19.19

Abgeordneter Mag. Jörg Leichtfried (SPÖ): Herr Präsident! Geschätzte Mitglieder der Bundesregierung! Sehr geehrter Herr Gesundheits- und Sozialminister! (Bundesminister Rauch spricht mit der an der Regierungsbank stehenden Abg. Maurer.) – Sehr geehrter Herr Gesundheits- und Sozialminister, ich wollte Ihnen eigentlich für Ihre Tätigkeit alles Gute wünschen, das Land hat es wirklich notwendig. Also alles Gute und wirklich viel Erfolg!

Geschätzte Damen und Herren! Sehr geehrte Damen und Herren vor den Fernsehern und Übertragungsgeräten, die es sonst noch im weiten Web gibt! Die Lage der Menschen in der Ukraine, in diesem Angriffskrieg, spitzt sich dramatisch zu. Die Be­richte, die wir erhalten, sind fürchterlich. Es werden nicht nur militärische Einrichtungen, sondern auch Wohnhäuser, Schulen, Krankenhäuser in Schutt und Asche gelegt, und das macht wirklich fassungslos. In vielen Städten werden die Nahrungsmittel und das Wasser knapp. Das heißt, die Menschen brauchen Hilfe vor Ort. Geschätzte Damen und Herren, ich glaube, wir alle sind uns einig: Diese Hilfe vor Ort ist von Österreich zu leisten! Diese Hilfe vor Ort ist nötig und es ist unsere Aufgabe, diese Hilfe zu leisten! (Beifall bei der SPÖ.)

Mein Ersuchen an die Bundesregierung: Geschätzte Damen und Herren, intensivieren wir diese Hilfe noch! Ich glaube, das ist Hilfe am rechten Ort zur rechten Zeit. Wir müssen aber auch mitdenken und mitberücksichtigen, dass viele Menschen zu uns flüchten können und wahrscheinlich viele Menschen zu uns flüchten werden. Auch das braucht Vorbereitung, es braucht nicht nur Vorbereitung im Bereich der Quartiere, nein, es braucht viel mehr, es braucht Vorbereitung für Sozialleistungen, Vorbereitung für medi­zinische Versorgung, Vorbereitung für den Arbeitsmarkt, Vorbereitung für das Bildungs­system.

Das sind Dinge, die anlaufen, ja, das ist richtig, und ich möchte mich auch einmal bei jenen Menschen, bei diesen unglaublich vielen Menschen in Österreich bedanken, die sich jetzt denken, das nehme ich privat in die Hand, ich organisiere mich, ich versuche zu helfen, ich tue es, weil ich es kann, ich liefere entweder Hilfsmittel oder ich nehme Familien bei mir zu Hause auf. Wirklich herzlichen Dank! Das zeichnet Österreich meines Erachtens aus, geschätzte Damen und Herren, dass wir so selbstlos helfen. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Herzlichen Dank auch an jene, die in diesen Situationen immer die Hauptlast tragen, das sind die Gemeinden und die Bundesländer, die eigentlich die Hauptorganisation für diese Dinge in Angriff nehmen müssen. Aber ich muss auch sagen, geschätzte Damen und Herren insbesondere von der Bundesregierung, es braucht da auch zentrales Engage­ment. Es braucht auch Bundesengagement, was die Entwicklung in Österreich selbst betrifft. Es braucht Koordination, es braucht Bundesmittel und es braucht wahrscheinlich auch materielle Bundesunterstützung. Das ist Ihre Aufgabe, und ich bitte Sie jetzt wirklich, ich fordere Sie auf, das zu tun. Es ist notwendig, dass wir uns gemeinsam für die Menschen, die zu uns kommen und Hilfe benötigen, anstrengen.

Geschätzte Damen und Herren! In diesem Zusammenhang möchte ich aber auch ein Thema ansprechen, das heute in diesem Haus sehr ambivalent diskutiert wurde. Ich bin der Meinung, es braucht in einer Kriegssituation, die so nahe bei uns ist, Hilfe, Unter­stützung, aber es braucht auch unsere aktive, engagierte Neutralität, wenn wir die Chance haben wollen, friedensstiftende Diplomatie zu betreiben. Ich glaube, es ist es wert, darum zu kämpfen, dass diese Chance auch besteht – dass wir neutral sind, ge­schätzte Damen und Herren. (Beifall bei der SPÖ.)

