11.38
Bundesrätin Elisabeth Grimling (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Werte Kolleginnen und Kollegen im Bundesrat! Nach dem Willen der Bundesregierung wird die älteste noch erscheinende Tageszeitung der Welt nach fast 320 Jahren als Printmedium eingestellt werden. (Zwischenruf bei der ÖVP.) – Ja, das haben wir schon gehört.
Als Beispiel darf ich Ihnen jetzt aus der Abendpost der „Wiener Zeitung“ vom Donnerstag, 1. Mai 1873, dem Tag der Eröffnung der Wiener Weltausstellung, Folgendes vortragen:
„Zur Eröffnung.
Der heutige Tag inaugurirt ein Ereigniß, das, von epochemachender Wichtigkeit für die Culturbestrebungen Oesterreichs, doch in seiner kosmopolitischen Bedeutung weit hinausreicht über den Interessenkreis unseres Vaterlandes. Wohl ist es österreichischer Boden, auf dem sich das großartige Schauspiel der Entfaltung aller Kräfte der Industrie und der Cultur vollzieht, wohl ist es Oesterreich, das gastlich die Stätte für den friedlichen Wettstreit aller Nationen geschaffen. Seinem eigentlichen Wesen nach gehört jedoch das große Werk allen Culturvölkern des Erdkreises an und sie blicken darauf hin mit dem tiefen Interesse und dem vollen Stolz der unmittelbaren Antheilnahme.
Der Tempel der Kunst und Industrie, der in unvergleichlicher Großartigkeit aus den grünen Auen des Wiener Praters sich erhebt, ist ein Weltwerk, er ist die Verkörperung einer die ganze civilisierte Menschheit erfüllenden Idee, des Gedankens der Veredlung und Verschönerung des Lebens durch Kunst und Gewerbefleiß und des friedlichen Wettstreites der Völker um den Vorrang in der Erfüllung dieser unserem Zeitalter wichtigsten civilisatorischen Aufgabe.
Aus kleinen Anfängen ist die gegenwärtige wirthschaftliche Cultur der Völker, für welche die heute eröffnete Weltausstellung einen Markstein bildet, emporgewachsen. Die Individualwirthschaft der Culturanfänge ließ nur eine geringe, auf den engen Kreis der Familiengenossen und Hörigen beschränkte Arbeitstheilung zu. Nur an den Höfen der Großen existirte einiges Gewerbe, nur der Zufall bewirkte eine Verpflanzung des gewerblichen Fortschrittes in andere individuelle Productionskreise. Allmälig bildet sich das selbstständige Gewerbe heraus, das städtebildende Element. Der junge Handwerker, der von Stadt zu Stadt zieht, um die Fortschritte des Gewerbes allenthaben kennen zu lernen und in seine Heimat zu verpflanzen, ist die Signatur der höheren gewerblichen Ausbildung jener Periode. Ein rascher Wechsel der Productionsweisen, ein unablässiges Befruchten der Industrie auf allen ihren Gebieten durch die Wissenschaft, ein Aufwenden immer riesigerer Mittel zum Zwecke des wirthschaftlichen Betriebes, charakterisiren die dritte Epoche der wirthschaftlichen Cultur, jene des Großbetriebes und sondern sie scharf von der Periode der Blüthe des kleinen Gewerbes mit ihrer allmäligen, behaglichen Entwicklung.“ (Zwischenruf des Bundesrates Steiner.)
„Die geistigen Errungenschaften in seinem und den verwandten Industriezweigen allenthalben sorgfältig im Auge zu behalten, wird immer mehr zur Frage der Concurrenzfähigkeit, zur Existenzbedingung des Industriellen und ein kostspieliges und nur ungenügendes Mittel hiefür bietet ihm bei der Großartigkeit der Entwicklung der Besuch einzelner fremder Anstalten.
Nicht anders kann dem großen Culturzwecke genügt werden, als dadurch, dass die civilisirte Welt in gewissen Zeitabschnitten eine Rückschau auf die fortschrittliche Entwicklung hält, welche auf allen Gebieten der wirthschaftlichen Cultur und in allen Theilen der Erde zu Tage getreten, und dieser allgemeine Culturgedanke ist es, den wir in der Weltausstellung dieses Jahres begrüßen, der großartigsten, umfassendsten und herrlichsten, welche die Welt noch gesehen.“ – Zitatende. (Beifall bei der FPÖ. – Bundesrat Steiner: Bravo! Da schläfst du ja ein!)
Was für ein historisches Ereignis, über das die „Wiener Zeitung“ zu berichten weiß. Das rettet die „Wiener Zeitung“ trotz aller historischen Bedeutung nicht vor der Zerstörung. Der mediale Aufschrei ist gewaltig, das scheint die Bundesregierung aber nicht zu beirren. Trotz einer Protestwelle, Petitionen und viel fundierter Kritik im Zuge der Begutachtung hält sie mit dem von ihr vorgelegten Gesetz an ihrem Zerstörungsplan fest. Damit geht ein Stück österreichische Zeitgeschichte zu Ende. Das ist wirklich eine Schande! (Bundesrat Steiner: Jawohl! Letzter Satz! – Bundesrätin Schumann: Was ist?)
Hinzufügen möchte ich aber noch, dass der von bestimmter Seite geäußerte Vergleich dieser Maßnahme mit der Befreiung Österreichs vom Nationalsozialismus in seiner historischen Dimension an Geschmacklosigkeit nicht zu überbieten ist. – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)
11.45
Vizepräsident Mag. Harald Himmer: Als Nächste zu Wort gelangt Frau Bundesrätin Mag. Sandra Gerdenitsch. – Bitte, Frau Kollegin.