18.36

Abgeordnete Mag. Verena Nussbaum (SPÖ): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Wertes Hohes Haus! Nach dem Rücktritt von Gesundheitsminister Mückstein haben wir nun den dritten Gesundheits- und Sozialminister innerhalb von zwei Jahren. Wenn ich mir nun anschaue, welche dringenden Probleme im Zuständigkeitsbereich des Gesund­heits- und vor allem Sozialministers darauf warten, angegangen zu werden, würde ich mir mehr Konsistenz in beiden Bereichen wünschen.

Wir erleben seit fast zwei Jahren eine Pandemie, die unser aller Leben auf den Kopf gestellt hat, und ich erwarte mir von Ihnen, Herr Bundesminister, dass Sie vor allem auch als Sozialminister und als Pflegeminister tätig werden, und hoffe, dass Sie von Ihren Regierungskolleginnen und -kollegen nicht so alleingelassen werden, wie es derzeit ausschaut. (Beifall bei der SPÖ.)

Die Bundesregierung hat zu Beginn der Regierungsperiode eine große Pflegereform angekündigt. Diese ist heute immer wieder angesprochen worden, aber de facto liegt nichts vor. Herr Vizekanzler Kogler hat heute die sogenannten Bausteine der Pflege­reform erwähnt, die Communitynurses und die Palliativ- und Hospizversorgung. Das sind eher Bausteinchen und das ist ein bisschen planlos und unkoordiniert, so wie das bis jetzt mit dieser Bundesregierung im Gesundheits- und Sozialbereich in den letzten zwei Jahren leider immer war. Das wäre nämlich so, als würden wir sagen, wir haben Keller­ziegel und Dachziegel, aber der ganze Plan für das Haus Pflegereform ist gar nicht da. (Beifall bei der SPÖ.)

Wie schaut es in der Praxis aus? – Geschlossene Stationen und unbelegte Betten aus Mangel an Personal gehören bereits zum Alltag. Ebenso werden die Aufschreie und Proteste der Pflegekräfte immer lauter, und es ist jetzt an der Zeit, Taten zu setzen. Der Pflegeberuf muss wieder attraktiver werden, um so die Flucht der Pflegekräfte in andere Bereiche zu stoppen und auch weiteren Menschen Lust auf eine qualifizierte Ausbildung in der Pflege zu machen. (Beifall bei der SPÖ.) Das könnte man zum Beispiel durch ein Ausbildungsgeld, gleich gestaltet wie bei PolizeischülerInnen, erreichen. Die Pflege ist weiblich; es drängt sich daher der Eindruck auf: Ist Frauenarbeit weniger wert?

Außerdem braucht es im Pflegebereich dringend eine Verkürzung der Normalarbeitszeit, bei vollem Lohnausgleich selbstverständlich, damit die Pflegekräfte entlastet und vor Burn-out geschützt werden, denn durch die enorme Arbeitsbelastung und den niedrigen Personalschlüssel kann kaum in Vollzeit gearbeitet werden. Auch der Zugang zur Schwerarbeitspension muss sofort ermöglicht werden. Erst in der letzten Plenarsitzung wurde beschlossen, dass die Justizwachebeamten in die Schwerarbeits­pensionsrege­lung aufgenommen werden – auch diese Berufsgruppe ist vorwiegend männlich. Es drängt sich wieder der Verdacht auf: Ist Frauenarbeit weniger wert?

Wir brauchen dringend ein einheitliches Pflegesystem in allen Bundesländern und einen Pflegegarantiefonds, aus dem alle Pflegeleistungen finanziert werden können. Apropos Finanzierung: Die Milliarde Euro aus der KöSt-Senkung würde sich sehr gut eignen, in die Pflege investiert zu werden.

