Bundesrat Stenographisches Protokoll 614. Sitzung / Seite 63

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Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Als nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Weilharter. – Bitte sehr.

12.59

Bundesrat Engelbert Weilharter (Freiheitliche, Steiermark): Frau Präsidentin! Herr Minister! Meine Damen und Herren! Der Sozialbericht 1994 ist kein Ruhmesblatt der österreichischen Sozialpolitik, sondern eine teilweise schöngefärbte Bankrotterklärung der österreichischen Sozialpolitik. Er steht außerdem sehr spät zur Behandlung hier im Bundesrat – um nicht zu sagen, er ist bereits verstaubt und antiquiert. Der Ist-Zustand der sozialen Lage in Österreich ist zurzeit nämlich schon ein ganz anderer, als im Bericht dargestellt.

Zurzeit sind an der Tagesordnung Beitragserhöhungen statt Reformen. Der Anstieg der Arbeitslosigkeit wird relativiert, und die Sozialversicherungen sind pleite. – Das ist in zwei Sätzen der derzeitige Zustand, die soziale Lage.

Meine Damen und Herren! Laut einer Studie der OECD stieg die Arbeitslosenrate seit 1994 um 0,3 Prozent auf rund 7 Prozent im Jahresdurchschnitt in Österreich.

Im Vergleich dazu verzeichnet Finnland einen Rückgang von 2 Prozent, Großbritannien einen jährlichen Rückgang um 0,7 Prozent, Schweden ein Minus von 0,5 Prozent, sogar Italien verzeichnet einen Rückgang der Arbeitslosenrate von 0,1 Prozent. (Bundesrätin Rösler: Da ist aber die Ausgangsposition eine ganz andere!) Ähnliche Entwicklungen, Frau Kollegin, gibt es auch in der Schweiz, in den USA und in Japan. Faktum ist, daß die Beschäftigungszahl nicht gestiegen ist, wie dies im Bericht dargestellt wird, da sich laut OECD die Arbeitslosenrate verschlechtert beziehungsweise erhöht hat. Lesen Sie "Die Presse", in der vorigen Woche wurde darüber berichtet.

Meine Damen und Herren! Allein die Insolvenzen in der klein- und mittelständischen Wirtschaft kompensieren die im Bericht dargestellte Steigerung der Beschäftigungszahl. Im Bericht ist die Rede von ungefähr 16 000, das entspricht in etwa der Insolvenzrate der klein- und mittelständischen Wirtschaft.

Meine Damen und Herren! Auch die Zahl der offenen Stellen ist laut Bericht gesunken. Sie sind deshalb gesunken, weil immer mehr Arbeitgeber zusperren mußten. Die soziale Lage am Arbeitsmarkt entspricht daher in diesem Bericht nicht einer realen Darstellung, sondern ist eben, wie gesagt, antiquiert, denn derzeit ist die Situation viel schlechter.

1990 haben 3 412 österreichische Firmen ihren Betriebssitz ins Ausland verlagert, 1995 waren es 13 529 Betriebe, wie aus einer Studie der Wirtschaftskammer hervorgeht. Hohes Haus! Meine Damen und Herren! Diese Zahlen sind mehr als besorgniserregend. Diese dramatische Entwicklung müßte zumindest bei den Wirtschaftsvertretern innerhalb der ÖVP ein Wachrütteln bewirken und sie zu einer Kurskorrektur bewegen. Es handelt sich dabei nämlich nicht um Expansionen, sondern zum Teil um eine Flucht vor einem unternehmer- und wirtschaftsfeindlichen Betriebsklima in Österreich, dessen Wirtschaft und vor einer nicht-arbeitsplätzefördernden Politik in Österreich.

Meine Damen und Herren! Hierfür gäbe es genug Beispiele, ich bringe eines aus jüngster Zeit: Bei uns in Steiermark hat sich aus diesem Grund eine Firma abgesiedelt und letztlich sind die Arbeitnehmer auf der Strecke geblieben. Für die ehemaligen Arbeitnehmer müssen nun mit teurem Steuergeld Auffangssanierungsmodelle geschaffen werden, damit Vorsorge getroffen werden kann.

Hohes Haus! Daß fähige und fleißige Leute ohne eigenes Verschulden in Österreich ihren Arbeitsplatz verlieren können, glauben 90 Prozent der Arbeitnehmer. – Das geht aus einer Fessel-Umfrage hervor. Meine Damen und Herren von den Regierungsparteien! Diese Umfrage sagt aber auch aus, daß Arbeitnehmer kein Vertrauen in Ihre Sozialpolitik haben. Der Staat, in dem Fall die Regierung, schröpft und bittet die Arbeitnehmer immer mehr zur Kasse, immer mehr arbeitende und produktiv tätige Menschen werden belastet.


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