9.37.19

Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft Mag. Dr. Martin Kocher: Herr Präsident! Sehr geehrte Mitglieder des Bundesrates! Sehr geehrte Damen und Herren! Werte Besucherinnen und Besucher! Ich danke für die Auswahl des Themas dieser Aktuellen Stunde, weil ich glaube, dass das Thema Lieferketten – Resilienz der Lieferketten und auch Verletzlichkeit von Lieferketten – ein ganz wichtiges ist.

Erster Punkt aus meiner Sicht: Wir haben eine globalisierte Welt, und diese Welt wird globalisiert bleiben. Das hat große Vorteile. Wir haben aber in den letzten Jahren auch sehr stark etwas anderes gesehen, nämlich durch die verschiedenen Ereignisse – die Coronapandemie, die Schließung von Häfen in China, den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, die Engpässe bei Rohstoffen in einer Erholung nach den ersten Phasen der Pandemie –, die dazu geführt haben, dass in vielen Bereichen massive Lieferschwierigkeiten entstanden sind.

Natürlich ist die Resilienz von Lieferketten auch und zuerst eine Aufgabe von Unternehmen, aber es gibt natürlich auch Abhängigkeiten, strategische Abhängigkeiten, die den ganzen Staat, die öffentliche Hand, Europa betreffen. Deshalb ist es aus meiner Sicht so wichtig, dass es eine gute Datengrundlage und Forschungsergebnisse auf Basis seriöser Wissenschaft gibt, um dann die richtigen politischen Schlussfolgerungen ziehen zu können. Das betrifft Österreich und auch die Europäische Union.

Es gibt ja auch auf Ebene der Europäischen Union eine sehr, sehr intensive Diskussion über verschiedene Aspekte in ganz spezifischen Industrien, für die diese Lieferketten eine große Rolle spielen. Wir sprechen zum Beispiel über den European Chips Act, der vor Kurzem beschlossen wurde, bei dem es darum geht, sicherzustellen, dass Europa eine gewisse strategische Autonomie in der Produktion von Mikroelektronikbestandteilen hat, nicht weil die Mikroelektronik an sich so interessant und wichtig ist – sie ist auch wichtig –, sondern weil das eben in vielen strategisch wichtigen Produkten drinnen ist.

Man darf auch nicht vergessen, dass das auch eine ganz wichtige Voraussetzung für die große Transformation in Richtung mehr Klimaneutralität, die wir in der Wirtschaft vor uns haben, ist. Da sind Mikroelektronikbestandteile ganz, ganz entscheidend, nämlich sparsame Chips, die zum Großteil und zum Gutteil auch in Österreich produziert werden. Das ist nur ein Beispiel. Es gibt aber auch andere Bereiche.

Im Automobilsektor haben wir in der letzten Zeit so starke Lieferengpässe erlebt, dass man als Konsument oder als Konsumentin oft ein halbes Jahr oder ein Jahr auf die Lieferung von Automobilen warten musste. Das ist nicht nur wegen der Wartezeit unangenehm, sondern es führt auch dazu, dass höhere Preise durchsetzbar sind. Das heißt, eine kluge Steuerung von Lieferketten und das Wissen über mögliche Schwierigkeiten führen dazu, dass auch die Konsumentinnen und Konsumenten letztendlich weniger für Produkte bezahlen müssen. (Beifall bei der ÖVP und bei Bundesrät:innen der Grünen.)

Es geht natürlich auch um kritische Rohstoffe. In der EU wird gerade eine Verordnung diskutiert, der sogenannte Critical Raw Materials Act, in der es darum geht, sicherzustellen, dass die Europäische Union bei den kritischen Rohstoffen – Mineralien, Seltenen Erden, die ganz entscheidend für die grüne Transformation, für die digitale Transformation sind – eine gewisse strategische Autonomie bekommt. Es geht nicht darum, alles nach Europa zu holen – das ist unmöglich –, aber es geht darum, zu diversifizieren, eigene Möglichkeiten zu nutzen und sich gegen mögliche Unsicherheiten, die existieren – die geopolitisch immer wieder existieren werden und die uns durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine schmerzlichst vor Augen geführt werden –, besser abzusichern.

