10.28

Mitglied des Europäischen Parlaments Dr. Monika Vana (Grüne): Sehr geehrte Frau Bundesratspräsidentin! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Liebe Mitglieder des Bundesrates! Liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem Europa­parlament! Es ist als Grüne immer eine Herausforderung, nach der FPÖ zu reden. (Bundesrätin Grimling: Das glaube ich!) Wir kennen das auch aus dem Europaparlament. Dort haben wir allerdings nur 1 bis 2 Minuten Rede­zeit. (Zwischenrufe bei der FPÖ.) Ich bin also sehr dankbar, heute hier zu sein. Die 8 Minuten sind für mich Luxus. (Bundesrat Steiner: Ein total guter Konter! Sen­sationell gut!)

Ich muss sagen, es ist auch deshalb eine Herausforderung, weil es in allen Debatten, aber insbesondere in der Europadebatte, der FPÖ ja nie um Lösungen geht. Ich habe heute hier keinen einzigen Lösungsvorschlag von der FPÖ ge­hört, sondern einfach immer nur antieuropäische Stimmungsmache. Die FPÖ hat irgendwie noch nie daran gedacht – zumindest habe ich es noch nie erlebt –, was ein gemeinsames Europa auch von uns an Solidarität fordert, son­dern will immer nur politisches Kleingeld auf Kosten des Zusammenhalts in Österreich und Europa wechseln. Das ist nicht gut, das ist auch für das Parlament nicht gut. (Beifall bei den Grünen und bei Bundesrät:innen der ÖVP. Bundesrat Steiner: Das sieht der Bürger weit anders!)

Ich möchte mich für die Einladung in den Bundesrat sehr herzlich bedanken, noch dazu zu einer solch denkwürdigen Sitzung, nämlich der letzten Sitzung hier in diesem Haus; und auch alles Gute für Sie, Frau Bundesratspräsidentin. Vie­len Dank auch für die Hervorhebung der öffentlichen Dienstleistungen und deren Bedeutung. Ich war ja auch einmal Kommunalpolitikerin in Wien, und das ist auch ein Thema, das uns verbindet. Ich denke, gerade diese Europa­stunden helfen dabei, wie meine Vorredner und Vorrednerinnen auch gesagt ha­ben, Europapolitik zwischen den verschiedenen Ebenen zu verbinden – wir haben ja auch das Rederecht im Nationalrat und in Landtagen –, also EU-Ebene, national, regional und die Städte, denn es geht ja um die Auswirkungen un­serer Entscheidungen auf die Bürger und Bürgerinnen, die wir alle gemeinsam vertreten. Deshalb ist dies ein unerlässlicher Austausch, insbesondere in Zeiten von Krisen. (Vizepräsident Hirczy übernimmt den Vorsitz.)

Das Thema der heutigen Europastunde „Die EU in herausfordernden Zeiten“ geht uns alle etwas an, nicht nur die EU-Ebene, im Gegenteil, die Krisen – sie wurden schon genannt: Covid, Krieg, Klima- und Sozialkrise, Energie und Teuerung – fordern uns gemeinsam, und wir müssen gemeinsam darauf schauen, dass sie sich nicht zu einer Demokratiekrise auswachsen. Gemeinsamkeit ist auch das Fundament, auf dem die EU gegründet wurde – Gemeinsamkeit und Solidarität. (Bundesrat Steiner: Es ist aber keine Einbahnstraße!) Deshalb kann ich als grüne Abgeordnete immer wieder nur betonen: Rein nationale Ant­worten bringen uns nicht weiter, nationale Alleingänge lösen keine Probleme. Was wir brauchen, sind europäische Lösungen, damit die EU gerade jetzt ihrem Anspruch der politischen Union und auch ihrem Anspruch des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts nachkommen kann.

Die EU wurde als Friedensprojekt gegründet und hat gegenüber ihren Bürgerinnen und Bürgern ein Wohlstandsversprechen abgegeben. Ich möchte diesbezüglich gleich zur aktuellen Diskussion über die Schengenerweite­rung Stellung nehmen: Heute vor genau 15 Jahren, am 21. Dezember 2007, sind neun Mitgliedstaaten der Union Mitglieder des Schengenraums geworden. Ich denke, das ist ein denkwürdiger Tag, und ich bedauere, dass der Dezember 2022 in dieser Hinsicht leider nicht als positives Beispiel in die EU-Geschichte ein­gehen wird.

