Bundesrätin Heike Eder, BSc MBA (ÖVP, Vorarlberg): Sehr geehrter Herr Minister!

1916/M-BR/2021

„Welche Fortschritte gibt es bei der Erstellung des neuen Nationalen Aktionsplanes Be­hinderung (NAP Behinderung) 2022-2030?“

Vizepräsident Dr. Peter Raggl: Herr Bundesminister, bitte.

Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz Rudolf Anschober: Auch für diese Frage einen besonderen Dank! Wir kommen damit zu einem für mich persönlich sehr entscheidenden, wesentlichen politischen Bereich, in dem wir viel zu tun haben. Ich möchte mich auch dafür bedanken, dass wir mittlerweile ein Forum eingerichtet haben, in dem es zu einem regelmäßigen Meinungsaustausch bis hin zu Strategieerarbeitungen mit den entsprechenden Sprecherinnen und Sprechern des Na­tionalrates kommt. Wir könnten vielleicht überlegen, auch den Bundesrat einzubinden – ich würde das sehr begrüßen –, damit wir da gemeinsam vorgehen und arbeiten.

Sie wissen, der Nationale Aktionsplan Behinderung ist unser strategisches Schlüsselins­trument. Das Regierungsprogramm 2020 bis 2024 sieht die bedarfsgerechte Finanzie­rung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention und des Nationalen Aktions­plans Behinderung sowie die Forcierung der Umsetzungen des NAP mit allen Ministerien unter Einbeziehung der Stakeholder vor.

Das ist für mich eigentlich der wichtigste Bereich, denn in der Vergangenheit, so höre ich, hat es manchmal das Bewusstsein gegeben: Wir haben eh ein Sozialministerium, dort ist das gut aufgehoben. – Ich glaube, wir sind alle gefragt, deswegen haben wir das als Regierungsverantwortung und als gemeinsame Regierungsaufgabe definiert, denn die einzelnen Bereiche des NAP betreffen ganz unterschiedliche Regierungsressorts. Diese haben sich jüngst in einem eigenen Ministerratsbeschluss dazu verpflichtet, ers­tens in diesem Arbeitsprozess mitzuwirken – das hat sehr, sehr gute Auswirkungen, wir haben gerade im Bildungsministerium einen entsprechenden Prozess aufgesetzt – und zweitens diese Bereiche dann auch verstärkt umzusetzen, denn das brauchen wir ja, dass der Nationale Aktionsplan entsprechend umgesetzt wird.

Dieser Ministerratsbeschluss ist, wie gesagt, am 10. Dezember 2020 erfolgt, und damit hat es ein klares Commitment gegenüber dem geplanten NAP Behinderung gegeben. Ich zitiere aus dem Ministerratsbeschluss: „die Ausarbeitung und Finalisierung des NAP Behinderung auf der politischen Ebene durchgehend zu unterstützen“ – alle Regierungs­mitglieder haben zugestimmt –, „die Anliegen der Behindertenvertreterinnen und Behin­dertenvertreter wahrzunehmen“ – alle Regierungsmitglieder haben zugestimmt – und „die bedarfsgerechte Finanzierung der ressortbezogenen Maßnahmen durch die Bereit­stellung der benötigten Mittel im Rahmen der entsprechenden Ressortbudgets sicherzu­stellen“ – alle Regierungsmitglieder haben zugestimmt.

Das heißt, es gibt jetzt sehr, sehr gute Grundvoraussetzungen dafür, dass der neue NAP gut in Umsetzung kommt. Die Empfehlungen für den neuen NAP, die die Universität Wien im Zuge der Evaluierung des bisherigen NAP 2012–2020 abgegeben hat, fließen natürlich in die Erstellung des neuen NAP mit ein. Mein Schwerpunkt – und darauf lege ich großen Wert, das ist auch der Schwerpunkt des Hauses insgesamt – ist die Parti­zipation, also die Einbeziehung von behinderten Menschen und entsprechenden Organi­sationen in diesem Bereich als Expertinnen und Experten in eigener Sache durch die persönliche Betroffenheit. Das ist unser Grundmotto bei der Erarbeitung. Wir sind bei der Erarbeitung ein bisschen in Verzug – Covid-bedingt, das ist derzeit leider in vielen Bereichen so, und auch, weil wir diesen jetzt fixierten Arbeitsprozess im Bereich der Bundesministerien noch ermöglichen wollen, damit wir eine gute Umsetzung schaffen.

Vizepräsident Dr. Peter Raggl: Danke.

Frau Bundesrätin, wird eine Zusatzfrage gewünscht?

Bundesrätin Heike Eder, BSc MBA (ÖVP, Vorarlberg): Nein, vielen Dank für die Be­antwortung der Fragen, somit ist alles klar. – Danke.

Vizepräsident Dr. Peter Raggl: Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Herr Bundesrat Stefan Zaggl zu Wort gemeldet. – Ich bitte um die Frage.

