9.36

Bundesminister für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz Vizekanzler Dr. Dr. h.c. Clemens Jabloner: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Bunderätinnen und Bundesräte! Wir, die Republik, alle Men­schen, die in diesem Land leben, durchlaufen derzeit eine ungewöhnliche und heikle Zeit. Zwar verlor die Bundesregierung ihre Stabilität und nach dem Misstrauensvotum vorzeitig auch ihr Amt, von einer Verfassungs- oder Staatskrise konnte allerdings nie die Rede sein; vielmehr befinden wir uns in einer Situation, für die unsere Bundesver­fassung in der Stammfassung von 1920 und insbesondere auch in der Fassung der Novelle von 1929 kluge Vorkehrungen trifft. Demnach war es Sache des Herrn Bun­despräsidenten, in Anwendung des Art. 69 Abs. 1 B-VG eine Bundeskanzlerin und auf ihren Vorschlag die übrigen Mitglieder der Bundesregierung zu ernennen.

Die Besonderheit besteht darin, dass diese neue Bundesregierung nicht auf eine gesi­cherte parlamentarische Mehrheit zurückgreifen kann. Ich möchte aber dennoch her­vorheben, dass diese Bundesregierung demokratisch legitimiert ist, weil der Bundes­präsident vom Bundesvolk gewählt wird und die von ihm vorgenommenen Ernennun­gen den Mitgliedern der Bundesregierung daher die demokratische Legitimation ver­leihen. Allerdings bezieht sich dies nur auf die Bundesregierung als solche und nicht auch auf ihre Aktivitäten. Infolge des Prinzips der Gesetzmäßigkeit der Vollziehung und im Hinblick auf die ständige Kontrolle der Vollziehung durch das Parlament sind die Handlungsmöglichkeiten einer solchen Expertenregierung, eines solchen Übergangs­kabinetts beschränkt, und dies halte ich auch für richtig und angebracht.

Den Mangel eines positiven Vertrauensvotums in unserer Bundesverfassung deute ich so, dass die Bundesregierung, wenn kein Misstrauensantrag gestellt wird, noch nicht automatisch das Vertrauen des Parlaments genießt. Diese steht vielmehr unter der Be­obachtung des Nationalrates und des Bundesrates und ist darauf angewiesen, dieses Vertrauen täglich neu zu erwerben. Deshalb, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist mir der Austausch mit Ihnen ein besonderes Anliegen.

Ich glaube, für die ganze Bundesregierung sprechen zu können, wenn ich Ihnen versi­chere, dass diese Bundesregierung ihre Aufgabe in einer sachkundigen Fortführung der Verwaltung sieht. Sie muss aber dort initiativ werden, wo es gilt, Schaden abzu­wenden, wie etwa bei einer Versäumnis bei der Umsetzung des Unionsrechts. Die Bundesregierung wird daher von Initiativen absehen, denen gesellschaftliche Wertent­scheidungen zugrunde liegen, die nur parlamentarisch – das heißt, nur nach der Wahl eines neuen Nationalrates – legitimiert sein können.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! In meiner Funktion als Vizekanzler ist es mei­ne verfassungsrechtliche Aufgabe, die Bundeskanzlerin, wenn sie verhindert ist, in ih­rem gesamten Wirkungsbereich zu vertreten. Darüber hinaus werde ich mich stets be­mühen, sie in ihrer Koordinationstätigkeit zu unterstützen. Ich darf Ihnen, um Wieder­holungen zu vermeiden, sagen, dass ich mich mit jedem Wort identifiziere, das die Bundeskanzlerin gerade vorhin gesprochen hat.

Als Justizminister sind für mich der Rechtsstaat und die Grundrechte oberste Hand­lungsmaxime. Wenn es auch in einem trivialen Sinn richtig ist, dass letztlich die Politik das Recht bestimmt, so muss dies im Verfassungs- und Rechtsstaat in jenen Formen erfolgen, die die Verfassung, insbesondere die Grundrechte, und die völker- und uni­onsrechtlichen Verpflichtungen vorgeben. Besonders die Europäische Menschen­rechtskonvention mit ihrer beispiellosen Erfolgsgeschichte steht für mich ganz unver­rückbar im Zentrum des politischen Handelns.

Der Justizminister trägt die Verantwortung für die Justiz, die dritte Staatsfunktion. Es ist meine Kernaufgabe, sowohl die Unabhängigkeit als auch die Funktionsfähigkeit der Gerichtsbarkeit zu stärken. Dabei dürfen andere Bereiche des großen Ressorts nicht ins Hintertreffen gelangen; ich nenne hier nur die Anklagebehörden und den Strafvoll­zug.

Zu den verfassungsrechtlichen Aufgaben meines Ressorts gehört auch der Föderalis­mus. Wenngleich man in den nächsten Monaten keine verfassungsrechtlichen, legis­tischen Maßnahmen erwarten kann, so bietet sich mir hier doch die Gelegenheit, dem Bundesrat meinen allergrößten Respekt zu entbieten. Der Bundesrat ist schon in der Verfassung von 1920 auf eine sehr kluge föderalistische und demokratisch balancierte Weise eingerichtet, und er erfüllt im Staatsgefüge eine ganz wesentliche Funktion. In vielen Bereichen, in denen sehr ernste Entscheidungen getroffen werden – es fällt mir spontan die Kreation der Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes ein –, spielt der Bun­desrat eine ganz bedeutende Rolle.

Der Föderalismus ist mir persönlich ein wichtiges Anliegen; das war schon so, als ich Leiter der Länderabteilung des Verfassungsdienstes im Bundeskanzleramt war. Ich ha­be mich später theoretisch mit dem Föderalismus auseinandergesetzt, und es war mein Hauptanliegen als Präsident des Verwaltungsgerichtshofes, eine Reform der Ver­waltungsgerichtsbarkeit zuwege zu bringen, die den Ländern erstmals seit 1920, seit 1867 einen Anteil an der Gerichtsbarkeit gegeben hat – das ist eben die Einrichtung der Landesverwaltungsgerichte in allen Ländern.

Wenn auch die Justiz, für die ich nun verantwortlich bin, organisatorisch und funktionell völlig dem Bund zugerechnet ist, so spielt sie doch im föderalen Aufbau eine wichtige Rolle. Sie ist ein Teil des Lebens in den Ländern und Gemeinden, und daher sind mir die Anliegen, die aus den Ländern, aus den Gemeinden kommen, auch ganz beson­ders wichtig.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluss sagen, dass ich mir der großen Verantwortung sehr bewusst bin. Meine Heiterkeit ist trotz gewisser Erfahrungen der letzten Tage keineswegs vollständig von mir gewichen (Heiterkeit bei BundesrätInnen der SPÖ), ich behalte sie nach wie vor bei, und ich bitte um und danke für Ihr Vertrauen. (Allgemeiner Beifall.)

9.43

Präsident Ingo Appé: Ich danke dem Herrn Vizekanzler für seine Ausführungen.

Bevor wir in die Debatte eingehen, möchte ich noch etwas nachholen: Da heute ein Bundesrat seinen 50. Geburtstag feiert, möchte ich diesem recht herzlich zum Geburts­tag gratulieren; es ist dies Herr Bundesrat Bernard. – Herzlichen Glückwunsch. (Allge­meiner Beifall.)

Fast zeitgleich, nämlich gestern, hat die Kollegin hier rechts neben mir, Schriftführerin Marianne Hackl, Geburtstag gehabt – auch ihr recht herzlichen Glückwunsch und alles Gute. (Allgemeiner Beifall.)

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Karl Bader. Ich erteile ihm dieses.