haben.

Außerdem kann es nicht so sein, daß ausgerechnet der Neue in der Gemeinschaft sozusagen seinen Rucksack mit all den Beschwerlichkeiten, die ein so enormes Projekt, wie es das Entstehen eines europäischen Staatengefüges bedeutet, auf die Stunde genau umzusetzen hat – ohne Rücksicht auf Notwendigkeiten, wirtschaftliche Bedenken und soziale Aspekte. Wäre dem so, würde die entstehende Staatengemeinschaft ihren ersten gravierenden Fehler begangen haben.

Wir verfügen nunmehr durch diese EU-Anpassungsgesetze also über europäisch einheitliche rechtliche Standards zur Verwirklichung des Grundprinzips der Niederlassungsfreiheit in allen EU-Mitgliedsstaaten. Es sind nun vor allem gleichwertige Bestimmungen für den Gläubiger- und Aktionärsschutz gegeben, wobei hinzuzufügen ist, daß Österreich schon vor geraumer Zeit durch die Einführung des Rechnungslegungsgesetzes Grundnormen der wirtschaftlichen Führung eines Unternehmens fixiert hat. Nun werden durch diese neuen Bestimmungen auch verbesserte internationale Vergleichswerte und wirtschaftliche Kennzahlen sowie die Überprüfung und Offenlegung von Jahresabschlüssen aller Kapitalgesellschaften möglich.

Derartige vergleichbare Informationen über die Ertrags-, Finanz- und auch Vermögenslage werden also künftig im gesamten EU-Raum zu wesentlich mehr Transparenz, aber auch zu mehr Aussagekraft über den jeweiligen Betrieb beziehungsweise Konzern führen. Dies sollte sowohl zu einer rechtzeitigen wirtschaftlichen Situationsanalyse für die Unternehmensführung und damit auch zu einem rechtzeitigen Maßnahmenkatalog im Falle drohender wirtschaftlicher Probleme


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