Nationalrat, XXIV.GPStenographisches Protokoll81. Sitzung / Seite 316

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Natascha Kampusch“ in der Begründung ihres Urteils als „notorisch“, weil sie „Gegen­stand weltweiter Berichterstattung“ waren und „sogar Eingang in die enzyklopädische Webseite wikipedia“ gefunden haben. Dazu erübrigt sich jeder Kommentar.

Aus menschlicher Sicht ist es verständlich, einer (heute) jungen Frau, die als zehn­jähriges Kind unbestrittenermaßen aus schwieriger familiärer Umgebung entführt, in ihrer weiteren Entwicklung mit jedenfalls atypischen Rahmenbedingungen belastet wurde und schon deshalb persönlich nicht dafür verantwortlich gemacht werden kann, was die inhaltliche Ausrichtung ihrer aktuellen Öffentlichkeitskontakte bestimmt, möglichst schonend zu begegnen. Die exklusive Rücksichtnahme auf Opferinteressen hat aber dort ihre Zulässigkeitsgrenze, wo sinnfällige Ermittlungsansätze den Verdacht schwerkrimineller Komplizenschaft von dritter Seite und eine Prüfung der Frage nahe legen, ob die in mehrfacher Hinsicht mit objektivierten Ermittlungsergebnissen schlüs­sig nicht in Einklang zu bringende (teils vom Opfer selbst widersprüchlich und mit wechselnden Detailangaben begründete) Behauptung, durch mehr als acht Jahre in einem Kellerverlies wehrlos einem abnorm veranlagten Peiniger ausgeliefert gewesen zu sein, ihren Ursprung weniger in einer so erlebten Realität, als in einem kalkulierten Sachzwang hat, der sich aus einer bisher nicht offen gelegten anderen Realität ergibt (ein durch acht Jahre „bewohnter“ Verliesraum hätte nach der Einschätzung eines erfahrenen fallbefassten Tatortspezialisten andere als die dort festgestellten Ge­brauchs­spuren). Dass ein entführtes Kind ohne wirksame familiäre Bindung der Versuchung eines allfälligen (von welcher Motivation auch immer geleiteten) Täter­angebots, familiäre Trostlosigkeit gegen ein „familienfreies“ und individuell organisier­tes Leben zu tauschen, in relativ kurzer Zeit unterliegen kann, ist schon mit Blick auf die immer wiederkehrenden Fälle, wo Heranwachsende ihr Elternhaus aus Eigen­initiative verlassen, unschwer einsichtig. Ebenso einsichtig ist es, dass eine in langfristiger Anonymität lebende Abgängige irgendwann (zB mit dem Eintritt in die Großjährigkeit) zwangsläufig die Notwendigkeit empfindet, wieder eine (vorzugsweise ihre eigene) Identität anzunehmen. Die Begleitumstände, unter denen Natascha Kampusch im konkreten Fall ihre langjährige Abgängigkeit beendet hat, und ihre dazu abgegebenen Erklärungen können auch als eine Ausstiegsvariante gesehen werden, die sowohl ihren persönlichen (auch verständlichen wirtschaftlichen) Interessen, als auch jenen (denkmöglich in zahlreichen, teils stundenlangen Telefonaten abge­stimmten) Interessen optimal Rechnung trägt, die gegebenenfalls ein ehemals entfüh­rungsbeteiligter Dritter an fortgesetztem Einvernehmen mit dem seinerzeitigen Entfüh­rungsopfer haben kann.

Was jedenfalls, besonders aber im Bereich schwerer Kriminalität, weder gesetzlich gedeckt, noch sonst in öffentlichem Interesse gelegen oder mit den Grundsätzen verant­wortungsvollen Opferschutzes vereinbar ist, ist die im konkreten Fall von staatsanwaltschaftlicher Seite aller Ebenen praktizierte Grundhaltung, alles beharrlich zu ignorieren, was mit den Angaben des seinerzeitigen Entführungsopfers unvereinbar ist oder es im Ermittlungsfall sein könnte. Sie indiziert Defizite aktueller staatsanwalt­schaftlicher Strafrechtspflege, die zwar in erster Linie mit dem individuellen Funktions­verständnis einzelner Verantwortungsträger zusammenhängen, zum Teil aber auch erst durch systeminhärente Elemente des neuen staatsanwaltschaftlichen Ermittlungs­verfahrens ermöglicht werden. Eine – wie hier – von Anfang an beharrlich durchge­zo­gene staatsanwaltschaftliche Einäugigkeit in der Fallbehandlung wäre bei traditio­neller untersuchungsrichterlicher Einbindung und der damit verbundenen, informations­bedingt zwangsläufig „in justizieller Augenhöhe“ kontrollierenden Ermittlungsbegleitung ausgeschlossen gewesen.

Wenn vorliegend auf der Basis von Art. 52 B-VG parlamentarische Verantwortung angesprochen wird, so kann hier ein Vorwurf nicht unerwidert bleiben, der von einem Parlamentarier – nicht erst jüngst (Ausgabe der Tagezeitung „Österreich“ vom 12. Sep-


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