19.19

Bundesrätin Claudia Hauschildt-Buschberger (Grüne, Oberösterreich): Herr Präsident! Herr Minister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuseherinnen und Zuseher! Die EU-Jahresvorschau in den Themenfeldern Gesundheit, Soziales und Kon­sumentInnenschutz für das Jahr 2021 beinhaltet einige sehr wichtige Projekte – wir haben das jetzt schon gehört –, deren Fortschritt zum Beispiel auch wichtige Impulse für die Pflegereform und für die Armutsbekämpfung in Österreich geben könnte.

Ich spreche jetzt ganz bewusst nicht näher über die Überlegungen zu einer Gesund­heitsunion. Die Erfahrungen im Umgang mit der Coronapandemie könnten und sollten gebündelt werden, um in zukünftigen Krisensituationen doch ein vielleicht erfahreneres Management wirksam werden zu lassen, denn da gibt es tatsächlich Handlungsbedarf. Ich glaube, das wissen wir alle nach eineinhalb Jahren Coronapandemie.

Stattdessen möchte ich mich jetzt noch ganz kurz auf drei Initiativen fokussieren, die mehr Aufmerksamkeit verdienen, wir haben es schon gehört: die europäische Kinder­garantie, die EU-Strategie für die Rechte von Menschen mit Behinderungen und das Grünbuch zum Thema Altern.

Die europäische Kindergarantie hat sich zum Ziel gesetzt, Kinderarmut und soziale Ausgrenzung von Kindern zu bekämpfen. Dabei soll sichergestellt werden, dass Kinder Zugang zu folgenden Leistungen haben: Bildung inklusive frühkindliche Bildung und Betreuung, Erholung, Sport und kulturelle Aktivitäten, Gesundheitsleistungen und auch angemessenes Wohnen.

Wir haben es schon gehört: Jedes vierte Kind in der EU ist von Armut betroffen, in Öster­reich jedes fünfte – dazu gibt es einen sehr umfassenden Bericht von der Volkshilfe –, insgesamt betrifft es 372 000 Kinder und Jugendliche. Das ist ein Grund, sich einmal mehr die Frage zu stellen, ob Maßnahmen wie zum Beispiel die Sozialhilfe nach dem Sozialhilfe-Grundsatzgesetz tatsächlich geeignet sind, Armut zu verhindern.

In Oberösterreich ist zum Beispiel im Sozialhilfe-Ausführungsgesetz festgelegt, dass der Bezug der Sozialhilfe mit jedem weiteren Kind sinkt. Das heißt, eine Familie mit drei Kindern, die Sozialhilfe bezieht, erhält für das erste Kind 25 Prozent des Nettoaus­gleichszulagenrichtsatzes für Alleinstehende, für das zweite Kind dann nur noch 20 Prozent und für das dritte Kind 15 Prozent. Bedeutet das, dass das zweite und dritte Kind weniger Bedürfnisse zu stillen haben? – Ich glaube nicht. (Bundesrat Schennach: Das ist schon Strafe!)

Auch wenn wir das Beispiel Bildung – Bildung als Ausweg aus der Armut – hernehmen: Armutsgefährdete Kinder und Jugendliche haben tatsächlich wesentlich schlechtere Chancen, denn sie haben vermutlich keine Eltern, die darauf achten oder achten können, dass sie die Hausaufgaben machen, oder die sie gar dabei unterstützen. In manchen Familien mangelt es sogar an ganz wesentlichen, grundlegenden Dingen, nämlich an einem Ort, wo die Kinder ihre Hausübung ungestört machen können. (Zwischenruf bei der FPÖ.) Es gibt teilweise schlichtweg gar keinen Schreibtisch, geschweige denn ein eigenes Zimmer für jedes Kind. (Bundesrat Steiner: Das war euch wurscht im letzten Jahr! Wurscht war euch das!) Insofern ist die EU-Initiative betreffend die Kindergarantie (Bundesrat Steiner: Heuchler!) auch für uns in Österreich ein wichtiger Impuls, den wir nutzen sollten, die Armut zu bekämpfen, und nicht die Armen. (Bundesrätin Steiner-Wieser: Völlig blunzen war es euch!)