Bundesrat Stefan Zaggl (SPÖ, Tirol): Herr Minister, gerade die Gruppe von Arbeitneh­merinnen und Arbeitnehmern mit Behinderungen ist derzeit auf dem Arbeitsmarkt be­sonders benachteiligt. Wie wollen Sie diese Menschen konkret unterstützen, damit sie auf dem Arbeitsmarkt wieder Fuß fassen können?

Vizepräsident Dr. Peter Raggl: Herr Bundesminister, bitte.

Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz Rudolf Anschober: Geschätzter Herr Bundesrat, das ist ein wirklich sehr, sehr wichtiger Be­reich, weil es ja um Gleichstellung und Gleichberechtigung geht. Der Arbeitsmarkt spielt für uns alle – das merkt man in unserer Lebenssituation – eine große, zentrale Rolle.

Wir haben deswegen im Zusammenhang mit der Pandemie besondere Maßnahmen ge­setzt, unter anderem durch eine massive Unterstützung und deutliche Verstärkung der sogenannten integrativen Betriebe. Es gibt acht integrative Betriebe, die einen ganz wichtigen Beitrag zur beruflichen Teilhabe in Österreich leisten. Sie beschäftigen derzeit rund 2 600 Personen, davon fast 2 000 Menschen mit Behinderungen. Wie andere Be­triebe befinden sie sich derzeit in einer sehr schwierige Situation, deswegen wird es ein Fortsetzen der entsprechenden Förderbedingungen geben, auch dann – und das ist im Übrigen bereits Realität –, wenn Kurzarbeit in Anspruch genommen wird. Darüber hi­naus gibt es die Möglichkeit, zinsenlose Darlehen des Sozialministeriums zu erhalten.

Zweitens haben wir spezielle Förderungen zur Arbeitsplatzsicherung – spezifisch für die Covid-Situation, für die Situation in der Pandemie – verankert, und zwar in einem Ge­samtpaket – ich versuche, es zusammenzufassen –, in dem wir rund 8 Millionen Euro, finanziert aus dem Ausgleichstaxfonds, investiert und zur Verfügung gestellt haben. Da geht es im Wesentlichen um einen Lohnkostenzuschuss bei Kurzarbeit, um die Erhö­hung der bestehenden Arbeitsplatzsicherungszuschüsse um 50 Prozent – das ist we­sentlich –, um die Erhöhung der bestehenden Entgeltzuschüsse um weitere 50 Prozent und schließlich um den Ausbau der Förderung für selbstständige begünstigte Behinder­te – auch ein wichtiger Punkt, vielleicht keine große Gruppe, aber es geht darum, dass man spezifisch unterstützt.

Covid-19-bedingte bedarfsgerechte Aufstockungen der Projektförderungen zur berufli­chen Teilhabe von Menschen mit Behinderungen sind eines der Hauptziele für das Jahr 2021. Da wird es um den Ausbau der Angebote für Jugendliche gehen, zweitens um den weiteren Ausbau der niederschwelligen Vormodule von Ausbildungsfit – Sie kennen das Projekt mit Sicherheit – und drittens um den Piloten Neba Betriebsservice zur Beratung und Begleitung von Unternehmen beim Thema Arbeit und Behinderung.

Vizepräsident Dr. Peter Raggl: Vielen Dank, Herr Bundesminister.

Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Herr Bundesrat Andreas Arthur Spanring zu Wort gemeldet. – Bitte schön.

Bundesrat Andreas Arthur Spanring (FPÖ, Niederösterreich): Herr Minister, spätes­tens mit dem niederschmetternden Sonderbericht der Volksanwaltschaft „Keine Chance auf Arbeit – Die Realität von Menschen mit Behinderung“ ist uns allen in Erinnerung ge­rufen worden, dass im Jahr 2020 und bis heute Menschen mit Behinderung durch ihre Tätigkeiten in Werkstätten leider keinen Anspruch auf Sozialversicherung haben. Wir haben dazu einen entsprechenden Entschließungsantrag eingebracht, der auch mehr­heitlich angenommen wurde. Darin wurde die Bundesregierung aufgefordert, dafür Sorge zu tragen, dass man neben einem verpflichtenden Mindestlohn auch eine ver­pflichtende Sozial-, Kranken-, Unfall-, aber auch Arbeitslosenversicherung erhält, insbe­sondere zur Pensionssicherung.

Meine Frage: Was ist bisher an konkreten Maßnahmen zur Umsetzung erfolgt?

Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz Rudolf Anschober: Sehr geehrter Herr Bundesrat, das Thema Lohn statt Taschengeld – ich versuche, es ein bisschen zu übersetzen und zu vereinfachen – ist ein seit vielen Jahren in Diskussion befindliches Thema, dessen ich mich bereits in den letzten Monaten sehr ernsthaft angenommen habe. Für den inklusiven Arbeitsmarkt sieht das Regierungspro­gramm ja unter anderem den Ausbau konkreter Beschäftigungsangebote, eine Beschäf­tigungsoffensive, verstärkte Angebote im Schnittstellenbereich zur Schule und Maßnah­men zur längerfristigen Beschäftigung vor.

