11.17

Bundesrätin Doris Hahn, MEd MA (SPÖ, Niederösterreich): Herr Präsident! Geschätzte Frau Ministerin! Werte Gäste bei uns im Saal und zu Hause vor den Bildschirmen! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen im Bundesrat! Ja, ich weiß nicht, Märchenstunde, oder wie auch immer?! Ich weiß schon, dass die Ar­gumentation betreffend diesen Einstellungsversuch der „Wiener Zeitung“ schwierig ist. Das ist mir durchaus klar, aber mit solchen abstrusen und an den Haaren herbeigezogenen Zahlen, von denen Sie ganz genau wissen, dass sie nicht korrekt sind, zu argumentieren, finde ich ein bisschen unredlich – aber das ist vielleicht auch eine persönliche Interpretation meinerseits. Ich finde es ein bisschen traurig.

„Wiennerisches Diarium“, wie es zunächst geheißen hat, die „Wiener Zeitung“ würde, wie wir heute schon gehört haben, im August ihren durchaus stol­zen 320. Geburtstag – nämlich als älteste noch erscheinende Tageszeitung der Welt – feiern. Wie es ausschaut, wird sie aber diesen stolzen Geburtstag in dieser Form nicht mehr erleben, ganz im Gegenteil! Ja, es ist fast ein Sterben auf Raten, würde ich sagen. Sie wird in vollem Bewusstsein, von welch immen­ser Bedeutung – nicht nur für die österreichische Medienlandschaft – diese Zei­tung in Wahrheit ist, zu Grabe getragen. Ich finde, die „Wiener Zeitung“ ist seit so langer Zeit wirklich ein Garant für objektiven Journalismus und für unab­hängige Berichterstattung, weil sie sich eben schon sehr, sehr früh von kai­serlicher Berichterstattung emanzipiert hat, wie wir es heute auch schon gehört haben.

Sie ist heute nicht in einer Abhängigkeit von Inseraten, weder von Ministerien noch von Parteien, wie das bei vielen anderen Medien der Fall ist, bei denen man durchaus schon wieder von Hofberichterstattung sprechen kann. (Zwischen­ruf der Bundesrätin Kittl.) Bei der Gelegenheit muss ich, glaube ich, auch nicht wie­derholen, wie es um die österreichische Pressefreiheit steht. Erst vor Kurzem, vor wenigen Tagen, ist ja auch der Weltpressefreiheitsindex 2023 veröffentlicht worden. Ich glaube nicht, dass man stolz darauf sein kann. Österreich liegt im Vergleich weit abgeschlagen auf Rang 29 (Zwischenruf des Bundesrates Korn­häusl), in einzelnen Feldern – zum Beispiel beim politischen Rahmen – sogar nur auf Rang 39.

Wenn man sich die Liste hernimmt, dann sieht man, welche Länder da sogar weit besser als Österreich liegen. Litauen liegt zum Beispiel auf Platz sieben, Est­land auf Platz acht, Osttimor auf Platz zehn. Das ist kein Ruhmesblatt für unser Land (Bundesrat Kornhäusl: Das ist ...!) und auch nicht für die Pressefreiheit in unserem Land. (Beifall bei der SPÖ.)

Herr Kollege Kornhäusl, eines muss man schon noch dazusagen, nämlich: Die Bewertungsbasis für dieses Ranking endete mit 31. Jänner. (Zwischenruf des Bundesrates Kornhäusl.) Das heißt, solche Dinge wie Hausdurchsuchungen in verschiedenen Medienhäusern – Sie wissen ganz genau, wovon ich rede –, das alles ist da noch nicht berücksichtigt worden. Wer weiß, an welcher Stelle wir liegen würden, wenn das da auch schon entsprechend Berücksichti­gung gefunden hätte – aber gut.

Das heißt, Österreich hat ein Printmedium, wie es die „Wiener Zeitung“ ist, bitter, bitter nötig, um da nicht noch weiter abzurutschen. (Beifall bei der SPÖ. Zwischenruf des Bundesrates Kornhäusl.)

