10.23

Abgeordnete Mag. Verena Nussbaum (SPÖ): Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Werte Zuseherinnen und Zuseher! Vorigen Mittwoch hat es eine große De­monstration in ganz Österreich gegeben, bei der Gesundheits- und Pflegepersonal unter dem Motto: Es ist bereits fünf nach zwölf!, auf die Missstände bei den Arbeitsbedingun­gen im Gesundheits- und Pflegebereich aufmerksam gemacht hat. Die Belastung im Gesundheits- und Pflegebereich ist extrem hoch und viele Pflegekräfte stehen vor dem Zusammenbruch.

Wir befinden uns jetzt knapp zwei Jahre in der größten Gesundheitskrise, und ich denke, es müsste bis jetzt jedem klar geworden sein, was Personen in den Spitälern, aber vor allem auch in der Pflege und in den Pflegeheimen leisten. Wir werden immer älter, das wissen wir. Pflegereformen – das hat mein Kollege Kucher schon genauer ausformu­liert – wurden immer wieder groß angekündigt – Taskforce und so weiter –, aber es pas­siert nichts. Herr Bundesminister, durch Nichtstun kann man durch diese Situation nicht mehr durchtauchen. (Beifall bei der SPÖ.)

Man könnte fast sagen, es ist schon Gefahr in Verzug, es muss jetzt gehandelt werden. Umso perplexer macht es mich, dass man im Budget absolut nichts dazu findet, wie die Pflegereform budgetär umgesetzt werden soll. Warum gibt es da keine finanziellen Mit­tel? Was muss denn noch alles passieren, damit da endlich der Startschuss fällt und gehandelt wird? (Beifall bei der SPÖ.)

Wir wissen, dass wir in Zukunft viel, viel mehr Pflegekräfte brauchen, und da geht es nicht nur darum, neue auszubilden; wir wissen, dass in der Zwischenzeit extrem viele – und das ist ein gewaltiger Prozentsatz – der Pflege und der Pflegeausbildung den Rü­cken gekehrt haben, weil sie sagen: Ich halte das nicht aus, ich kann nicht dauernd für Kollegen und Kolleginnen einspringen, Mehr- und Überstunden machen! 12-Stunden-Tage sind in der Zwischenzeit sowieso die Regel. Also da muss sehr schnell etwas pas­sieren, damit wir diese Personen wieder zurück in die Pflege bringen.

Wir als SPÖ sagen – ich habe das schon mehrmals gesagt und ich werde nicht müde, das zu fordern –, wir brauchen ein einheitliches Pflegesystem in ganz Österreich. Kolle­gin Scheucher-Pichler hat es angesprochen: Wir bräuchten – das wäre wichtig – einen Pflegefonds, in dem alle Mittel, sowohl der Länder als auch des Bundes, zusammenflie­ßen. Wir müssen die Pflegeberufe attraktiver machen. Es geht natürlich auch um eine Ausbildungsoffensive, dass Auszubildende so wie auch Polizeischüler und -schülerinnen entlohnt werden. Wir brauchen mehr Personal und wir brauchen attraktivere Arbeitszeit­modelle: 4-Tage-Woche, 35-Stunden-Woche, mehr Urlaub, sprich sechste Urlaubswo­che für alle – das alles sind Möglichkeiten, um die Belastung zu reduzieren. (Beifall bei der SPÖ.)

Ich bringe daher folgenden Antrag ein:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Philip Kucher, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Pflegeoffensive jetzt!“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, sofort eine Pflegeoffensive zu starten und dem Nationalrat unverzüglich Regierungsvorlagen zu übermitteln, mit der

- ein Pflegegarantiefonds für kostenfreie Pflegeleistungen geschaffen

- eine zusätzliche Pflegemilliarde aus Budgetmittel zur Verfügung gestellt

- eine Ausbildungsoffensive sofort gestartet und

- die Verbesserung der Arbeitssituation für Pflegeberufe rasch umgesetzt wird.“

*****

Danke schön. (Beifall bei der SPÖ.)

10.27

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Kucher, Muchitsch,

Genossinnen und Genossen

betreffend Pflegeoffensive jetzt!

eingebracht im Zuge der Debatte zum Bericht des Budgetausschusses über die Regie­rungsvorlage (1034 d.B.): Bundesgesetz über die Bewilligung des Bundesvoranschlages für das Jahr 2022 (Bundesfinanzgesetz 2022 – BFG 2022) samt Anlagen (1157 d.B.) – UG 21 Soziales

Die größte Gesundheitskrise seit über 100 Jahren hat unser Land überrollt, Pflegeberufe sind gefragt und gebraucht wie noch nie, die Pflegebedürftigkeit der Bevölkerung nimmt vor allem durch die Demographie enorm zu.