Ich möchte ganz persönlich sagen, dass ich die gute Zusammenarbeit mit dem Koalitionspartner in vielen Fragen, auch in europapolitischen Fragen, sehr schätze (Bundesrat Steiner – erheitert –: Das ist brutal gut!), aber dieser Schritt ist bedauerlich und wir Grüne tragen ihn nicht mit; er ist nicht richtig. Schengen ist eine große Errungenschaft (Bundesrat Spanring: Schengen Sie sich!) und ist zen­tral für die Reisefreiheit der Bürgerinnen und Bürger und damit auch ein Aus­druck des Friedensprojekts, des Friedens und der Freiheit in Europa.

Rumänien und Bulgarien erfüllen seit Jahren alle Auflagen, und ich denke, Vetopolitik ist generell problematisch in Europa, denn am Beispiel von Viktor Orbán, der die EU regelmäßig erpresst, sieht man, was Blockadepolitik anrichtet. Das Beispiel Schengen, aber auch das Beispiel Ungarn, das heute schon ge­nannt wurde, zeigen eines, nämlich dass die Einstimmigkeit im EU-Rat endlich fallen muss. (Beifall bei den Grünen und bei Bundesrät:innen der SPÖ.) Wir brauchen gerade jetzt, auch angesichts der Krisen, Zusammenhalt in Europa, eine starke, solidarische EU und eine handlungsfähige EU. (Bundesrat Schennach: Hat er gesagt!)

Gleichzeitig möchte ich zum Thema Mauern an der EU-Außengrenze etwas festhalten und die frühere Gouverneurin von Arizona, eines Grenzstaa­tes zu Mexiko, wo es ja auch um Mauern ging, zitieren. Sie sagte: Zeige mir einen 50 Fuß hohen Grenzzaun und ich zeige dir eine 51 Fuß hohe Leiter, um die­sen zu überwinden. – Zitatende.

Ich denke, das stimmt – ganz simpel. Mauern lösen keine Probleme. Das Fallen von Mauern ist die Erfolgsgeschichte der Europäischen Union (Beifall bei den Grünen, bei Bundesrät:innen der SPÖ sowie des Bundesrates Arlamovsky), so wie die Grund- und Menschenrechte, die es kompromisslos zu verteidigen gilt. Ich denke, ja, die Europäische Union ist ein Schutzschild und soll ein Schutz­schild sein (MEP Mayer: Das ist wichtig, unheimlich wichtig!), und zwar ein Schutzschild für Freiheit, für Gleichstellung, für Sicherheit und Recht. Die EU muss Freedomzone bleiben. Wir als Europaparlament haben die EU im Zusammenhang mit LGBTIQ-Rechten zur Freedomzone ausgerufen, aber natürlich auch im Zusammenhang mit allen Grund- und Menschenrechten, und so müssen und sollen wir es auch an der EU-Außengrenze halten.

Ordnung und Humanität, beides ist möglich und muss möglich sein. Deshalb sind die Grünen – das ist jetzt nicht neu – für ein solidarisches gemeinsames EU-Asyl- und Migrationssystem mit fairen Aufnahmequoten für Flüchtlinge, für Grundversorgung, für Zugang zum Arbeitsmarkt, selbstverständlich für Einhaltung der Europäischen Menschenrechtskonvention mit legalen Fluchtwe­gen nach Europa – keine Festung Europa, das ist nicht unsere Vision.

Wir leben in herausfordernden Zeiten, so ist der Titel dieser Europastunde, und deshalb nehme ich natürlich auch Stellung – ich sage das ganz bewusst – zum Skandal in unserem Europaparlament. Glauben Sie mir, als Europaabgeord­nete hat mich der jüngste Korruptionsskandal natürlich zutiefst erschüttert, wie uns alle, und er erfordert lückenlose Aufklärung, harte Sanktionen und starke Präventivmaßnahmen. Korruption bedeutet nicht nur einen Schaden für die betreffende Institution, nein, sie bedeutet einen schweren Vertrau­ensverlust bei den Bürgerinnen und Bürgern und zerstört die Demokratie an sich. Ich verhehle nicht, es ist umso bitterer, als das Europaparlament das Thema Rechtsstaatlichkeit zum Beispiel gegen Ungarn und Polen auf seine Fahnen heftet und beim Rechtsstaatsmechanismus hart bleibt und EU-Förderungen zu­rückhält. Das ist ein großer Schritt, den wir nicht hoch genug einschätzen können.