Das Thema Gesundheit und Soziales möchte ich jetzt aber auch in Bezug auf den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ansprechen und als SPÖ-Bereichssprecherin für Menschen mit Behinderung möchte ich auch auf die Situation für Menschen mit Behinderungen in der Ukraine aufmerksam machen. Es muss sichergestellt werden, dass diese Menschen nicht unversorgt in Einrichtungen zurückbleiben und weiterhin mit lebensnotwendigen Gütern und Medikamenten versorgt werden. Auf diese Menschen darf hier auf keinen Fall vergessen werden! (Beifall bei der SPÖ.)

Herr Bundesminister, Sie haben schon selbst erkannt, dass sehr viel zu tun ist und dass es sehr viel zu tun gibt. Es liegen große Aufgaben vor Ihnen. Ich wünsche Ihnen dafür alles Gute und hoffe auf eine gute Zusammenarbeit.

Ich möchte jetzt noch folgenden Antrag einbringen:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Philip Kucher, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Pflegeoffensive sofort in Angriff nehmen“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, sofort eine Pflegeoffensive zu starten und dem Nationalrat unverzüglich Regierungsvorlagen zu übermitteln, mit der

- bundesweit einheitliche Zielsetzungen festgelegt werden,

- ein Pflegegarantiefonds für kostenfreie Pflegeleistungen geschaffen wird,

- ausreichend zusätzliche Budgetmittel zur Verfügung gestellt werden,

- eine Ausbildungsoffensive sofort gestartet und die derzeit laufenden Schulprojekte in den Regelbetrieb übernommen werden,

- die Verbesserung der Arbeitssituation für Pflegeberufe rasch umgesetzt und

- den Pflegekräften der Zugang zur Schwerarbeitspension eröffnet wird.“

*****

Danke schön. (Beifall bei der SPÖ.)

18.41

Der Antrag folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Kucher, Muchitsch,

Genossinnen und Genossen

betreffend Pflegeoffensive sofort in Angriff nehmen

eingebracht im Zuge der Debatte zur Erklärungen des Bundeskanzlers und des Vize­kanzlers gemäß § 19 Absatz 2 der Geschäftsordnung des Nationalrates anlässlich der Ernennung des neuen Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsu­menten­schutz sowie zur aktuellen Situation betreffend Ukraine

Die größte Gesundheitskrise seit über 100 Jahren hat unser Land überrollt, Pflegeberufe sind gefragt und gebraucht wie noch nie, die Pflegebedürftigkeit der Bevölkerung nimmt vor allem durch die Demographie enorm zu.

Die Sicherstellung einer menschenwürdigen und hochwertigen Pflege nach dem Stand der Pflegewissenschaft und Medizin sowie die Unterstützung von pflegebedürftigen Men­schen und deren Angehörigen müssen in Österreich höchste Priorität haben. Nach der Bevölkerungsprognose wird der Anteil der über 80-Jährigen bis zum Jahr 2030 von derzeit 5% auf 6,8% angestiegen sein. Bedingt durch diese Verschiebung der Alters­struktur in der Bevölkerung sagen sämtliche Studien und Prognosen für die nächsten Jahre einen steigenden Bedarf an Pflegepersonen voraus.

Wann wird die dringend erforderliche Pflegereform endlich angegangen?

Diese Regierung schafft es einfach nicht, Lösungen für dieses drängende Problem auf den Weg zu bringen. Auf Grund einer fast jährlichen Auswechslung der zuständigen Sozialminister wird die so dringende notwendige Pflegereform immer wieder verscho­ben.

Die drängendsten und wichtigsten Punkte – einheitliches Pflegesystem, garantierte Finanzierung der Pflegeleistungen und Ausbildungsoffensive – wurden bisher nicht an­gegangen.

Es braucht anstelle von neun unterschiedlichen Systemen bundesweite Festlegungen: welche Zielsetzungen werden verfolgt, welche Leistungen, welche Angebote sollen in welcher Qualität und Quantität zu welchen Kosten verfügbar sein. Damit kann man Transparenz und Vergleichbarkeit für alle sicherstellen.

Pflege qualitativ ausbauen und die Qualität sicherstellen kann nur durch eine gesamt­heitliche Steuerung der Pflege geschehen, die Rücksicht auf regionale Gegebenheiten nimmt und Mindestkriterien festlegt sowie unabhängig kontrolliert.