Da verstehe ich manche Attacken heute hier – nicht nur heute hier – auf diese Neutralität nicht. Neutralität bedeutet nicht, dass wir gesinnungsneutral sind. Das bedeutet nicht, dass wir akzeptieren, dass Völkerrecht gebrochen wird. Das bedeutet nicht, dass wir akzeptieren, dass das Recht des Stärkeren und nicht die Stärke des Rechts gilt. Das ist nicht die Neutralität, die ich mir vorstelle. Das ist auch nicht die österreichische Neu­tralität. Aber das, was ich nicht verstehe, ist, dass jetzt eine Debatte über die Neutralität begonnen hat, auch hier in diesem Hohen Haus (Abg. Sobotka: Die habt ihr ange­fangen! Jörg, die hast du angefangen! Das darf ja nicht wahr sein! – weitere Zwischen­rufe bei der ÖVP), und plötzlich uns vorgehalten wird, dass es diese Debatte gibt.

Geschätzte Damen und Herren, wenn sich jemand bei jemandem beschweren will – und das gilt für alle hier –, dann bitte bei der ÖVP. Es war der ÖVP-Politiker Khol, der diese Debatte begonnen hat. Es war der Wehrsprecher, der sie fortgesetzt hat (Abg. Sobotka: Vranitzky hat eine europäische Armee gefordert!), und es war der Kanzler, der gesagt hat, diese Neutralität wurde uns aufgezwungen. (Abg. Sobotka: Vranitzky - -!) Das ist nicht der Zugang der Sozialdemokratie. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Sobotka: Vranitzky hat ... gefordert!)

Wir sind für die Neutralität in Österreich als unumstößlicher Bestandteil unseres Staats­wesens, geschätzte Damen und Herren, um das einmal klarzustellen. (Abg. Sobotka: Vranitzky hat eine europäische Armee gefordert!)

Da möchte ich noch ein Thema ansprechen. (Abg. Sobotka: Heast, das glaubst du ja selber nicht, was du da erzählst!) – Der Herr Präsident ist bei mir wieder einmal exaltiert. Das ist etwas Neues – geschätzte Damen und Herren, wenn Sie ihn jetzt sehen würden. (Heiterkeit des Abg. Sobotka.)

Ich möchte aber noch etwas ansprechen: In der „Zeit im Bild“ wurde berichtet, dass mög­licherweise Russland Europa mit einem kompletten Stopp der Gaslieferungen droht. Bei uns, das wissen wir inzwischen, kommen 80 Prozent des Gases aus Russland, und unsere Speicher sind derzeit nur mehr zu 15 Prozent voll. Auch wenn Frau Ministerin Schramböck sagt: Das ist wurscht, weil wir große Speicher haben!, ich finde schon, dass 15 Prozent auch von großen Speichern wenig ist (Zwischenruf des Abg. Matznetter), vor allem dann, wenn es nur noch bis Ende März reicht. (Zwischenruf bei der ÖVP.)

Geschätzte Damen und Herren! Es muss sichergestellt werden, dass in Österreich die Gasversorgung aufrechtbleibt, dass wir ausreichend Gas zur Verfügung haben. Da ist es notwendig, kurzfristig, mittelfristig und langfristig zu handeln. Wir können viel über langfristige Handlungsmöglichkeiten diskutieren, bei denen wir uns alle einig sind (Zwi­schenruf bei der ÖVP), bei denen es darum geht, weg vom Gas hin zu erneuerbarer Energie zu kommen. Das ist das, wo es, glaube ich, keine Widersprüche in diesem Haus gibt. (Ruf bei der ÖVP: Redezeit!) Aber wir brauchen auch eine robuste kurzfristige Stra­tegie (Abg. Sobotka: Der ist ein Sachpolitiker, der Jörg!), um zu mehr Gas zu kommen – andere machen das.

Wissen Sie, was die Deutschen machen? – Die haben bereits jetzt 1,5 Milliarden Euro investiert, um Gas zu kaufen. Was macht Österreich? – Österreich schickt Frau Köstinger auf Reisen. Kann man auch machen, aber ich glaube, das, was die Deutschen machen, ist effizienter. Ich kann Ihnen versichern, die werden leider mehr Gas und schneller Gas haben als wir. Und das ist schon etwas, was auch in Ihrer Verantwortung liegt, ge­schätzte Damen und Herren von der Bundesregierung. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Sobotka: Die verlängern die Atomkraftwerke, die Deutschen!)