Zurück zur Hofberichterstattung: Ich darf an dieser Stelle exemplarisch eine Jahreszahl in der historischen Entwicklung der „Wiener Zeitung“ herausgreifen, nämlich (ein Exemplar der „Wiener Zeitung“ in die Höhe haltend) das Jahr 1848. Sie alle wissen, das war das Jahr der großen Revolution, natürlich in wei­ten Teilen Europas, aber auch und besonders in Wien. Es gab die Märzrevolu­tion, die noch vom Bürgertum getragen wurde, mit dem Ausbruch im Nie­derösterreichischen Landhaus, mit den ersten Todesopfern, der Zerstörung von Fabriken, schließlich gab es dann auch den Rücktritt Metternichs. Dann kam die Mairevolution, getragen von den Studenten und der Arbeiterbewegung, mit den Protesten unter anderem für das Recht auf Arbeit, dann folgte die Oktoberrevolution mit dem blutigen Ende der kurz zuvor errungenen Freiheiten.

Was aber hat das jetzt konkret mit der „Wiener Zeitung“ zu tun? – Viel mehr, als man das auf den ersten Blick vermuten würde. Ich möchte das hier ganz kurz skizzieren: 1848 herrschte ja noch mit dem Metternich-Regime eine strikte Zensur in der Medienlandschaft. Dieser Zensur hat sich natürlich auch die Re­daktion der „Wiener Zeitung“ Stück für Stück immer wieder widersetzt.

Man könnte zunächst noch von passivem Widerstand sprechen, der da geleistet wurde. Es gab zunächst einmal ganz bewusste, mitreißende Berichte von der Revolution aus Frankreich, dann gab es Titelseiten mit Aufmachern wie zum Beispiel: „Es lebe die Freiheit!“ Im Amtlichen Teil hat es schließlich die Verkündung der Pressefreiheit und die Zusage der Konstitution, also der par­lamentarischen Verfassung gegeben. Letztendlich, was damals gänzlich neu war, wurde der redaktionelle Teil völlig frei gestaltet, den unterschiedlichs­ten Meinungen wurde Raum gegeben und Blickpunkte, die da abgebildet wurden, vertraten von konservativen bis hin zu liberalen und reaktionären Per­spektiven wirklich alles.

Was für mich in diesem Zusammenhang ganz witzig ist: Es gab auch den einen oder anderen Druckfehler, der sozusagen wohl nicht ganz durch Zufall passiert ist. Da wurden schon einmal aus anarchistischen Bestrebungen monar­chistische Bestrebungen, einfach um ganz bewusst eine andere Bedeutung zu schaffen – wohl eben nicht ganz zufällig und wohl kein reiner Lapsus. Auch nicht nur passiert – ich habe es, hier auf der Titelseite (ein Exemplar der „Wiener Zeitung“ in die Höhe haltend), noch einmal mitgebracht – ist das Rupfen des Doppeladlers, als dieser nämlich am 29. Mai ganz bewusst vom Titel­blatt verschwunden ist, ganz einfach weggelassen wurde.

Damit wurde dem Regime eben eine ganz, ganz deutliche Botschaft gesendet, mit der Konsequenz, dass die Zeitung schließlich auch unter ministerielle Aufsicht gestellt wurde. Da könnte man jetzt fast ein paar Parallelen zur heuti­gen Zeit und zu unserem heutigen Beschluss ziehen. (Beifall bei der SPÖ.)

Die „Wiener Zeitung“ ist also bis heute mit ihrer 320-jährigen Geschichte ein Kulturgut von unschätzbarem Wert. Nicht ohne Grund ist das Archiv der Zeitung zum Unesco-Weltdokumentenerbe ernannt worden. Der legendäre Hugo Portisch – wir kennen ihn alle – hat völlig zu Recht gefordert, dass auch die „Wie­ner Zeitung“ zum Weltkulturerbe erhoben werden sollte. Dazu gibt es un­ter anderem eine Petition von diversen Kulturschaffenden, von Menschen aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, aus der Zivilgesellschaft. Dabei sind, sehr, sehr viele Namen, die, glaube ich, wirklich in keiner Weise im Verdacht stehen, der Sozialdemokratie nahe zu sein.

