16.46

Bundesrat Rudolf Kaske (SPÖ, Wien): Sehr geschätzter Herr Präsident! Mitglieder des Bundesrates! Frau Bundesministerin! Vielen herzlichen Dank auch für die 20 Minu­ten, die ich wohl brauchen werde (Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth), weil es nach Ihrer Rede, Frau Bundesministerin, von meiner Seite einerseits natürlich Lob für die ausführliche Beantwortung gibt – das ist bei anderen Regierungsmitgliedern nicht selbstverständlich, würde ich aufgrund dessen, was wir in letzter Zeit erlebt haben, sagen –, auf der anderen Seite ist, glaube ich, natürlich auch manche Kritik ange­bracht.

Zur Kritik kommend: Ich habe heute die Aussendung Ihres Ministeriums bezüglich Arbeitslosigkeit gelesen und ich muss Ihnen ehrlich sagen, dass ich es ein bisschen eigenartig finde, wenn man bei 570 000 Arbeitslosen von einer Abflachung der Kurve redet. Das finde ich schon höchst eigenartig, denn ich glaube, es geht um Menschen, und jeder Arbeitslose und jede Arbeitslose ist einer und eine zu viel. Bei einem Anstieg von 58 Prozent kann man nicht von einer Abflachung reden, meine geschätzten Damen und Herren – das zum Ersten. (Beifall bei der SPÖ und bei BundesrätInnen der FPÖ. – Zwischenruf des Bundesrates Bader.) – Na ja, 58 Prozent reichen ja wohl, oder?

Zum Zweiten: Sie haben in Ihrer Anfragebeantwortung hier sehr brav das eine oder andere an Zahlen dargestellt, aber was mir ein bisschen gefehlt hat, ist sozusagen die Zukunft. Geschätzte Frau Bundesministerin, die Zukunft hat ja in Wahrheit schon be­gonnen, und wir müssen heute überlegen, was morgen und übermorgen für den Arbeitsmarkt und für die Menschen in Österreich gut ist; und das fehlt mir ein bisschen. (Beifall bei der SPÖ.) Wo sind da die Visionen der Bundesregierung? Das frage ich mich wirklich.

Ich war zufällig 18 Jahre im Verwaltungsrat des ÖGB, des AMS – Verzeihung (Bun­desrat Steiner: Zufällig!), im Verwaltungsrat des AMS, ich sage es noch einmal; kleine Werbeeinschaltung (Bundesrat Steiner: Ganz zufällig!) –, und ich möchte Ihnen da ein bisschen zur Seite stehen und meine Analyse und meine Schlussforderungen mit auf den Weg geben.

Erlauben Sie mir kurz einen Rückblick, bevor ich zur Zukunft komme: Natürlich, ich glaube, wir sind uns alle einig, der gesundheitspolitisch motivierte Shutdown hat weite Teile der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes von einem Tag auf den anderen total verändert, statt Rekordbeschäftigung haben wir Rekordarbeitslosigkeit mit mehr als einer halben Million Arbeitsuchenden. Statt voll ausgelasteter Unternehmen arbeiten – Sie haben es erwähnt – 1,2 Millionen ArbeitnehmerInnen in Kurzarbeit. Das alles ist nicht mehr und nicht weniger als eine riesige wirtschafts-, arbeitsmarkt- und gesell­schaftspolitische Herausforderung für die Zukunft.

Das von den Sozialpartnern – das wurde schon erwähnt – verhandelte Kurzarbeits­modell hat Hunderttausende Arbeitsplätze und Existenzen gesichert, aber ich sage Ihnen, Frau Bundesministerin: Das ist nicht genug! Ziel muss es sein, die Arbeits­losigkeit – und ich möchte da ein Datum mit auf den Weg geben – innerhalb eines Jahres auf das Niveau von vor der Coronakrise zu senken.

Was braucht es dazu? – Es braucht eine Joboffensive und es braucht Beschäftigung, mehr Beschäftigung statt eines Sparpakets. Das geht mit einem guten Plan. Ich würde sagen, es braucht einen Österreichpakt für Arbeit, mit einem gut ausgestatteten AMS und mit dem natürlich notwendigen Budget.

