Nationalrat, XXI.GP Stenographisches Protokoll 77. Sitzung / Seite 114

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Kennzeichnend für fast alle Gesellschaften des Nahen und Mittleren Ostens ist nämlich erstens das Scheitern jeglicher wirtschaftlicher Entwicklung, zweitens zumeist ein autoritärer, repressiver und diktatorischer Staatsapparat und drittens die Existenz ausländischer Mächte, die an den Ressourcen der Region – vor allem am Erdöl – interessiert sind.

Der Westen und im Afghanistan der achtziger Jahre vor allem die Sowjetunion werden für viele katastrophale wirtschaftliche und soziale Entwicklungen mitverantwortlich gemacht. Die Täter, die den tausendfachen Mord einkalkuliert und wahllos und brutal Menschenleben vernichtet haben, haben trotz ihrer grauenhaften Gewalt und ihrer obskuren Programme nichts erreicht.

Dennoch haben die Terroranschläge, so glaube ich, eine Geschichte: Sie können ohne die historischen und politischen Entwicklungen im Nahen und Mittleren Osten nicht verstanden werden. Die umfangreichen Militäroperationen der USA im Nahen Osten in den letzten zwanzig Jahren – im Libanon, in Libyen, im Irak, im Iran, in Afghanistan – haben wahrscheinlich in Teilen der arabischen Welt den Boden für den Hass und für die Bereitschaft zur Gewalt aufbereitet. Insbesondere Afghanistan wurde zum wichtigsten Schlachtfeld des Kalten Krieges der achtziger Jahre. Beide Supermächte und deren Verbündete haben riesige Mengen an Waffenmaterial und Geld ins Land gepumpt, das den Krieg auf eine viel blutigere Ebene gehoben hat.

Daher verdient, so glaube ich, eine Stellungnahme Beachtung, nämlich die der Fachvertreter der Islam- und Orientwissenschaften von Universitäten und anderen wissenschaftlichen Einrichtungen Deutschlands. Diese haben in einer Stellungnahme zu den aktuellen Ereignissen festgehalten, dass es sich nach ihrer Beurteilung bei diesen terroristischen Verbrechen nicht um Taten vor dem Hintergrund eines religiösen oder kulturellen Konfliktes handelt, sondern dass sich der Konflikt um die Verteilung von Machtpositionen im Nahen Osten dreht, wobei auf Seiten der Terroristen islamische Glaubenselemente und religiöse Begriffe als willkommene Stützen der eigenen ideologischen Position dienen.

Das Feindbild radikaler Muslime ist weniger die westliche Zivilisation an sich als vielmehr die USA als Supermacht, deren Einfluss auf die politischen Verhältnisse in dieser Region als übermächtig und unerträglich empfunden wird. Nur politische Veränderungen würden die Voraussetzung dafür schaffen können, dass dem Terrorismus der Nährboden entzogen wird.

Es ist daher zu kritisieren, dass die innenpolitische Debatte der letzten Tage von Seiten des Verteidigungsministers Herbert Scheibner dazu benützt wurde, festzustellen, dass der Begriff Neutralität mittlerweile von den realen und völkerrechtlichen Rahmenbedingungen völlig abgekoppelt sei und dass es auf Grund der tragischen Ereignisse in den USA jedenfalls zu einem Umdenken kommen müsse, oder dass die ÖVP-Parlamentarierin Ursula Stenzel sagt, dass das Neutralitätsgesetz ein völlig überholtes sei, oder dass gar der grüne Abgeordnete Johannes Voggenhuber in seiner Verzweiflung von "Appeasement-Politik" spricht und sagt, dass es "Appeasement-Politik" ohnehin nicht gäbe.

Jede Diskussion über die Aufgabe der Neutralität oder über einen Beitritt Österreichs zur NATO ist völlig überflüssig, wie auch Klubobmann Khol – nach meinem Dafürhalten richtigerweise – festgestellt hat. Es handelt sich hier nicht um einen Krieg im Sinne des Völkerrechtes, sondern um Maßnahmen im Sinne der UN-Satzungen.

In der jetzigen Situation bedarf es daher des Augenmaßes und der Umsicht und nicht der Vergeltung, wenn sich die Spirale des Terrors und der Gewalt nicht weiterdrehen soll. Das gebieten die Trauer und der Respekt vor den Toten und vor deren leidenden Angehörigen. Daher ist, glaube ich, die von Österreich eingenommene Position auf der Basis eines UN-Mandates die richtige. – Danke. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der Grünen.)

14.06

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Jäger. – Bitte.

14.07

Abgeordnete Inge Jäger (SPÖ): Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Frau Vizekanzlerin! Herr Bundesminister! Viele Redner und Rednerinnen haben es bereits angesprochen: Zweifellos war


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