13.45

Abgeordneter Robert Laimer (SPÖ): Frau Präsidentin! Herr und Dame auf der Regierungsbank! Hohes Haus! Sehr geehrte Bürgerinnen und Bürger unserer Heimat Österreich! Mit der Invasion Putins in der Ukraine vor genau einem Jahr geschah etwas, was wir längst überwunden glaubten, es wurde ein Zivilisa­tionsbruch in Europa begangen, die Friedensdividende aufgebraucht, die Zeitenwende eingeläutet. Aber: Spätestens mit der innenpolitischen Zäsur des Terroranschlages vom 2. November 2020 und dem BVT-Versagen hätten alle Alarmglocken, auch in Österreich, schrillen müssen. Passiert ist bezüglich Si­cherheitsstrategie nichts, und sie ist nun zehn Jahre alt.

Das geplante Krisensicherheitsgesetz ist eine Farce (Ruf bei der FPÖ: Das stimmt!) und eine Krisenverschiebung in das Innenministerium, um das schwarze Machtzentrum weiter auszubauen. Vielmehr ist ein gesamtstaatliches Lagezen­trum im Bundeskanzleramt zu etablieren. Das fordern wir seit dem Tag des Terroranschlages. Der Kanzler ist Krisenkoordinator und nicht Krisenmoderator!

Meine Damen und Herren, jede Partei ist gefordert, sich in die Etablierung einer neuen Sicherheitsstrategie einzubringen. Die Regierung ist allerdings auch gefordert, ihre nationalen Hausaufgaben zu machen – Stichwort Gaspreis-, Strompreis-, Mietpreisbremse, Aussetzen der Mehrwertsteuer auf Lebens­mittel, Grundnahrungsmittel. Da ist viel zu tun. Alle unsere Vorschläge liegen auf dem Tisch, und diese sind wesentlich mehr und nachhaltiger als einmaliges Helikoptergeld, das auch für die hohe Inflation mitverantwortlich ist. Die Bevöl­kerung braucht jetzt unsere Hilfe! (Beifall bei der SPÖ.)

Für uns Sozialdemokrat:innen basiert eine neue Sicherheitsstrategie auf unserer Neutralität und der damit verbundenen Freiheit unseres Landes. Ohne Verklärung, zur Erinnerung: Kreisky hat Arafat 1979 in Wien als erster westli­cher Staatsmann eingeladen – trotz großer Widerstände aus den USA und Israel. Arafat und seine Palästinensische Befreiungsorganisation galten als Terroristen. Letztendlich gab es 15 Jahre später für Arafat gemeinsam mit Peres und Rabin den Friedensnobelpreis für die Entspannung zwischen Palästina und Israel.

Was will ich sagen? – Unsere Neutralität darf nicht nur aus der Vergangenheit erklärt werden, sondern sie muss vielmehr Ideengeber für die Zukunft werden. Sie gehört vom Archiv wieder in die Welt getragen. Wir sind Teil der EU, allerdings in einer besonders politischen Lage innerhalb der Gemein­schaft. Als neutrales Land haben wir Amtssitze: UNO, OSZE, Internationale Atomenergiebehörde, weitere 50 Institutionen– aufgrund unseres neu­tralen Status. Es ist eine hohe Verantwortung. Österreich muss seine außen­politische Rolle auch präzisieren, nicht pro Putin, russisch wie die FPÖ – wenn es nicht so sei, dann bitte Transparenz! –, sie muss vielmehr Stand-by sein, permanent Stand-by mit Gesprächen, muss offene Kanäle auch wirklich signalisieren, denn in einer Demokratie müssen Türen für Verhandlungen immer offen stehen, aber sie gehören natürlich auch mit einer bewaffneten Neutra­lität in einer umfassenden Landesverteidigung gesichert.