Die Deutschen machen noch etwas – der Herr Präsident ist jetzt gar nicht mehr zu be­ruhigen (Abg. Sobotka: Wenn du jemals so ruhig wärst wie ich, dann wäre es gut!) –: Dort tritt ab Mai ein Gasbevorratungsgesetz in Kraft. Das tritt ab Mai in Kraft. Was passiert bei uns? – Wir diskutieren jetzt gerade darüber, es wird angekündigt für Mai und wird dann wahrscheinlich im Dezember in Kraft treten, was zu spät ist. Auch das ist Ihre Verantwortung, geschätzte Damen und Herren. Auch da haben Sie dafür zu sorgen, dass es schneller geht, dass es effektiver ist und dass Sie endlich Ihre Arbeit machen! Das wäre in dieser Situation einmal hoch an der Zeit. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Sobotka: Ein bisschen Emotion! Ein bisschen Emotion!)

Geschätzte Damen und Herren! Wenn es so weit kommt, dass bei uns die Hochöfen abgesperrt werden und dass es in den Wohnungen kalt wird, ist es zu spät. Begreifen Sie endlich, dass Politik nicht Show ist, sondern dass Politik harte Arbeit ist, und handeln Sie entsprechend, geschätzte Damen und Herren! – Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Sobotka: Du bist ein Schauspieler!)

Präsident Ing. Norbert Hofer: Herr Mag. Leichtfried, ich nehme an, die Rede ist noch nicht zu Ende, da Sie noch einen Antrag einbringen wollten. (Rufe bei der ÖVP: Oh! Na geh! – Abg. Sobotka: Der ist ein Schauspieler, der Jörg! Das ist traurig! – Weitere Zwi­schenrufe bei der ÖVP.)

Abgeordneter Mag. Jörg Leichtfried (fortsetzend): Geschätzter Herr Präsident, herz­lichen Dank.

Um unsere Position, was die Neutralität betrifft, hier sozusagen in einen Antrag zu gießen, bringe ich folgenden Antrag ein:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Mag. Jörg Leichtfried, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Nein zum NATO-Beitritt – Ja zur immerwährenden Neutralität“

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, an der immerwährenden Neutralität gemäß dem Neutralitätsgesetz festzuhalten und den Beitritt zu Militärbündnissen wie der NATO ausdrücklich auszuschließen.“

*****

Geschätzte Damen und Herren insbesondere von der ÖVP, wenn Sie das auch so sehen, können Sie ja gerne mitstimmen. – Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPÖ.)

19.28

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Mag. Jörg Leichtfried, Robert Laimer, Genossinnen und Genossen

betreffend Nein zum NATO-Beitritt - Ja zur immerwährenden Neutralität -

eingebracht im Zuge der Debatte über die Erklärungen des Bundeskanzlers und des Vizekanzlers gemäߧ 19 Absatz 2 der Geschäftsordnung des Nationalrates anlässlich der Ernennung des neuen Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Kon­sumentenschutz sowie zur aktuellen Situation betreffend Ukraine in der 145. Sitzung des Nationalrates, XXVII. GP, am 8. März 2022

Die Neutralität stärkt die Sicherheit Österreichs: Sie stellt sicher, dass Österreich nicht gezwungen werden kann, die Position von einem großen militärischen Bündnis einzu­nehmen und österreichische Soldat*innen in Kriege anderer Länder zu schicken.

Im Regierungsprogramm haben die Regierungsfraktionen ein klares Bekenntnis zur österreichischen Neutralität abgegeben. Wenn nun eine Regierungspartei die immer­währende Neutralität in Frage stellt, ist es notwendig diese aktiv einzufordern, denn die immerwährende Neutralität ist nicht verhandelbar.

Neutralität darf aber nicht Passivität bedeuten, sondern muss engagiert und ambitioniert sein. Das schließt eine aktive, friedensstiftende Diplomatie und eine klare Haltung bei Menschenrechtsverletzungen und Völkerrechtsbruch ein.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, an der immerwährenden Neutralität gemäß dem Neutralitätsgesetz festzuhalten und den Beitritt zu Militärbündnissen wie der NATO ausdrücklich auszuschließen."

*****

Präsident Ing. Norbert Hofer: Der Entschließungsantrag ist ordnungsgemäß einge­bracht und steht somit auch mit in Verhandlung.

Zu Wort gelangt nun Frau Dr.in Ewa Ernst-Dziedzic. – Bitte schön, Frau Abgeordnete.