RN/7
9.45
Bundesrat Stefan Schennach (SPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geschätzte Frau Außenministerin! Herzlichen Dank für diese Debatte. Liebe Frau Außenministerin, Sie wissen, dass ich Sie persönlich sehr schätze, aber ich muss trotzdem eine kleine Anmerkung zu Ihrer Rede machen: Die Neutralität als Fußnote darzustellen, ist mir ehrlich gesagt zu wenig. (Beifall bei SPÖ und FPÖ.)
Mit dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union wurde die Neutralität kein Wackelpudding, sondern die Neutralität steht in unserem Beitrittspapier verschrieben. Die österreichische Neutralität ist der unverwechselbare Beitrag Österreichs für Sicherheit und Frieden in Europa: So steht es in unserem Beitrittspapier. (Beifall bei SPÖ und FPÖ.)
Deshalb unterstreichen wir, dass die Bewältigung der vielen Krisen, deren Analyse wir teilen – ja, es gibt viele Krisen –, die Bewältigung der Verwundbarkeit Europas aber bei Gott doch nicht nur eine militärische sein kann.
Wir hatten gestern EU-Ausschuss. Zu meinem Entsetzen war da eine Akte nach der anderen, in der es nur um den einzigen Gewinner der jetzigen Zeit, die Rüstungsindustrie, geht. (Zwischenruf des Bundesrates Zauner [ÖVP/NÖ].) Da wird das Herzstück Europas, die Kohäsion, zugunsten der Verteidigungs- und Rüstungsindustrie aufgeweicht.
Beim Europäischen Sozialfonds geht es aber um etwas anderes: Da geht es um Beschäftigung, Bildung, Ausbildung und Armutsbekämpfung – und jetzt verlagern wir das in die Rüstungsindustrie. Das darf doch nicht wahr sein! (Beifall bei der SPÖ.) Die Aktien der europäischen Rüstungsindustrie explodieren nach oben, und gleichzeitig entziehen wir der Armutsbekämpfung und der Bildung das Geld. Das ist ein Armutszeugnis in Europa und das kann nicht sein.
Weiter: Das Safe-Programm hatten wir gestern auch. Das Safe-Programm – so wurde es uns am Anfang von einem Ministerium erklärt – hat gar nichts mit Aufrüstung zu tun. Nein, es ist nur eine Säule des Aufrüstungsprogramms der Europäischen Union, und in dieses Safe-Programm werden weitere 150 Milliarden für Anleihen verlagert, wobei – die Fußnote jetzt – sowohl das Verteidigungsministerium als auch das Finanzministerium der Meinung waren, dass das für Österreich sozusagen völlig uninteressant ist, weil Österreich, das Bundesheer eine viel günstigere Beschaffung als zum Beispiel dieses Safe-Programm hat. (Zwischenruf des Bundesrates Ruprecht [ÖVP/Stmk.].)
Das ist derzeit der Befund, und wir müssen sagen: Es führt kein Weg vorbei an Multilateralismus, es führt kein Weg vorbei an den internationalen Organisationen. Meine Vorrednerin hat die OSZE gewürdigt, die würdige ich auch, aber ich möchte auch noch die OECD nennen und nicht zuletzt den Europarat, der mit 127 Konventionen die Bürger und Bürgerinnen Europas schützt: von Medikamentenkriminalität, über – weil ich gerade Dr. Mertel sehe – die Konventionen Europas in Sachen Sport, die vom Europarat kommen, und so weiter und so fort, bis zum Behandeln von Menschen in Würde und gegen die Tortur. Das sind alles Dinge, auf die wir stärker reagieren müssen, aber das ist nicht nur alles eine Frage von Rüstung, das ist eine Frage des Dialogs.
Deshalb, liebe Frau Außenministerin, mein volles Bekenntnis zur und meine volle Unterstützung für die Bewerbung Österreichs in den UN-Sicherheitsrat. Genau dort gehören wir hin. Wir sollen aber auch eine Rolle mit friedenssichernden Maßnahmen spielen, wie wir das ja in der Vergangenheit auch getan haben – also nicht friedensschaffend, sondern friedenssichernd, denn das ist ein großer Unterschied für ein neutrales Land.
