Bundesrat Stenographisches Protokoll 694. Sitzung / Seite 22

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dieses Mandat nahezu einstimmig erteilt (Bundesrätin Schicker: So ist es!), jedenfalls mit einem Mehrheitsverhältnis, das sich von dem eines späteren ÖVP-Bundesparteivorstandes nicht substanziell unterschied. Sie haben von diesem Angebot keinen Gebrauch gemacht – was Ihnen auch zusteht; das ist eine politische Entscheidung, die Sie zu treffen haben –, aber hier zu versuchen, verschiedene Strategien in der Sozialdemokratie zu konstruieren, das geht am Thema vorbei.

Niemand anderer als Sie allein haben es zu verantworten, dass dieses Land drei Monate lang wie gelähmt war, wiewohl eine dramatische Wirtschaftslage und eine noch dramatischere inter­nationale Situation energisches Handeln verlangt hätten. Die Defizite wuchsen, die EU konsta­tierte eine Explosion der Staatsschulden, die Arbeitslosenrate stieg, die Wirtschaft rief nach raschen Maßnahmen, aber Sie sonnten sich lieber darin, dass ganz Österreich darüber speku­lierte, was Sie denn eigentlich wirklich wollen, und daran, dass eine Legion bewundernder Schreiber Ihr einmaliges Verhandlungsgeschick pries.

Sie haben – das hat diese Regierungsbildung gezeigt – einmal mehr bewiesen, dass Sie ein fähiger Politiker sind, aber, Herr Bundeskanzler, sie hat noch mehr gezeigt: Sie sind mehr als nur ein fähiger Politiker, Sie sind ein zu allem fähiger Politiker! (Beifall bei der SPÖ.)

Sie haben davon gesprochen, dass Ihr Regierungsprogramm von drei Eckpfeilern ausgeht. Wir haben auch drei Eckpfeiler erkannt, allerdings waren es nicht dieselben, die Sie hier angeführt haben. Es gibt einen Eckpfeiler, der sich darin ausdrückt, dass diese Bundesregierung die Flucht aus der Verantwortung antritt. Es ist sehr einfach, Belastungen zu verordnen und ande­ren deren Exekution zu übertragen.

Bei den Ladenöffnungszeiten sind es die Landeshauptleute, auf die die tatsächliche Entschei­dung abgeschoben wird und denen damit die schwierige Interessenabwägung zwischen den Forderungen der Wirtschaft und den Bedenken der Beschäftigten übertragen wird.

Bei den Selbstbehalten – nachdem das mit der Ambulanzgebühr ja so großartig funktioniert hat – sollen es jetzt die Krankenversicherungsträger sein, die Ihnen die Aufgabe abnehmen, denjenigen, die das Gesundheitssystem am dringendsten brauchen, weil sie eben krank sind, zusätzlich zu ihren Sorgen und ihrem Leid auch noch finanzielle Belastungen aufzuerlegen.

Besonders originell ist aber, wie Sie die finanzielle Verantwortung für die von Ihnen so heiß be­gehrten Abfangjäger einer nächsten Regierung überantworten, von der wir nur hoffen können, dass Ihre beiden Parteien ihr nicht mehr angehören werden. (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrat Dr. Böhm: Wer sonst?) Ich habe da noch irgendwie im Ohr: keine neuen Schulden! Wie ist denn das, wenn ich mir eine Ware jetzt liefern lasse und sage, in fünf Jahren zahle ich das? Ist das, was da inzwischen entsteht, nicht ein Schuldverhältnis? – Wenn ich mich richtig entsinne, pflegen solche spät bezahlten Käufe die Kosten nicht gerade zu senken. (Bundesrat Sulz­berger: Die SPÖ hat jahrzehntelang Schulden gemacht!)

Der zweite Eckpfeiler – Sie haben uns heute auch ein paar Beispiele dafür genannt – ist ein klar zu durchschauender Etikettenschwindel. Sie sprechen von Wohltaten oder kündigen mehr Ge­rechtigkeit an, aber in Wirklichkeit geht es immer nur um eines: nämlich zu Lasten der Bevölke­rung einzusparen oder dieser Bevölkerung sehr direkt Geld abzuknöpfen.

Sie haben das Beispiel erwähnt: Die Frau Unterrichtsministerin hat ganz klar erkannt, wenn man zwei Wochenstunden in den Schulen einspart, dann werden Österreichs Schulen auf ein­mal PISA-tauglich. Sie weiß nicht, welche Stunden es sein sollen, welche Gegenstände, aber sie weiß: Weg müssen sie!

Jetzt komme ich wieder zur Flucht aus der Verantwortung. Das sollen also jetzt, so höre ich, die Schulen entscheiden. Diese sollen sagen, bei uns gibt es keine Mathematik mehr oder keine Erdkunde oder wenig ... (Bundesrat Dr. Böhm: Das ist absurd!) – Es ist absurd. Sie haben völlig Recht, Kollege Böhm, dieser Meinung bin ich auch! Aber ich habe das nicht gesagt, das hat die Frau Ministerin gesagt. (Bundesrat Dr. Böhm: Von Mathematik hat sie nichts gesagt!) Dahinter steht die nüchterne und zynische Überlegung: Wenn wir in der Stundentafel zwei


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