9.12
Bundesrätin Doris Hahn, MEd MA (SPÖ, Niederösterreich): Herr Präsident! Geschätzter Herr Minister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Geschätzte Damen und Herren, die uns vielleicht auch von zu Hause aus zusehen! Geschätzte Damen und Herren hier im Bundesrat!
Das ist ein wichtiges Thema, ohne Zweifel: Gewalt, Gewaltprävention an Schulen. Ich glaube, wir sind uns einig: Schulen sind ganz besondere Orte für Schülerinnen und Schüler, für Jugendliche, für Kinder. Sie verbringen relativ viel Zeit in den Schulen, daher muss man ganz klar und sachlich feststellen: Schulen sind schon lange nicht mehr reine Orte der Wissensvermittlung, des Lernens, der Bildung, ganz auf das Wissen beschränkt, sondern sie sind schlicht und einfach auch Sozialräume, in denen im sozialen Miteinander voneinander, miteinander viel gelernt wird.
Das heißt, Schulen sind in Wahrheit für die gesamte persönliche Entwicklung unserer Schülerinnen und Schüler von immenser und immanenter Bedeutung. In diesem Sinne braucht es aus meiner Sicht daher ein möglichst förderliches Umfeld in der Schule, damit sich die Schülerinnen und Schüler dort auch bestmöglich entwickeln können.
Gleichzeitig – und ich glaube, da sind wir uns auch einig – müssen wir natürlich darauf achten, dass sie vor Gewalt geschützt werden, egal in welcher Ausprägung diese auftreten kann, ob in psychischer, in körperlicher oder auch in sexualisierter Form. Es geht aber auch darum, möglichen Machtmissbrauch in der Schule hintanzuhalten.
Das heißt jetzt natürlich nicht, und das möchte ich schon betonen, dass Schule ein Ort – wie es vielleicht früher geheißen hat – der Zucht und Ordnung sein muss. Diese Zeiten sind Gott sei Dank längst vorbei. Ich glaube aber, eines sagt alles aus, da müsste man gar nicht mehr weiter interpretieren. Es steht schon im Artikel 14 B-VG, also in unserer Verfassung: „Im partnerschaftlichen Zusammenwirken von Schülern, Eltern und Lehrern ist Kindern und Jugendlichen die bestmögliche geistige, seelische und körperliche Entwicklung zu ermöglichen, damit sie zu gesunden, selbstbewussten, glücklichen, leistungsorientierten“ und so weiter und so fort „Menschen werden, die befähigt sind, an den sozialen, religiösen und moralischen Werten orientiert Verantwortung für sich selbst, Mitmenschen, Umwelt und nachfolgende Generationen zu übernehmen.“ – Das sagt eigentlich alles aus: der Kern der Schule, das Schulumfeld sozusagen.
Wenn wir über Gewalt und Gewaltprävention sprechen, kann ich Ihnen als Lehrkraft und als Schulleiterin an einer Mittelschule versichern und bestätigen: Da passiert ganz, ganz viel, jeden Tag, das ganze Schuljahr über. Da passiert auch viel intuitiv und sozusagen ganz unbewusst in diese Richtung. Manches muss aber auch ganz bewusst angeregt und angeleitet werden. Das klingt einfacher, als es tatsächlich ist, weil Gewalt eben in den unterschiedlichsten Formen und in den unterschiedlichsten Ausprägungen daherkommen kann. Ich habe es schon gesagt: körperliche, psychische, sexualisierte Gewalt.
Das hat es in irgendeiner Form früher auch schon gegeben, heute sprechen wir aber auch noch ganz konkret von Mobbing, von Cybermobbing. Das hat es vor vielleicht 15, 20 Jahren in dieser Form noch nicht gegeben: Mobbing über Social Media – Tiktok, Snapchat und wie diese Angebote alle heißen. Da wird Hatespeech über Hasspostings verbreitet, um jemandem ganz bewusst zu schaden. Es gibt die unterschiedlichsten Möglichkeiten, wie man die Kommunikation via Social Media missbrauchen kann, um jemandem damit zu schaden – die vermeintliche Anonymität als Freibrief für verbale Entgleisungen in irgendeiner Form.