Allerdings, Libanon, liebe Frau Außenministerin: Da waren wir, das Bundesheer, die führende Truppe. Diese wurde leider – gegen den Willen der Soldatinnen und Soldaten – schmählich abgezogen und durch Truppen der Insel Fidschi ersetzt, die für ein gebirgiges Gebiet wie die Golanhöhen überhaupt nicht ausgerüstet waren. Wir haben dann das militärische Gerät zurückgelassen, damit die Insulaner sich dort in Sicherheit bewegen können.
Es ist auch sehr bedauerlich, dass wir unser Ausbildungscamp verloren haben, nämlich auf Zypern. Auf Zypern konnten wir alle Soldaten und Soldatinnen für internationale Missionen in einer relativ friedlichen Umgebung ausbilden. Wenn man heute durch die Kasernen an der Demarkationslinie, in Nikosia zum Beispiel, geht, ist alles auf Österreichisch oder Wienerisch angeschrieben, denn das Bundesheer war dort über 40 Jahre lang. Wir können schon stolz darauf sein, was das Bundesheer geleistet hat. (Beifall bei der SPÖ und bei Bundesrät:innen der ÖVP.)
Ich kann mich erinnern, dass ich einmal in Tuzla war, in Bosnien. Damals hat gerade das österreichische Bundesheer das Oberkommando über die Friedenssicherungstruppen übernommen. Da leisten wir etwas, und das ist sicher richtig. Für diese friedenssichernden Einsätze gehören unsere Truppen auch entsprechend ausgerüstet, das ist gar keine Frage.
Was wir aber auch im Auge behalten müssen, ist: Frieden, Sicherheit und Entwicklung in Europa werden nicht ohne irgendein Verhältnis zu Russland möglich sein. Es muss, wenn Putin nicht mehr ist oder wie auch immer sich die Situation in Russland darstellt, irgendwann wieder zu einem Dialog mit Russland kommen.
Wir müssen auch all diese wahnsinnigen – und da unterstütze ich die Frau Außenministerin – hybriden Bedrohungen und Cyberbedrohungen, die Trolle und Fakes, die sozusagen herumschwirren, alles vergiften und Einfluss auf unsere Rechtsordnung, auf unsere Meinungsbildung nehmen, mit Wachsamkeit verfolgen.
Aber am Multilateralismus führt kein Weg vorbei; das ist etwas, was wirklich notwendig ist. Eine Gemeinsame Außenpolitik? – Ja! Aber warum ist denn Europa verwundbar? – Europa ist verwundbar, weil einige Staaten wie zum Beispiel Ungarn oder Regierungschefs ausscheren und gar kein Interesse an einer gemeinsamen europäischen Politik haben. Das ist etwas, was uns viel, viel schwächer macht, wenn wir hier nicht mit einer Sprache sprechen.
Kommen wir zu einer Diskussion, die wir derzeit in Europa in einigen Staaten bedauerlicherweise haben: Das ist das Aufschnüren der Menschenrechtskonvention. Ich traue mich, für meine Fraktion hier zu sagen: Nicht mit uns! Die Europäische Menschenrechtskonvention und der darauf fußende Europäische Menschenrechtsgerichtshof ist, wie er ist. Wir sind bei der letzten Sitzung hier im Gedenken an Papst Franziskus aufgestanden. Als Papst Franziskus in Straßburg war und vor den europäischen Institutionen gesprochen hat, war ich mit Herrn Amon von der ÖVP auch dort. Dort hat er etwas gesagt, was für einen Kirchenführer bemerkenswert ist: Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof – jetzt nicht Gott, sondern der Europäische Menschenrechtsgerichtshof – ist das Gewissen Europas. Und daran sollten wir festhalten. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Schreuder [Grüne/W].)
Ich weiß, dass es in einigen Staaten derzeit Bemühungen gibt, die Menschenrechtskonvention aufzuschnüren und zu ändern. – Nein, das darf nicht sein und das bedarf wirklich Widerstands, denn das ist eine der größten Errungenschaften: erstens, eine Menschenrechtskonvention zu haben, die zum Beispiel die Todesstrafe und so weiter ausschließt, und gleichzeitig einen eigenen Gerichtshof zu haben, der genau über diese Fälle wacht und richtet. So etwas nennt man Menschlichkeit und eine Entwicklung der Humanität, wie es, glaube ich, kein anderes Beispiel auf dieser Welt gibt. – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Schreuder [Grüne/W].)
9.55
Präsidentin Dr. Andrea Eder-Gitschthaler: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Peter Samt. – Bitte, Herr Bundesrat, ich erteile es Ihnen.