Wir haben aber im Regierungsprogramm zur Verbesserung der Situation von Menschen in sogenannten Werkstätten auch zwei zentrale Schwerpunkte verankert, nämlich keine automatische Arbeitsunfähigkeitsfeststellung unter 24 – wichtiger Bereich! – und zwei­tens das von Ihnen hauptsächlich herangezogene Thema Lohn statt Taschengeld.

Die Zuständigkeit für Werkstätten liegt ja grundsätzlich bei den Bundesländern, aber unabhängig davon habe ich einen runden Tisch mit den Ländern und Stakeholdern ver­anlasst. Dieser hat im vergangenen Jahr stattgefunden. Das Thema wurde unter ande­rem mit der Volksanwaltschaft, mit den Ländern, mit Behindertenvertreterinnen und -ver­tretern umfassend diskutiert und erörtert. Es ist ein sehr vielschichtiges Thema, das unter anderem das Arbeitsrecht, das Sozialversicherungsrecht, die Sozialhilfe beziehungswei­se die Behindertengesetze betrifft.

Es wurde vereinbart, eine entsprechende Studie bei der Lebenshilfe in Auftrag zu geben und diese abzuwarten. Diese Studie haben wir nun seit August vorliegen, und mit ihr als Basis erfolgte der weitere gemeinsame Arbeitsprozess. Dieser wurde im Septem­ber 2020 unter anderem mit einem zweiten runden Tisch gestartet.

Aufbauend auf dessen Ergebnisse wird jetzt ein Konzept mit Sozialversicherungsabsi­cherung erarbeitet, das ist das Ziel für das Jahr 2021. Dabei geht es vor allem um die Klärung der Finanzierungsfrage und der Finanzierungsbeteiligung. Wir hätten uns leich­ter getan, wenn der entsprechende Finanzausgleich zeitnah erfolgt und umgesetzt wor­den wäre. Das ist jetzt leider nicht der Fall, aber wir werden dennoch versuchen, ge­meinsam mit den Ländern entsprechende Lösungen zu erarbeiten.

Vizepräsident Dr. Peter Raggl: Vielen Dank, Herr Bundesminister.

Zu einer abschließenden Zusatzfrage hat sich Herr Bundesrat Marco Schreuder zu Wort gemeldet. – Ich bitte um die Frage.

Bundesrat Marco Schreuder (Grüne, Wien): Herr Bundesminister, Barrierefreiheit ist ein ganz wesentlicher und wichtiger Bestandteil. Wie schauen denn aktuell die Pläne im Barrierefreiheitsrecht aus?

Vizepräsident Dr. Peter Raggl: Bitte, Herr Bundesminister.

Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz Rudolf Anschober: Sehr geehrter Herr Bundesrat, zurückkommend auf den von mir am Beginn dieser Fragerunde zum Thema Menschen mit Behinderungen und ihre Lebenssituation dargestellten Bereich der Kooperation, und zwar der überparteilichen Kooperation mit den Nationalratsfraktionen, ist es so, dass wir uns darauf geeinigt haben, dass das prio­ritäre Thema in den nächsten Wochen und Monaten die Frage der Umsetzung der Bar­rierefreiheit in Österreich sein soll.

Derzeit wird an einem neuen nationalen Gesetz zur Umsetzung des European Accessi­bility Acts, der EU-Richtlinie 2019/882 über die Barrierefreiheitsanforderungen für Pro­dukte und Dienstleistungen, gearbeitet, die einheitliche rechtliche Standards in Bezug auf barrierefreie Informations- und Kommunikationstechnik innerhalb der Europäischen Union setzt und damit wesentlich zur Förderung der wirtschaftlichen und gesellschaftli­chen Teilhabe von Menschen mit Behinderung beitragen wird.

Die schrittweise Umsetzung der Barrierefreiheit auf Basis einer koordinierten gesamt­staatlichen Strategie ist auch ein zentrales Ziel, das durch den kommenden NAP Behin­derung erreicht werden soll. Das wird ein zentraler Hebel für uns. Barrierefreiheit soll stärker als bisher als Voraussetzung für die Vergabe von öffentlichen Mitteln festgesetzt und Beratungen und Unterstützungen im Bereich der Barrierefreiheit sollen nieder­schwelliger als bisher ermöglicht und verankert werden. Eine wesentliche Rolle sollen dabei Schulungen und verpflichtende Ausbildungsmodule für unterschiedliche Interes­sen- und Berufsgruppen darstellen.

Vizepräsident Dr. Peter Raggl: Vielen Dank, Herr Bundesminister.

Wir gelangen nun zur 9. Anfrage, 1922/M-BR/2021.

Ich bitte den Anfragesteller, Bundesrat Stefan Schennach, um die Verlesung der Anfra­ge. – Bitte schön.