Nicht zu vergessen – und das hat es vor einigen Jahren in der Form auch noch nicht gegeben – die Challenges auf Tiktok, Blackoutchallenges zum Beispiel – an diese erinnere ich mich noch sehr gut –: Da haben sich Jugendliche gegenseitig bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt, weil es in den Social Media quasi als lustig dargestellt wurde.
Dazu kommt dann noch eine gewisse Form der sensationsgeilen Nachrichtensprache in Zeitungen und anderen Medien, wo unter anderem auch Ressentiments gegen Minderheiten und so weiter gefördert und gestreut werden. Da braucht es die Schule ganz besonders, weil es nämlich auch um eine Einordnung all dieser Thematiken, all dieser Problemstellungen geht und um ein Bewusstmachen, ein In-Relation-Setzen dahin gehend, was Gewalt eigentlich bedeutet, und vor allen Dingen, was Gewalt mit den Geschädigten macht, welche Folgen Geschädigte durch Gewalt erleiden, welche körperlichen, psychischen und andere Schäden dadurch entstehen können. Da ist natürlich die Schule eine wichtige Stelle, das anzusprechen, und das müssen wir auch nutzen, das ist gar keine Frage. (Beifall bei der SPÖ sowie der Bundesrätin Sumah-Vospernik.)
Ich habe es aber schon gesagt, es klingt einfacher, als es ist, denn man muss sich schon auch bewusst machen, dass Gewalt oft ein Ausdruck für ganz andere, weiter hinten liegende Probleme ist, die auf den ersten Blick für die Lehrkräfte als solche nicht erkennbar sind, und das ist oft nicht so einfach. Es passiert auch nicht immer alles direkt vor den Augen der Lehrkräfte. Manches passiert subtil, sodass wir als Lehrerinnen und Lehrer da oft durchaus ein zweites oder drittes Mal hinschauen müssen.
Es wird unter Umständen also schwierig, akut und konkret gegen solche Vorfälle vorzugehen. Da braucht es von den Lehrkräften ganz viel Fingerspitzengefühl und natürlich auch ein gewisses Maß an Training, an Übung, an Sensibilisierung und ganz, ganz, ganz viel Schulung.
Ganz wichtig ist, sich auch bewusst zu machen, wodurch Gewalt entstehen kann. Auf der einen Seite haben wir dieses typische Bild, das, wie wir alle wissen, auch im politischen Kontext immer wieder genutzt wird, wenn etwas Fremdes, Ungewohntes irgendwo als bedrohlich wahrgenommen wird. Das ist zum Beispiel das eine. Das setzt sich dann ganz gerne auch gegen Minderheiten durch und fort. Durch das Zuteilen von Stärkeren und Schwächeren in wir und die anderen beginnt ganz, ganz, ganz viel auf Gewaltebene.
Das Nächste ist das Vorstellen von gewissen Stereotypen, das sich dann in Diskriminierung, in Sexismus, in Rassismus und in vielem anderen mehr äußert. Dazu gehören aber auch Gewalterfahrungen, beispielsweise im häuslichen, im elterlichen, im familiären Umfeld, und dass dadurch unter Umständen auch negative Handlungsmuster eintrainiert werden und vieles andere mehr.
Wie gesagt, die Liste ist sicher keine vollständige. Man kann sich aber nie zu 100 Prozent sicher sein, was tatsächlich dahintersteckt. Aus diesem Gesichtspunkt oder aus diesen Gesichtspunkten heraus ist es aus meiner Sicht ganz essenziell, verschiedene Aspekte in der Gewaltprävention wirklich ganz bewusst anzugehen.
Natürlich, viele Projekte, einzelne Projekte, sind gut, richtig und wichtig, und es ist schön, dass sie umgesetzt werden, aber das muss laufend passieren. Ein einmaliges Projekt, glaube ich, ist nicht der Weisheit letzter Schluss. Es muss laufend die Möglichkeit gegeben werden, soziale Kompetenzen zu fördern, zu trainieren. Das ist, so ehrlich muss man sein, eine wirklich immens schwierige Aufgabe in den Schulen, denn wir dürfen nicht vergessen, wir haben in Wahrheit mittlerweile eine überfrachtete Stundentafel, ebenso dichte Lehrpläne. Das heißt, zwischen digitaler Grundbildung und Entrepreneurship muss ich jetzt irgendwo, wenn Zeit und Raum dafür bleibt, noch die Gewaltprävention einschieben. Das ist wirklich eine ganz, ganz schwierige und nicht zu unterschätzende Problematik.