Die EU-Strategie für die Rechte von Menschen mit Behinderungen – wir haben auch das schon gehört – hat zum Ziel, die UN-Behindertenrechtskonvention weiter umzusetzen. Dabei geht es darum, dass Menschen mit Behinderungen uneingeschränkt und selbst­bestimmt am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben teilhaben können. In den vergangenen Jahren hat es in diesem Bereich tatsächlich viele Fortschritte gegeben, dennoch sind Menschen mit Behinderungen stärker von Armut und sozialer Ausgren­zung bedroht.

Auch mit der Selbstbestimmung ist es nicht immer ganz einfach. Ich möchte das am Beispiel des Wohnens festmachen: Häufig müssen Menschen mit Behinderungen in institutionelle Wohneinrichtungen ziehen, weil es schlichtweg an Unterstützungs­ange­boten wie zum Beispiel persönliche Assistenz fehlt. Statt des selbstbestimmten Woh­nens in den eigenen vier Wänden heißt es dann: betreute WG. Insofern ist es wirklich wichtig, dass die weitere Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Österreich verfolgt wird und dass Augenmerk auf den Ausbau niederschwelliger Unterstützungs­leistungen gelegt wird. (Zwischenruf der Bundesrätin Steiner-Wieser.)

Dann noch ganz kurz: Das Grünbuch zum Thema Altern ist das erste Grundsatzpapier, das sich allgemein mit verschiedenen Themenfeldern des Alterns auseinandersetzt. Es werden darin einige allgemeine Themen angesprochen, wie ein gesundes und aktives Altern, aber auch spezielle Themen, etwa die Altersarmut bestimmter Bevölkerungs­gruppen – Frauen, Migrantinnen und Migranten, Menschen mit Behinderungen –, oder die Herausforderungen für die Gesundheitsversorgung und die Langzeitpflege. Vor dem Hintergrund der bevorstehenden Pflegereform liefert das Grünbuch zum Thema Altern grundlegende Fakten mit einer europäischen Perspektive, die für die hierzulande ge­führte Diskussion sicherlich von Interesse sein können.

Im Sozial- und Gesundheitsbereich gibt es ganz, ganz viel zu tun, und die europäische Vernetzung und Zusammenarbeit liefern – wie die drei von mir kurz erwähnten Beispiele zeigen – wichtige Ansatzpunkte für die nationale Umsetzung in diesen Bereichen.

Ich stelle daher folgenden Antrag gemäß § 43 Abs. 1 GO-BR:

Antrag

der BundesrätInnen Karl Bader, Marco Schreuder, Kolleginnen und Kollegen betreffend „TOP 28) Bericht des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsu­mentenschutz betreffend EU-Jahresvorschau 2021 gemäß Artikel 23f Absatz 2 B-VG, auf der Grundlage des Legislativ- und Arbeitsprogramms der Europäischen Kommission für 2021 und des portugiesischen Arbeitsprogramms für das 1. Halbjahr 2021 sowie des Achtzehnmonatsprogramms des deutschen, portugiesischen und slowenischen Rats­vorsitzes (III-733-BR/2021 d.B.) in der 927. Sitzung des Bundesrates

Die unterzeichneten Bundesrätinnen und Bundesräte stellen gemäß § 43 Abs. 1 GO-BR den Antrag, den vorliegenden Bericht zur Kenntnis zu nehmen.“

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Danke. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

19.26

Präsident Mag. Christian Buchmann: Der von den Bundesräten Karl Bader, Marco Schreuder, Kolleginnen und Kollegen gemäß § 43 Abs. 1 GO-BR eingebrachte Antrag zum Verhandlungsgegenstand, den vorliegenden Bericht des Bundesministers für Sozi-ales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend EU-Jahresvorschau 2021 gemäß Art. 23f Abs. 2 B-VG, auf der Grundlage des Legislativ- und Arbeitsprogramms der Europäischen Kommission für 2021 und des portugiesischen Arbeitsprogramms für das 1. Halbjahr 2021 sowie des Achtzehnmonatsprogramms des deutschen, portugie­sischen und slowenischen Ratsvorsitzes, zur Kenntnis zu nehmen, ist genügend unter­stützt und steht demnach mit in Verhandlung.

Weitere Wortmeldungen liegen vor. – Herr Bundesrat Hübner, ich erteile Ihnen das Wort, bitte. (Rufe bei ÖVP und SPÖ: Nein! – Bundesrat Steiner: Das ist aber ein bisschen respektlos! – Ruf bei der FPÖ: Nach den Grünen ...! – Heiterkeit bei der FPÖ. – Ruf bei der ÖVP: Zwischenrufen ist erlaubt!)