Die Sicherstellung einer menschenwürdigen und hochwertigen Pflege nach dem Stand der Pflegewissenschaft und Medizin sowie die Unterstützung von pflegebedürftigen Menschen und deren Angehörigen müssen in Österreich höchste Priorität haben. Nach der Bevölkerungsprognose wird der Anteil der über 80-Jährigen bis zum Jahr 2030 von derzeit 5% auf 6,8% angestiegen sein. Bedingt durch diese Verschiebung der Alters­struktur in der Bevölkerung sagen sämtliche Studien und Prognosen für die nächsten Jahre einen steigenden Bedarf an Pflegepersonen voraus.

Wann wird die dringend erforderliche Pflegereform endlich angegangen?

Diese Regierung schafft es einfach nicht, Lösungen für dieses drängende Problem auf den Weg zu bringen. Auch das Budget 2022 bringt keine finanziellen Ansätze dafür.

Die drängendsten und wichtigsten Punkte – einheitliches Pflegesystem, garantierte Fi­nanzierung der Pflegeleistungen und Ausbildungsoffensive – wurden bisher nicht ange­gangen:

Es braucht anstelle von neun unterschiedlichen Systemen bundesweite Festlegungen: welche Leistungen, welche Angebote sollen in welcher Qualität und Quantität zu wel­chen Kosten verfügbar sein. Damit kann man Transparenz und Vergleichbarkeit für alle sicherstellen.

Pflege qualitativ ausbauen und die Qualität sicherstellen kann nur durch eine gesamt­heitliche Steuerung der Pflege geschehen, die Rücksicht auf regionale Gegebenheiten nimmt und Mindestkriterien festlegt sowie unabhängig kontrolliert.

Die Finanzierung aus einem Topf ist ein wichtiger Baustein dazu. Derzeit besteht der Pflegefonds als Provisorium und dient als Ausgleichfonds für die Sozialhilfeträger. Die­ser Fonds muss umgestaltet und dauerhaft finanziert werden.

Durch Schaffung eines Pflegegarantiefonds sollen die Mitteln der Länder und des Bun­des zusammengeführt und um rund eine Milliarde (Pflegemilliarde) erhöht werden, damit die benötigten Pflegeleistungen den Pflegebedürftigen kostenlos zur Verfügung gestellt werden können.

Im Pflegebereich rechnet man bis 2030 mit einem Bedarf von zusätzlichen 100.000 Pfle­ge- und Betreuungskräften. Bis zum Jahr 2050 ist in Österreich mit einem Anstieg pflege­bedürftiger Menschen von derzeit 450.000 auf 750.000 Menschen zu rechnen.

Das derzeit beschäftigte Pflegepersonal ist bereits physisch und psychisch extrem belas­tet. Mehrere hundert Stellen können gar nicht besetzt werden. Der Mitarbeitermangel trifft auch Pflegeeinrichtungen im ganzen Land. Immer mehr Pflegehäuser und Einrich­tungen haben mit Personalnot zu kämpfen, sodass es zwar die Betten, nicht aber die dafür nötigen Pflegekräfte gibt. Mit den im Budget vorgesehenen Mitteln, wird das nicht zu bewältigen sein.

Dieser Zustand ist unhaltbar!

Es braucht daher sofort eine Ausbildungsoffensive, mit der z.B. Personen, die eine Pfle­geausbildung machen, eine Entlohnung (ähnlich den Polizeischülern) angeboten wird, mit der auch die Fachhochschulbeiträge erlassen, das Fachkräftestipendium für die ter­tiäre Ausbildung des gehobenen Dienstes geöffnet und weitere Anreize geboten werden (z.B. ein fixer Arbeitsplatz nach der Ausbildung).

Um einen Beruf mit Zukunftschancen zu ergreifen, ist es auch wichtig, dass die Arbeits­bedingungen ansprechend sind. Gerade die letzten Monate der Gesundheitskrise haben uns gezeigt, dass Pflegeberufe oft unter dramatischen Bedingungen ihre Arbeit erbrin­gen müssen. Es braucht daher einen Personalbedarfsschlüssel und mehr finanzielle Mittel, um ausreichend Personal beschäftigen zu können.

Es bedarf aber auch attraktiver Arbeitsplätze durch bessere Arbeitsbedingungen: faire Bezahlung und langfristig lebbare Arbeitszeitmodelle: z.B. Bonus für schlechte Arbeits­zeit-Lage oder 6. Urlaubswoche ab dem 40. Lebensjahr Damit kann auch die Drop-Out-Rate erheblich reduziert werden.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, sofort eine Pflegeoffensive zu starten und dem Nationalrat unverzüglich Regierungsvorlagen zu übermitteln, mit der

•     ein Pflegegarantiefonds für kostenfreie Pflegeleistungen geschaffen

•     eine zusätzliche Pflegemilliarde aus Budgetmittel zur Verfügung gestellt

•     eine Ausbildungsoffensive sofort gestartet und

•     die Verbesserung der Arbeitssituation für Pflegeberufe rasch umgesetzt wird.“

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Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Der Entschließungsantrag ist ordnungsgemäß ein­gebracht, ausreichend unterstützt und steht mit in Verhandlung.

Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Ries. – Bitte sehr.