9.14
Abgeordnete Dr. Pamela Rendi-Wagner, MSc (SPÖ): Herr Präsident! Sehr geehrte Bundesregierung! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Präsident, bitte geben Sie mir zu Beginn kurz die Möglichkeit, auf die aktuellen dramatischen Entwicklungen in unserem Land einzugehen.
Sehr geehrte Bundesregierung! Das, was wir alle in den letzten 48 Stunden von Ihnen miterleben mussten, ist nicht nur einer der vielen Tiefpunkte Ihrer Regierungsarbeit, es ist der traurige Tiefpunkt in 20 Monaten Pandemie. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der NEOS.)
Während die Infektionszahlen in die Höhe schnellen, Hunderte Menschen auf den Intensivstationen um ihr Leben kämpfen, Dutzende täglich an Corona versterben und das Gesundheitspersonal mit seinen Kräften spätestens jetzt am Ende ist, streiten Sie auf offener Bühne, vor der gesamten Republik, schieben sich gegenseitig Schuld zu und schieben Verantwortung ab – das am Höhepunkt einer Pandemie!
Sie lassen den Gesundheitsminister im Regen stehen. Ja, zugegebenermaßen hat er selbst auch seinen Teil dazu beigesteuert, aber wir alle sind Zeugen einer Hilflosigkeit, einer Planlosigkeit einer Bundesregierung in einer so schwierigen Zeit für unser Land. So kann man keine Gesundheitskrise, keine Jahrhundertpandemie bewältigen, sehr geehrte Damen und Herren. (Beifall bei der SPÖ.)
Ich bitte Sie, sehr geehrte Damen und Herren, im Namen meiner Fraktion und, ich bin sicher, im Namen vieler Menschen unseres Landes: Reißen Sie sich zusammen und arbeiten Sie gemeinsam an der Bewältigung dieser großen Krise für Österreich! (Beifall bei der SPÖ.)
Um es mit den heutigen deutlichen Worten eines Chefredakteurs in unserem Land zu sagen: Es geht jetzt wirklich nicht um euch, es geht um uns alle!
Sehr geehrte Damen und Herren, ein Budget sollte im Wesentlichen dazu dienen, die großen Krisen der Gegenwart, aber auch die großen Herausforderungen der Zukunft anzugehen, sie zu bewältigen, Fehlentwicklungen, die es gibt, im sozialen, im wirtschaftlichen Bereich, zu korrigieren. Nun wissen wir alle seit vielen Monaten, dass Corona den Menschen viel abverlangt hat, gesundheitlich, psychisch, sozial.
Die soziale Schere ist in den letzten Jahren, auch schon vor Corona, immer größer geworden, und auch durch die Pandemie, mit Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit, hat sich diese soziale Schere in unserem Land weiter vergrößert. Dazu kommt seit einigen Monaten eine massive Teuerung, die höchste Inflation seit zehn Jahren für Österreich. Wohnen, Heizen, Benzin, ja auch der tägliche Lebensmitteleinkauf – das alles wird immer teurer. Das tägliche Leben wird teurer für die Menschen in Österreich. Am teuersten werden ausgerechnet jetzt vor dem Winter Strom und Gas. Bis zu 500 Euro Mehrkosten für die Haushalte in Österreich sind für diesen Winter zu erwarten. Auch der wöchentliche Einkauf wird im Durchschnitt um 7 Prozent teurer, Benzin um 36 Prozent.
Steigende Preise betreffen alle Menschen in Österreich, aber einige ganz besonders: Es sind die Familien und ihre Kinder, es sind die Frauen, es sind vor allem die jungen Menschen, aber auch die Pensionistinnen und Pensionisten und vor allem Arbeit suchende Menschen in Österreich. Eines muss uns klar sein: Da darf die Politik nicht wegschauen, sehr geehrte Damen und Herren, da muss gehandelt werden, und zwar rasch! (Beifall bei der SPÖ.)
Niemand sollte in Österreich frieren: Das müsste auch Ihr Leitsatz sein. Eine Steuerreform und das Budget wären die Chance, sie wären die Chance, eine spürbare Teuerungsbremse für Österreich einzuziehen und damit die wachsende soziale Schieflage zu korrigieren, so wie das auch andere europäische Länder tun. Das ist jetzt keine einzigartige Forderung, die ich an Sie herantrage; andere europäische Länder sind diesen Weg vor dem Hintergrund der stark steigenden Energiepreise bereits gegangen.
Die Europäische Kommission hat das den Mitgliedstaaten, auch Ihnen, bereits mitgegeben, vorgeschlagen und Sie aufgefordert, für die Bevölkerung Teuerungsbremsen und Unterstützungspakete zu schnüren, aber im Gegensatz zu vielen europäischen Ländern ist hierzulande so gut wie nichts gegen die Teuerung passiert, keine einzige Maßnahme. Auch in Ihrem Budget, sehr geehrte Damen und Herren, findet sich nichts dazu. Das lässt auch erahnen, wer am Ende die Kosten für diese Krisen zahlen wird, sehr geehrter Herr Bundesminister. (Zwischenruf des Abg. Wurm.)