Worum geht es erst einmal beim Wiederaufsperren in den kommenden Tagen? – Es geht darum, den Unternehmern die soziale Verantwortung bewusst zu machen. Kollegin Schumann hat das ausgeführt: Wenn Betriebe einerseits Kurzarbeit einführen und auf der anderen Seite über 50-Jährige kündigen, dann ist das nicht das Modell, das wir uns vorstellen. Ich möchte den Namen des Unternehmens hier nicht nennen, aber es ist ein großes Cateringunternehmen, das auch für die Regierung Aufträge abarbeitet, und ich hoffe, dass es vielleicht das nächste Mal nicht berücksichtigt wird, weil dort eben ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gekündigt wurden.

Es geht natürlich um die Löhne, es geht um die Gehälter, es geht um die Arbeits­bedingungen, also darum, dass die wie vor dem Shutdown aussehen; denn eines muss so weit als möglich verhindert werden: der Aufbau von Sockelarbeitslosigkeit bei diesen ArbeitnehmerInnengruppen, wie ich gesagt habe, den über 50-Jährigen. (Beifall bei der SPÖ.)

Geschätzte Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren, leider lehrt ein Blick zurück, dass der Sockel an Langzeitarbeitslosen nach jeder Wirtschaftskrise ange­wachsen ist. Gut wäre es, wenn es Anreize für ein sozial verträgliches Verhalten von Unternehmern gäbe, etwa ein Bonus-Malus-System für die Beschäftigung älterer Arbeitnehmer.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Folgendes ist heuer aus meiner Sicht noch not­wendig: Das AMS ist aktuell mit der Bewältigung der Kurzarbeitsanträge mehr als ausgelastet. Sie haben es ja berichtet, gerade die letzten Wochen haben gezeigt, wie wichtig ein gut funktionierendes AMS für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, aber auch für die Unternehmen ist. Es gibt also jeden Grund, diese für die Wirtschaft und die ArbeitnehmerInnen tatsächlich kritische Infrastruktur – ich darf das so nen­nen – personell und budgetär natürlich gut auszustatten. Daher geht es um eine Aufstockung des AMS-Personals um mindestens 500 neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, ganz einfach, um Arbeitsuchende gut unterstützen zu können. Gerade ältere Arbeitslose und Arbeitslose mit Gesundheitsproblemen brauchen Vermittlungs­unterstützung, gezielte Förderungen. Das will alles organisiert und durchgeführt wer­den.

Als weitere Maßnahme – Kollegin Schumann hat das schon erwähnt – gilt es, auch den Konsum durch eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes zu sichern. (Bundesrat Steiner: Österreichtausender!) Die Erhöhung auf 70 Prozent des letzten Nettolohnes würde in etwa 1 Milliarde Euro kosten, und Sie wissen es: Das geht eins zu eins in den Konsum, das geht eins zu eins in die Unternehmen und wäre daher aus meiner Sicht eine gute Investition.

Ein Gebot der Stunde ist aus meiner Sicht auch die Verkürzung der Arbeitszeit. Es würde sich da als eine gute Möglichkeit anbieten, die im Rahmen der Covid-Krise entwickelte Kurzarbeit als arbeitsmarktpolitisches Instrument zur Verkürzung der Wochenarbeitszeit mit Lohnausgleich weiterzuentwickeln. Sie haben es ohnehin gesagt, es braucht auch eine Coronaweiterbildungsoffensive für Arbeitslose. (Zwischenruf der Bundesrätin Mühlwerth.)

Ziel für 2021 müsste es sein, 40 000 Personen in berufliche Umschulung und in Richtung Höherqualifizierung zu bringen, damit es auch im digitalen und ökologischen Strukturwandel genug FacharbeitnehmerInnen in Österreich gibt. Ein besonderer Schwerpunkt muss dabei auch der Gesundheits- und Pflegebereich sein, der wurde heute ja schon während der Debatte zu einem anderen Tagesordnungspunkt ange­sprochen. Das heißt, es geht um Fachkräftestipendien. Da stellen wir uns vor, dass 100 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden, die Ausbildung ermöglicht wird und die Leute auch unbefristet eingesetzt werden – also Ausbildungsschwerpunkt Pflege- und Gesundheitsberufe.

Ich sage Ihnen ganz ehrlich, ich komme ja selbst aus dem Tourismus: Es braucht auch neue Jobperspektiven für besonders betroffene Branchen wie zum Beispiel den Tourismus, denn ich denke, da werden in Zukunft möglicherweise nicht alle ihren Platz haben beziehungsweise finden.

