Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 146. Sitzung / 57

Präsident Dr. Heinrich Neisser: Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Dr. Pittermann. 12 Minuten. – Bitte.

11.52

Abgeordnete Dr. Elisabeth Pittermann (SPÖ): Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Hohes Haus! Ich begrüße auch die Generalsekretärin des Nationalfonds, Frau Mag. Lessing, die vom Balkon aus diese Debatte mitverfolgt.

In vier Tagen gedenken wir des 60. Jahrestages des 9. November 1938, jener Nacht, in welcher grauenhaft vorgezeigt wurde, was noch wesentlich furchtbarer als je vorausgeahnt eintreffen sollte. Wenn Sie, Herr Abgeordneter Krüger, von den brennenden Synagogen sprachen, dann sage ich Ihnen: Es brannten nicht nur Synagogen, es wurden auch Menschen getötet. Vergessen Sie das niemals! Es ist bemerkenswert, daß Sie sonst mit keinem Wort auf die Verbrechen zwischen 1938 und 1945 eingegangen sind.

Bei der heutigen Debatte sieht man so besonders die Sympathien für die einen, die mangelnden Anteilnahmen für die anderen.

Obwohl Juden wußten, was sich seit Hitlers Machtergreifung in Deutschland abspielte, obwohl man seit dem Einmarsch deutscher Truppen zunehmend entrechtet wurde, ahnten die österreichischen Juden nicht, daß ihnen die Zukunft den völligen Verlust von Menschenrechten und die Vernichtung bringen wird. Da die österreichischen Juden im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert weitgehend assimiliert und integriert waren und sie daraus Schutz erwarteten, dachten sie nicht rechtzeitig an Flucht. Rasch schnappte die Falle zu, und um ihr nacktes Leben eventuell zu retten, mußten sie alles, was sie besaßen, den Machthabern, ihren Anhängern und Mitläufern abgeben. Zu Spottpreisen erwarben diese jüdisches Vermögen, als "Reichsfluchtsteuer" wurde der Kaufpreis einbehalten.

Die Glücklicheren unter ihnen konnten Österreich verlassen und somit den KZs und Gaskammern entgehen. 65 000 wurden grausam vernichtet, Familien wurden zerstört! Oft blieb nur ein einziger Überlebender großer Familien. Existenzen wurden vernichtet, und für jene, denen die Emigration gelang, begann ein dorniger Weg. Vor allem für die nicht mehr ganz Jungen war es äußerst schwer, sie waren Wiener mit Leib und Seele. Viele der urwienerischen Lieder wie das Fiakerlied, "Sag zum Abschied leise servus" und vieles andere, wie wir vor einigen Jahren bei einer exzellenten Ausstellung sehen konnten, stammten von Wiener Juden. Hermann Leopoldi, eigentlich Hersch Kohn – unter diesem Namen hätte man seine wunderbare Musik damals wohl abgelehnt –, gelang die Emigration. Fritz Grünbaum wurde ermordet. Ungeheuer großes geistiges Potential wurde verjagt und ausgerottet.

Wenn heuer begeistert geschrieben wurde: Endlich erhält wieder ein Österreicher den Nobelpreis!, dann bin ich darüber nur verwundert. 16 Jahre ließ man ihn hier leben, 59 Jahre war er woanders, damit er überleben konnte, lernen konnte, sich bilden konnte. Auch wenn in seinem Herzen, trotz Ermordung seiner Eltern – Todesurkunden gibt es nicht einmal –, Wien einen Platz hat: An diesem Nobelpreis aber hat Österreich keinen Anteil!

Wenn wir hören müssen, warum nur die Juden etwas bekommen sollen, andere hätten durch den Krieg auch Verluste erlitten, bin ich fassungslos. Mit der Shoa ist nichts zu vergleichen!

Es gibt natürlich wieder einen Abänderungsantrag der "F", in dem sie die Shoa relativieren wollen. Ist es denn so unerträglich für Sie, daß man Juden zu ihrem Recht verhelfen will? Berührt Sie deren Schicksal überhaupt nicht? (Abg. Dr. Krüger: Das ist doch eine Unredlichkeit der besonderen Art! Eine Unseriosität!) Verbrechen oder Schuld zu diminuieren ... (Neuerlicher Zwischenruf des Abg. Dr. Krüger.) Es wird von Ihnen mit unzulässigen Vergleichen gearbeitet, und daher lehnen wir Ihren Abänderungsantrag ab! (Beifall bei der SPÖ, bei Abgeordneten der ÖVP sowie des Abg. Mag. Barmüller. – Abg. Dr. Krüger: Sie sind unredlich!) – Natürlich, für Sie sind Juden immer unredlich, das weiß ich! (Abg. Dr. Krüger: Sie sind unredlich!) Ja, sagen Sie mir das nur, das weiß ich von Ihnen, das kann ich gut bewerten! (Zwischenrufe bei den Freiheitlichen.) Meine Familie ist vernichtet worden!


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