Viele von uns haben familiäre Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg. Als mein Großvater nach dem Fronturlaub im Herbst 1942 an die Ostfront verlegt wurde, sagte er zu meiner Großmutter: Pass gut auf unser kleines Mädchen – meine Mutter – auf, ich werde wahrscheinlich nicht mehr heimkommen. – So war es auch. Er ist im Winter 1942/43 im Kessel von Stalingrad geblieben, allerdings ohne Nachricht, ohne Grab. Ob er erschossen wurde, verhungerte, er­fror – wir wissen es nicht. Nur sein Name – das Einzige, was man von ihm weiß – steht auf dem Kriegerdenkmal in seiner Heimatgemeinde. – Das ist Krieg.

Im Rahmen der aktiven Neutralitätspolitik sollte sich Österreich schon jetzt auf künftige Verhandlungen einstellen und vorbereiten, denn, glauben Sie mir, wir werden mit unserer Neutralitätspolitik als Instrument der Friedenslogik ge­braucht, zumal auch zukünftige neue Blockbildungen zu verhindern sind. (Beifall bei der SPÖ.)

Abschließend möchte ich folgenden Entschließungsantrag einbringen:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Robert Laimer, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Auf Basis der immerwährenden Neutralität: Neue Sicherheitsstrategie für Österreich!“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die österreichische Bundesregierung, insbesondere der Bundeskanzler, werden daher aufgefordert aktiv – unter Einbeziehung der im Parlament vertrete­nen Parteien – die Erarbeitung einer neuen Sicherheitsstrategie einzuleiten, die sowohl eine Perspektive für die Sicherheitspolitik des neutralen Österreich im europäischen Kontext weiterentwickelt und wie in der Vergangenheit proak­tive Sicherheitspolitik zum Schutz Österreichs und seiner Menschen leistet. Dabei muss jedenfalls eine Teilung der Welt in Machtblöcke und Einflussberei­che vermieden werden, wie dies der russische Diktator Putin anstrebt, da dies den Interessen sowohl Europas wie auch der übrigen freien Welt Schaden zufügt.“

*****

Danke. (Beifall bei der SPÖ.)

13.51

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Robert Laimer, Genossinnen und Genossen

betreffend „Auf Basis der immerwährenden Neutralität: Neue Sicherheitsstrategie für Österreich!“

eingebracht im Zuge der Debatte zur Dringlichen Anfrage der Abgeordneten Mag. Beate Meinl-Reisinger, MES, Kolleginnen und Kollegen an den Bundeskanzler betreffend "Ein Jahr russischer Angriffskrieg in der Ukraine – Wie sichern Sie Österreichs Freiheit und Sicherheit von Putins Russland, Herr Bundeskanzler!“

Die von der Bundesregierung am 1. März 2011 vorgelegte österreichische Sicher­heitsstrategie wurde im Nationalrat am 3. Juli 2013 mit den Stimmen von SPÖ, ÖVP, FPÖ und Team Stronach beschlossen; sie gilt nach wie vor als Handlungs­anleitung für unsere umfassende österreichische Sicherheitspolitik.

In den letzten Jahren haben sich die aktuellen und absehbaren Rahmenbedingungen für die Sicherheit Österreichs und der Europäischen Union jedoch grundlegend geändert, wie die aktuelle Kriegssituation in der Ukraine, aber auch die Corona-Pan­demie zeigen.

Dabei müssen sicherheitspolitische Risikobilder und -bewertungen sowie zukünftige Handlungsanleitungen für Österreichs Sicherheitspolitik neu gedacht werden. So ist beispielsweise die Aussage, dass „konventionelle Angriffe gegen Österreich auf absehbare Zeit unwahrscheinlich geworden sind“, aus heutiger Sicht überar­beitungswürdig.

Die sicherheitspolitische Situation in Europa hat sich durch den Krieg in der Ukraine nicht verbessert. Der Klimawandel und auch die Corona-Pandemie haben eben­falls weitreichende Auswirkungen auf die Gesellschaft und den Staat. Öster­reich muss auf absehbare, aber auch neue Entwicklungen gut und professionell vorbereitet sein, damit im Ernstfall rasch und effektiv reagiert werden kann. Diesem Anspruch muss Österreichs Sicherheitspolitik – basierend auf der immerwäh­renden Neutralität - wie in der Vergangenheit auch künftig entsprechen. Wir haben uns mit dieser verpflichtet, keinem Bündnis beizutreten, keine fremden Truppen im eigenen Land zu stationieren und uns an keinem Krieg zu beteiligen.