Die Finanzierung aus einem Topf ist ein wichtiger Baustein dazu. Derzeit besteht der Pflegefonds als Provisorium und dient als Ausgleichfonds für die Sozialhilfeträger. Dieser Fonds muss umgestaltet und dauerhaft finanziert werden.

Durch Schaffung eines Pflegegarantiefonds sollen die Mitteln der Länder und des Bun­des zusammengeführt und entsprechend aufgestockt werden, damit die benötigten Pfle­geleistungen den Pflegebedürftigen kostenlos zur Verfügung gestellt werden können.

Im Pflegebereich rechnet man bis 2030 mit einem Bedarf von zusätzlichen 80.000 Pflege- und Betreuungskräften. Bis zum Jahr 2050 ist in Österreich mit einem Anstieg pflegebedürftiger Menschen von derzeit 450.000 auf 750.000 Menschen zu rechnen.

Das derzeit beschäftigte Pflegepersonal ist bereits physisch und psychisch extrem belas­tet. Mehrere hundert Stellen können gar nicht besetzt werden. Der Mitarbeitermangel trifft auch Pflegeeinrichtungen im ganzen Land. Immer mehr Pflegehäuser und Einrich­tungen haben mit Personalnot zu kämpfen, sodass es zwar die Betten, nicht aber die dafür nötigen Pflegekräfte gibt.

Dieser Zustand ist unhaltbar!

Es braucht daher sofort eine Ausbildungsoffensive, mit der z.B. Personen, die eine Pflegeausbildung machen, eine Entlohnung (ähnlich den Polizeischülern) angeboten wird, mit der auch die Fachhochschulbeiträge erlassen, das Fachkräftestipendium für die tertiäre Ausbildung des gehobenen Dienstes geöffnet und weitere Anreize geboten werden (z.B. ein fixer Arbeitsplatz nach der Ausbildung).

Um einen Beruf mit Zukunftschancen zu ergreifen, ist es auch wichtig, dass die Arbeits­bedingungen ansprechend sind. Gerade die letzten Monate der Gesundheitskrise haben uns gezeigt, dass Pflegeberufe oft unter dramatischen Bedingungen ihre Arbeit erbrin­gen müssen. Es braucht daher einen Personalbedarfsschlüssel und mehr finanzielle Mittel, um ausreichend Personal beschäftigen zu können.

Es bedarf aber auch attraktiver Arbeitsplätze durch bessere Arbeitsbedingungen: faire Bezahlung und langfristig lebbare Arbeitszeitmodelle: z.B. Bonus für schlechte Arbeits­zeit Lage oder 6. Urlaubswoche ab dem 40. Lebensjahr. Damit kann auch die Drop Out-Rate erheblich reduziert werden. Und letztendlich muss allen Pflegekräften der Zugang zur Schwerarbeitspension eröffnet werden.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, sofort eine Pflegeoffensive zu starten und dem Nationalrat unverzüglich Regierungsvorlagen zu übermitteln, mit der

•           bundesweit einheitliche Zielsetzungen festgelegt werden,

•           ein Pflegegarantiefonds für kostenfreie Pflegeleistungen geschaffen wird,

•           ausreichend zusätzliche Budgetmittel zur Verfügung gestellt werden,

•           eine Ausbildungsoffensive sofort gestartet und die derzeit laufenden Schul­pro­jekte in den Regelbetrieb übernommen werden,

•           die Verbesserung der Arbeitssituation für Pflegeberufe rasch umgesetzt und

•           den Pflegekräften der Zugang zur Schwerarbeitspension eröffnet wird.“

*****

Präsident Ing. Norbert Hofer: Der Entschließungsantrag ist ausreichend unterstützt, ordnungsgemäß eingebracht und steht somit auch mit in Verhandlung.

Zu Wort gelangt nun Frau Mag.a Carmen Jeitler-Cincelli. – Bitte schön, Frau Abgeord­nete.