Der Korruptionsskandal wiegt aber auch umso schwerer und bitterer, als die EU in den letzten Jahren ermutigende und positive Beispiele wirklichen europäischen Krisenmanagements und über die Grenzen der EU hinauswach­sende Solidarität gezeigt hat: bei den Sanktionen gegen Russland, bei der Unterstützung für die Ukrainer:innen mit Hilfspaketen – ich selbst bin im Regio­nalausschuss tätig und war beim Schnüren dieser Fast-Care-Pakete und an­derer auch dabei –, während Covid mit der gemeinsamen Impfstoffbeschaffung (Bundesrat Ofner: Das ist ganz super gewesen, da haben wir heute noch Millio­nen Impfdosen!), mit dem Wiederaufbaufonds, der Milliarden schwer ist, mit dem Green Deal, einem Man-on-the-Moon-Moment, wie ihn die Kommissions­präsidentin genannt hat, mit dem Klima- und Sozialfonds, der erst jüngst geschaf­fen wurde, aber auch mit dem EU-Mindestlohn und mit mehreren Gleich­stellungsrichtlinien – das ist heute schon erwähnt worden.

All das sind Meilensteine, und ich denke, gerade auch der Blick über den Ärmelkanal in das von den Brexitverwerfungen gebeutelte Großbritannien zeigt uns ganz deutlich, dass das gemeinsame Europa die Lösung und nicht das Problem darstellt.

Es braucht aber – das sage ich auch abschließend, aber das haben wir Grüne seit dem EU-Beitritt immer gesagt – nicht nur mehr EU, sondern natürlich auch eine andere EU. Wie diese andere EU gehen kann, haben uns die Bürgerinnen und Bürger mit der Konferenz zur Zukunft Europas, die heuer am 9. Mai zu Ende gegangen ist, mit sehr beeindruckenden Ergebnissen gezeigt – ich war selber Mitglied des Plenums –: mehr direkte Demokratie, Aufwertung der lokalen Ebene, Aufwertung des Europäischen Parlaments mit einem Initiativrecht und eine echte europäische Sozialunion.

Ich denke, das ist ein Gebot der Stunde: europaweite soziale Mindeststandards. Fast ein Viertel der europäischen Bevölkerung lebt an der Armutsgrenze – das ist viel, das ist eine starke Zahl: Ein Viertel ist armutsgefährdet! Der EU-Min­destlohn war der erste Schritt, aber nun braucht es mehr, nämlich das europaweite Mindesteinkommen. Das war übrigens die stärkste Forderung der Bürgerinnen und Bürger in der Konferenz zur Zukunft Europas. Es ist nun unsere gemeinsame Aufgabe, die Ergebnisse dieser Zukunftskonferenz auf allen Ebenen umzusetzen, nicht nur auf der europäischen mit Vertragsänderun­gen und einem Konvent, sondern auch auf der nationalen, aber auch auf der lo­kalen und regionalen Ebene. Es gibt da etliche gute Forderungen, zum Bei­spiel die EU-Gemeinderät:inneninitiative, die wir von Österreich quasi auf die EU-Ebene exportiert haben. Das ist eine gute Initiative. Und damit möch­te ich schließen: mehr Politik, weniger Populismus! Die EU in herausfordernden Zeiten geht uns alle an, arbeiten wir gemeinsam an einem besseren und stärkeren Europa! – Danke. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

10.38

Vizepräsident Bernhard Hirczy: Danke, Frau Abgeordnete.

Ich mache darauf aufmerksam, dass die Redezeit der weiteren Teilnehmer:innen an der Aktuellen Europastunde nach Beratung in der Präsidialkonferenz 5 Minuten nicht übersteigen darf.

Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Ferdinand Tiefnig. – Herr Bundesrat, ich erteile Ihnen das Wort.