Was wir hier in Österreich tun können, ist erstens, die Maßnahmen der EU zu unterstützen. Wir können Maßnahmen für Österreich treffen, um strategisch unabhängiger zu werden, wo immer das möglich ist. Was wir auch tun können, ist, die Forschung zu bevorrangen. Es gibt in ganz Europa kein Institut wie dieses, das wir jetzt gegründet haben: das Supply Chain Intelligence Institute Austria. (Bundesrat Buchmann: Bravo! – Zwischenruf des Bundesrates Spanring.)

Ich halte das tatsächlich für eine Fortentwicklung, die aus zwei Gründen sehr interessant und gut ist: nicht nur inhaltlich, sondern auch aufgrund der Zusammenarbeit verschiedener Wissenschaftsdisziplinen. Die Komplexitätsforschung, die Logistikforschung, die Volkswirtschaftslehre und mehrere andere Disziplinen arbeiten zusammen. (Zwischenruf des Bundesrates Spanring.)

Zweitens: Ich halte es auch für ein gutes Zeichen, dass das Institut nicht nur durch den Bund unterstützt und getragen wird. Oberösterreich beteiligt sich sehr stark daran. Ich bin froh über diese Beteiligung eines Landes. Ich glaube, das ist auch ein Vorbild für andere Institute. Warum? – Weil Oberösterreich an der Forschung sehr stark beteiligt sein wird, und zwar über die FH Oberösterreich – den Campus Steyr –, die das Logistikum betreibt, gemeinsam mit dem Wifo und dem Complexity Science Hub in Wien.

Was macht das Institut? – Es beschäftigt sich mit Datenbeschaffung, mit Datenanalyse, und gibt klare Empfehlungen ab: wie wir Abhängigkeiten reduzieren können, wo möglicherweise auf gesamtwirtschaftlicher Ebene Schwierigkeiten auftauchen können, um für Entscheidungen, die hier und im Nationalrat getroffen werden, und für Entscheidungen über Gesetze auf europäischer Ebene die richtige Grundlage zu haben. Es geht auch darum, Unternehmen eine Grundlage zu bieten, um noch besser zu sehen, wo – über Unternehmen hinweg – Abhängigkeiten existieren.

Wenn zum Beispiel ein österreichisches Unternehmen in der Produktion von Pharmazieprodukten von Wirkstoffen eines Produzenten in China abhängig ist, ist das vielleicht für Europa noch kein Problem. Wenn aber alle, die das gleiche Produkt produzieren, von einer Produktionsstätte in China, die Wirkstoffe produziert, abhängig sind, dann ist das ein Problem. Deshalb ist es so wichtig, diese übergeordnete Beobachtungsebene zu haben, und deshalb bin ich froh, dass wir dieses Institut gegründet haben. Es gibt auch schon erste Ergebnisse. Es wird Analysen für spezifische Sektoren geben, es wird Analysen für spezifische Märkte und für spezifische Regionen geben, um auf einer sehr, sehr guten wissenschaftlichen Grundlage Entscheidungen treffen zu können – auch hier im Nationalrat, im Bundesrat –, um Österreich strategisch autonomer und resilienter zu machen. – Vielen Dank. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

9.44

Präsident Günter Kovacs: Danke, Herr Bundesminister.

Ich mache darauf aufmerksam, dass die Redezeit aller weiteren Teilnehmer:innen an der Aktuellen Stunde nach Beratung in der Präsidialkonferenz 5 Minuten nicht übersteigen darf.

Zu Wort gemeldet ist nun Herr Mag. Christian Buchmann. – Bitte, Herr Bundesrat.