Wenn ich mir die Liste hernehme: Da gibt es zum Beispiel einen Herrn mit dem Namen Rudolf Anschober – da müsste jetzt eigentlich die grüne Fraktion hellhörig werden, ich glaube, der sollte Ihnen noch irgendwie ein bisschen be­kannt sein. Auf der Seite der ÖVP gibt es Personen, wie zum Beispiel ei­nen Herrn Reinhold Mitterlehner, der sagt euch vielleicht auch noch etwas, oder Erwin Pröll, Maria Rauch-Kallat, Othmar Karas, Franz Fischler. Die Liste könnte ich noch weit, weit, weit, weit fortsetzen. (Zwischenrufe der Bundesräte Spanring und Steiner.) Die sind alle und setzen sich alle für den Erhalt der „Wiener Zeitung“ ein, aber wie gesagt, da kann man aufseiten der schwarz-grü­nen Regierung schon einmal einen Gedächtnisverlust haben.

Ich möchte an dieser Stelle auch noch einen ganz beachtlichen Gastkommentar einer ehemaligen Juristin wiedergeben und würde Ihnen wirklich den Rat geben, mir aufmerksam zuzuhören und vielleicht ein bisschen in sich zu gehen, wenn ich das so sagen darf.

„Die Bundesregierung ist nicht Eigentümerin der ‚Wiener Zeitung‘, sondern Vertreterin der Eigentümerin. Diese ist die Republik Österreich. Das sind wir alle, die Bürgerinnen und Bürger des Landes, das Volk.

Das Volk ist laut unserer Verfassung der Souverän. [...] Die Einstellung der Zeitung als Tageszeitung würde das Volk als Eigentümer und die Republik Öster­reich als Kulturnation irreparabel schädigen.“ (Zwischenruf des Bundesrates Buchmann.– Frau Minister, Ihnen ist das nicht ganz bewusst, glaube ich – aber gut.

Der leitende Redakteur Paul Vécsei drückt sein Unverständnis über die Haltung der Bundesregierung ebenso ganz klar aus. Er sagt ganz klar, das war Dialog­verweigerung. Ich darf auch da zitieren:

„Dialogverweigerung gegenüber der Redaktion und Zynismus gepaart mit falschen Zahlen sind Merkmal“ in Ihrer (in Richtung Bundesministerin Raab) Stra­tegie, „die älteste noch bestehende Zeitung der Welt zu zerstören“. – Ich glaube, das haben Sie heute wieder eindrucksvoll unter Beweis gestellt. (Ruf bei der ÖVP: ... und wie viele Abonnenten?)

Geschätzte Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen! Heute haben Sie sozusagen noch eine letzte Gelegenheit, aus dieser Dialogverweigerung hervorzutreten und ein klares Bekenntnis für den Erhalt der „Wiener Zeitung“ als Tageszeitung, für die Vielfalt in der österreichischen Medienlandschaft, für den Erhalt eines Kulturgutes abzugeben, auf das Österreich auch tat­sächlich stolz sein kann und stolz sein muss. Ich glaube, das ist das Gebot der Stunde.

Vielleicht gehen Sie doch noch einmal in sich, denn was Österreich, glaube ich, keinesfalls brauchen kann, ist Hofberichterstattung à la Schwarz-Grün oder dann vielleicht Schwarz-Blau oder was auch immer. Das hat sich ein Land wie Österreich, glaube ich, nicht verdient. – Vielen Dank. (Beifall bei der SPÖ. Zwischenrufe der Bundesräte Tiefnig und Steiner.)

11.26

Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Als Nächster zu Wort gelangt Herr Bundes­rat Dr. Johannes Hübner. – Bitte, Herr Kollege.