Frau Bundesministerin, was möglichst rasch und mit Wirkung bereits im nächsten Jahr angegangen werden muss, inklusive der notwendigen Budgets dafür, ist die Aktion Chance 45. Das ist eine verbesserte Version der Aktion 20 000 für ältere Arbeit­suchende ab dem Jahr 2021, um Langzeitarbeitslosen ohne Chance auf einen Arbeits­platz in Unternehmen wieder eine Beschäftigung zu ermöglichen und damit soziale und ökologisch vernünftige Dienstleistungen in den Gemeinden wieder möglich zu machen. Das hat es ja schon einmal gegeben, aber es geht um das Wiedermöglich­machen.

Ich möchte auch Chancen für Geflüchtete ansprechen. Maßnahmen im Rahmen des Integrationsjahres sollten wieder mit mehr Geld ausgestattet werden, um nach Österreich Geflüchteten den Zugang zum Arbeitsmarkt zu erleichtern. Ich möchte auch sagen, dass ich ein bisschen verwundert bin, dass man auf der einen Seite Erntehelfer einfliegen will, auf der anderen Seite haben wir hier aber Menschen, Geflüchtete nämlich, die Arbeit brauchen, die Arbeit suchen. Ich würde doch bitten, ein bisschen darüber nachzudenken, was die gescheitere Lösung für die Zukunft ist. (Beifall bei der SPÖ.)

Meine sehr geehrte Damen und Herren, der Neustart nach der Covid-Krise kann ohne ein Konjunkturprogramm nicht gelingen. Wirtschaftsbelebung muss allerdings so erfol­gen, dass nicht nur die tatsächlich existenzielle Krise für die österreichische Bevöl­kerung, sondern auch die Klimakrise bekämpft wird.

Es braucht daher – aus meiner Sicht zumindest – einen Zehnjahresplan gegen die Klimakrise mit folgenden Kernelementen: massiver Ausbau des öffentlichen Verkehrs, thermische Sanierung von Bundesgebäuden, Ausstieg aus fossilen Heizsystemen, betriebliche Umweltförderung, Verbesserung der Energieeffizienz in den Betrieben, Ausbau der Radinfrastruktur, mehr Geld für klimagerechte Energieversorgung, Einfüh­rung einer Lkw-Maut, Erhöhung der Flugabgabe, ökologischere und sozial gerechtere Gestaltung der Pendlerpauschale. Es braucht die goldene Investitionsregel, die eine Kreditfinanzierung öffentlicher Investitionen ermöglicht, was besonders den Finanzie­rungs­spielraum bei Klimaschutzinvestitionen erhöhen würde. (Vizepräsidentin Eder-Gitschthaler übernimmt den Vorsitz.)

Meine Damen und Herren, ich darf auch darauf hinweisen, dass führende Wissen­schafter der Akademie der Wissenschaften darauf hingewiesen haben: Der Klima­wandel ist gefährlicher als Corona. – Ich sage dazu: Für die Umwelt wird es keinen Impfstoff geben, aber hoffentlich Politiker, die verantwortungsvoll handeln. (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenruf der Bundesrätin Schartel.– Natürlich auch Politikerinnen, selbstverständlich, Frau Kollegin.

Geschätzte Frau Bundesministerin! Ich glaube, wir müssen vom Reden ins Tun kom­men, und ich erwarte mir auch von der Bundesregierung, dass es nicht nur Ankün­digungen und Ankündigungspolitik gibt. Sie wissen ja: Heiße Luft zu produzieren schafft ein Problem beim Klimaschutz. – Es wäre daher, glaube ich, gut, dass man politische Taten folgen lässt, denn an den Taten wird die Bevölkerung die Regierung beziehungsweise die Verantwortlichen in der Politik messen. Daher, denke ich, ist es an der Zeit, da natürlich auch die Ärmel aufzukrempeln.

Ich darf Sie auch einladen, in der Beantwortung noch konkret zu sagen – weil mir das ein bissl gefehlt hat –: Was haben Sie vor, und wie viel Geldmittel wollen Sie dafür in der Zukunft bereitstellen?

Ich wünsche Ihnen natürlich eine lange Gesundheit, aber gehen Sie bezüglich dieser Vorhaben an die Arbeit, Frau Ministerin! – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ.)

17.01

Vizepräsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Mag. Christian Buchmann. – Herr Bundesrat, ich erteile es Ihnen.