Nationalrat, XXII.GP Stenographisches Protokoll 120. Sitzung / Seite 36

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angenommen, das ergibt in Summe 150 000 Personen, von denen niemand hier im Saal, so behaupte ich, weiß, wie sie den Anforderungen des modernen Arbeitsmarktes entsprechen sollen, wenn sie nicht imstande sind, sinnverstehend zu lesen. Wie soll so jemand eine Betriebsanleitung, eine Anleitung des Vorarbeiters oder des Meisters und so weiter in einer angemessenen Zeit verstehen?

Der Vorteil dieser internationalen Studien ist, dass sie international vergleichen, sonst wüssten wir jetzt nicht, ob dieses Fünftel aller 15- bis 16-Jährigen viel oder wenig ist, ob das normal ist, et cetera. Und es ist, wie sich zeigt, absolut nicht normal. Ich weigere mich und werde mich auch in Hinkunft weigern, zu glauben, dass beispiels­weise die finnischen Schülerinnen und Schüler um ein Vielfaches begabter sind als die österreichischen. Warum sollte das der Fall sein?

Wenn man sich aber diese wirklich lesenswerte – vorausgesetzt, dass man das kann – PISA-Kurzfassung, die dankenswerterweise vom Bildungsministerium über PISA 2003 herausgegeben wurde, anschaut, dann erkennt man, dass in Österreich 20 Prozent in diese Risikogruppe fallen – die OECD selbst bezeichnet das mit Recht als Risiko­gruppe –, während es in Finnland sage und schreibe nur 6 Prozent sind. Die Differenz von 14 Prozentpunkten, das sind drei Viertel der Betroffenen, muss wohl durch bildungspolitische Maßnahmen abbaubar sein, aber das geht nicht von allein, das geht nicht von selbst, und es geht auch sicher nicht von heute auf morgen. (Beifall bei den Grünen.)

Herr Amon! Was aber anscheinend fast von heute auf morgen gegangen ist, das ist die Entwicklung in den Jahren 2000 bis 2003. Und das ist besonders bedrückend, denn von 2000 bis 2003 hat sich in Österreich der Anteil dieser Risikogruppe, die wir nur mit den größten Bedenken auf den Arbeitsmarkt schicken können, von 14 Prozent auf 20 Prozent vergrößert. (Zwischenruf des Abg. Amon.) – Entschuldigung, das ist die bequemste Art, sich aus Problemen zu schwindeln: Man bezweifelt einfach das Problem. Man fragt: Wo ist das Problem? Die Zahlen werden eben falsch sein, das wird nicht stimmen. Geh bitte! (Beifall bei den Grünen.)

Ich hoffe, dass das Ergebnis der heutigen Sondersitzung nicht ist, dass die ÖVP sagt, PISA, diese international vergleichende Studie geht uns nichts an, weil die Zahlen von der OECD in Paris mit Sicherheit frei erfunden sind! – Das trauen Sie sich der Öffentlichkeit weiszumachen? Auch Ihnen, Herr Amon, traue ich das ganz ehrlich nicht zu. Da müssen Sie sich schon etwas anderes einfallen lassen.

In diesen Jahren ist offenbar nichts geschehen. Was wird in den nächsten Jahren mit diesem Fünftel geschehen? – Ich habe manchmal den Eindruck, dass manche Bürger und Bürgerinnen dieses Landes, aber auch manche Personen hier in diesem Raum glauben, das sei irgendwie naturwüchsig, ein Fünftel gehe immer irgendwie verloren, schwierige Verhältnisse und so weiter seien dafür verantwortlich – die eigenen Kinder sind ohnehin nicht betroffen, die fallen mit Sicherheit nicht in diese Risikogruppe.

Für den Fall, dass das jemand von Ihnen glaubt, möchte ich das andere Ende der Skala heranziehen, nämlich die Spitzengruppe der Schüler und Schülerinnen, die anscheinend – jedenfalls zu diesem Zeitpunkt – besonders begabt sind, die Spitzen­kompetenz zum Beispiel in Lesekenntnissen aufweisen. In der Mathematik spiegelt sich das Bild fast genau gleich wider. Spitzenkenntnisse im Lesen haben 8 Prozent des Jahrgangs der 15- bis 16-Jährigen in Österreich.

Zunächst habe ich mir gedacht: 8 Prozent Halbgenies, das ist gar nicht so wenig!, bis ich die international vergleichenden Werte gesehen habe. In Finnland sind nicht 8 Prozent, sondern 15 Prozent in der Spitzengruppe. Wieso gibt es in Finnland doppelt so viele Halbgenies wie in Österreich? – Das gibt es doch nicht! Das muss doch auch


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