Aus meiner Erfahrung muss man sich bewusst die Zeit nehmen – auch auf Kosten des normalen Unterrichts, auf Kosten von Pythagoras und irregular verbs, wenn man so möchte. Aus meiner Sicht ist es wichtig, dass man in der gelebten gewaltfreien Schulkultur gleichzeitig die Basis und das Ziel sieht. Noch einmal: Gelebte gewaltfreie Schulkultur ist für mich beides gleichzeitig, nämlich die Basis, die Grundlage, um Gewaltprävention umzusetzen, aber auch das Ziel am Ende des Tages. (Beifall bei der SPÖ.)
Dazu gehört entsprechende Kommunikation: Sprache ist ein immens mächtiges Instrument, das unter Umständen auch ganz viel Schaden anrichten kann: Du bist ja eh zu dumm für alles! – Das ist schnell dahingesagt, richtet aber großen Schaden an.
Das nächste Thema ist der Umgang mit Gefühlen: Wie gehe ich mit Angst, mit Ärger, mit Unsicherheit, mit Frust oder mit Versagen um? – Das sind Dinge, die Jugendliche erst lernen müssen. Da brauchen sie Unterstützung und da sind natürlich die Lehrerinnen und Lehrer Ansprechpartner Nummer eins. Da geht es unter anderem auch darum, wie man Konflikte lösen kann; es geht um Konfliktlösungsstrategien. Mir fällt auf, dass viele Kinder und Jugendliche dazu nicht mehr ganz in der Lage sind oder zumindest alleine dazu nicht mehr in der Lage sind und Unterstützung brauchen. Peergroups sind eine ganz essenzielle Thematik, wie auch vieles andere mehr.
Da das Birndl schon zu blinken beginnt, in aller Kürze: Ich könnte jetzt die Aufgaben der Schule im Bereich der Gewaltprävention noch unendlich lange darlegen – ich glaube, darüber könnten wir Stunden referieren –, was es aber auf alle Fälle braucht, sind multiprofessionelle Teams, und zwar an den Standorten, an den Schulen selber. Es hilft relativ wenig, wenn eine Schulsozialarbeiterin 3 Stunden pro Woche am Standort ist. Das ist super, das ist wichtig und richtig, aber viel zu wenig.
Wir brauchen Psychologen in den psychologischen und psychiatrischen Abteilungen, auf die man keine neun Monate warten muss. Wir brauchen die Kinder- und Jugendhilfe im Boot, wir brauchen Beratungslehrkräfte, wir brauchen die Schulärzt:innen im Boot, wir brauchen externe Expertinnen und Experten – wir haben es schon heute gehört; die Polizei ist da ein wichtiger Ansprechpartner – und vieles andere mehr. Dazu fehlen aber leider oftmals die Ressourcen. Gerade externe Expert:innen, die Workshops oder Vorträge halten, kosten viel, viel Geld.
Sie (in Richtung Bundesminister Polaschek) haben in Ihrer Pressekonferenz zu Schulbeginn kritisiert, - -
Präsident Mag. Franz Ebner: Frau Bundesrätin, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Bitte kommen Sie zum Schluss!
Bundesrätin Doris Hahn, MEd MA (fortsetzend): - - dass die Zahl der Suspendierungen so zugenommen hat. Ich muss dazu sagen: Bis es zu einer Suspendierung kommt, braucht es sehr, sehr lange. Da muss schon sehr, sehr viel passiert sein, bis es zu einer Suspendierung kommt. Daher kann ich das in dieser Form nicht stehen lassen. Eine Suspendierung ist immer der letzte Ausweg, sie wird erst dann ausgesprochen, wenn nichts anderes geholfen hat.
Wie gesagt, ohne zusätzliche Ressourcen wird es – bei allem Engagement unserer Lehrkräfte – leider nicht gehen. – Vielen Dank. (Beifall bei der SPÖ.)
9.23
Präsident Mag. Franz Ebner: Vielen Dank, Frau Bundesrätin.
Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Christoph Steiner. Ich erteile ihm das Wort.