Ich habe mich in den letzten Wochen mit Vertretern und Vertreterinnen der Arbeiterkammer, der Gewerkschaften, der Pensionisten und Pensionistinnen, der Studierenden, aber auch der Hilfsorganisationen zusammengesetzt. Ich darf nur anmerken: Eigentlich ist es Ihre Aufgabe, sehr geehrte Bundesregierung (Beifall bei der SPÖ – Zwischenruf bei der ÖVP), sich mit diesen Vertreterinnen und Vertretern zusammenzusetzen, denn eines ist auch klar: Das Beschwören des Miteinanders und des Gemeinsamen, so wie der Herr Präsident das heute schon gemacht hat, darf nicht einfach nur ein Pressekonferenzsprech sein, das darf nicht einfach ein PR-Gag sein.
Wir haben bei diesem Gipfel gemeinsame Lösungen erarbeitet, die sofort helfen sollen, denn Menschen brauchen das Geld jetzt. (Ruf bei der ÖVP: Das war der Gipfel ...!) Gelingen kann das zum Beispiel mit einer Halbierung der Mehrwertsteuer auf Strom und Gas – das ist ein Vorschlag der Europäischen Kommission, wir haben ihn aufgegriffen ‑, zeitlich befristet für ein Jahr, oder mit einem einmaligen 300‑Euro-Winterzuschuss für die Niedrigverdiener. Gelingen kann das aber auch mit einer echten, mit einer spürbaren und rückwirkenden Steuerreform für arbeitende Menschen ab Juli dieses Jahres und nicht, wie von Ihnen geplant, für einen kleinen Teil und das erst nächstes Jahr. Diese Maßnahmen würden sofort helfen, und sie wären auch fair, denn je höher der Preis, desto höher die Steuern und desto höher sind Ihre Einnahmen, Herr Finanzminister. (Zwischenruf der Abg. Belakowitsch.)
Während das Leben der arbeitenden Menschen in Österreich von Tag zu Tag teurer wird, nehmen Sie, Herr Finanzminister, mehr und mehr an Steuern ein. Anstatt dieses Problem von Millionen zu lösen, sie in dieser schwierigen Zeit zu unterstützen, machen Sie etwas ganz anderes: Sie senken die Gewinnsteuern um mehr als 1 Milliarde Euro zugunsten einiger Großkonzerne. Ist Ihnen bewusst, dass die Steuern auf Arbeit mit Ihrer türkis-grünen Steuerreform neun Mal so stark ansteigen wie die Gewinnsteuern großer Unternehmen? Neun Mal so stark! Das lässt auch erahnen, wer die Kosten für diese Krise zahlen wird, Herr Finanzminister. – Das ist ungerecht, und das entspricht nicht dem, was Sie vor 20 Monaten in diesem Land beklatscht haben. Gemeinsam sollten wir das im Sinne der arbeitenden Menschen besser machen.
Dieses Budget wäre auch die große Möglichkeit zum Ausbau der ganztägigen Kinderbetreuung in Österreich (Beifall bei der SPÖ), die Möglichkeit, den Kindern, den Familien das zurückzugeben, was ihnen aus Machtgier und Skrupellosigkeit 2016 von Sebastian Kurz genommen wurde. (Zwischenruf bei der ÖVP.) Dieses Budget wäre die Chance für die dringend notwendige und überfällige Pflegereform in Österreich. – Nichts, gar nichts befindet sich dazu in Ihrem Budget.
Was sagen Sie den Pflegerinnen und Pflegern, die spätestens jetzt, seit dieser Pandemie, täglich an ihre Grenzen gehen, mit ihren Kräften am Ende sind, wenn sie jetzt hören, dass von Ihnen rein gar nichts geplant ist, um ihre schwierigen Arbeitsbedingungen zu verbessern, den knappen Personalstand zu entspannen, wenn nichts geplant ist, um den zusätzlichen Bedarf an 100 000 Pflegekräften in den nächsten Jahren zu decken? Was sagen Sie den 400 000 Menschen mit Pflegebedarf in Österreich und ihren Familien, wenn Sie nichts geplant haben, um die Pflege in Österreich abzusichern? Sagen Sie ihnen, dass Sie mit Ihrem Budget 1,5 Milliarden Euro in die Wirtschaft stecken und nur 25 Millionen Euro in die Pflege! Sagen Sie ihnen das, das wäre ehrlich! (Beifall bei der SPÖ.)
Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist Aufgabe der Politik, Probleme zu lösen. Nimmt man diese Verantwortung wahr, dann gelingt es. Nimmt man sie nicht wahr, dann verschleppt man Probleme, und das hat verheerende Folgen, wie wir gerade an der Coronakrise sehen. Es ist aber auch eine Frage der Gerechtigkeit, den Menschen das zurückzugeben, was sie in den letzten Jahren zu viel an Steuern gezahlt haben, und ihnen ein leistbares Leben zu ermöglichen. Es ist eine Frage des Anstands, den Kindern in Österreich die 1,2 Milliarden Euro, die ihnen 2016 gestohlen wurden, zurückzugeben. (Abg. Wöginger: Das stimmt nicht!) Es ist eine Frage des Respekts, Herr Wöginger, die Arbeitsbedingungen der Pflegekräfte, die uns alle seit 20 Monaten Tag und Nacht durch diese Krise bringen, endlich zu verbessern. (Beifall bei der SPÖ sowie der Abg. Krisper.)
Es ist, sehr geehrte Bundesregierung, auch eine Frage der Vernunft, mit diesem Budget endlich zu echten, nachhaltigen und sozial gerechten Klimamaßnahmen zu kommen. All das ist eine Frage des politischen Willens. – Vielen Dank. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Wöginger: Parteivorstand ...! – Abg. Leichtfried: Kollege Wöginger ist heute ...!)
9.24
Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Obernosterer. – Bitte.