In einem völkerrechtswidrigen Krieg eine Kriegspartei mit nichtmilitärischen Mitteln zu unterstützen, stellt keinen Widerspruch zur Verfassung und dem Völker­recht dar, denn es gibt es keine moralische Neutralität und Gesinnungsneutralität, aber eine militärische Neutralität, die als Instrumentarium für Friedenspolitik genützt werden sollte.

Gegenwärtig rufen unterschiedliche Akteure auf, die Neutralität aufzugeben. Andere wiederum sehen Österreich in Europa isoliert und fordern den Schutz durch die NATO. Diese kurzsichtigen Positionen berücksichtigen jedoch nicht die gesamte Dimension der Sicherheitsgestaltung in Europa. Der strategische Mehrwert der Neutralität Österreichs als Instrumentarium für die Sicherheit Österreichs sowie Gesamt-Europas ist unbestritten, die Neutralität bietet jedoch viel mehr Vorteile. So konnte sich Österreich als Amtssitzland internationaler Organisationen etablieren, internationaler Organisationen, die zu einem Großteil der Friedenssicherung die­nen und das Ansehen Österreichs in der Welt heben.

All diese Fragen müssen unter Einbindung aller relevanten staatlichen Akteure umfassend diskutiert, die notwendigen Schlüsse daraus abgeleitet und die­se schlussendlich solidarisch umgesetzt werden.

Der neue, gleichzeitig historische Anspruch der Zweiten Republik muss dabei erhalten bleiben: Umfassende Sicherheit bedeutet, dass äußere und innere sowie zivile und militärische Sicherheitsaspekte aufs Engste verknüpft sind. Sie geht über den Rahmen der klassischen Sicherheitsressorts hinaus und schließt Instrumente der Wirtschafts-, Sozial-, Integrations-, Entwicklungs-, Umwelt-, Landwirtschafts-, Finanz-, Verkehrs- und Infrastruktur-, Bildungs-, Informations- und Kommuni­kations- sowie der Gesundheitspolitik ein.

Integrierte Sicherheit muss auf eine Arbeitsteilung unter den involvierten staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren achten. Sicherheit ist sozusagen als Gesamtpaket zu verstehen. Proaktive Sicherheitspolitik heißt darauf hinzuwirken, dass Be­drohungen bestmöglich gar nicht entstehen, sollten sie dennoch auftreten, muss durch eine vorausschauende, aktive Gestaltung aller Sicherheitsaspekte ein eventueller Schaden möglichst geringgehalten werden.

Zehn Jahre nach Beschluss der österreichischen Sicherheitsstrategie ist es an der Zeit, diesen Anspruch der aktiven Gestaltung der Sicherheit für alle Österreicherinnen und Österreicher für die nächste Dekade umzusetzen.

Deshalb stellen die unterzeichneten Abgeordneten folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die österreichische Bundesregierung, insbesondere der Bundeskanzler, werden daher aufgefordert aktiv – unter Einbeziehung der im Parlament vertretenen Parteien – die Erarbeitung einer neuen Sicherheitsstrategie einzuleiten, die sowohl eine Perspek­tive für die Sicherheitspolitik des neutralen Österreich im europäischen Kontext weiterentwickelt und wie in der Vergangenheit proaktive Sicherheitspolitik zum Schutz Österreichs und seiner Menschen leistet. Dabei muss jedenfalls eine Tei­lung der Welt in Machtblöcke und Einflussbereiche vermieden werden, wie dies der russische Diktator Putin anstrebt, da dies den Interessen sowohl Europas wie auch der übrigen freien Welt Schaden zufügt.“

*****

Präsidentin Doris Bures: Der Entschließungsantrag ist ordnungsgemäß einge­bracht und steht daher auch mit in Verhandlung.

Herr Abgeordneter Christian Hafenecker, Sie sind schon da und gelangen auch gleich zu Wort. – Bitte.