15.00

Abgeordneter Josef Muchitsch (SPÖ): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vorweg darf ich eine Besuchergruppe der Fraktion sozialdemokratischer Gewerkschafterinnen und Gewerk­schafter der Gewerkschaft der Privatangestellten herzlich begrüßen. Herzlich willkommen hier bei uns im Haus! (Beifall bei SPÖ und Grünen sowie bei Ab­geordneten von ÖVP und FPÖ.)

Ich spreche zum Dringlichen Antrag betreffend „Aufhebung der Aliquotierung der ersten Pensionsanpassung“. Meine sehr geehrten Damen und Herren! In Zeiten der Rekordteuerung wissen immer mehr Menschen nicht mehr, wie sie ihre Rechnungen bezahlen sollen – ob das die alleinerziehende Mutter ist, die Teilzeit arbeiten muss, weil sie in der Region, wo sie lebt und arbeitet, kein ausreichendes Betreuungsangebot vorfindet, oder ob das der Familien­vater und Alleinverdiener mit drei Kindern ist oder ob das unsere Pensionistin­nen und Pensionisten in Österreich sind, welche jahrzehntelang pünktlich ihre Steuern und Sozialversicherungsbeiträge bezahlt haben.

Umso mehr versteht niemand in diesem Land, warum Sie, ÖVP und Grüne, als Regierungsparteien bei den Pensionsneuzugängen die Aliquotierung nicht abschaffen. Warum schaffen Sie diese nicht ab? (Zwischenruf des Abg. Michael Hammer.) Auch wenn Sie heute Morgen in einer überraschenden Presse­konferenz angekündigt haben, Sie werden die Aliquotierung für die nächsten zwei Jahre aussetzen, ist es leider immer noch so, dass sie danach auf­recht ist. Das heißt, sie bleibt gesetzlich bestehen und wird ab 2026 wieder schlagend.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist reine Willkür, was Sie hier machen: Einmal gilt sie, einmal gilt sie nicht, dann gilt sie wieder, einmal fallen die Menschen dort hinein, die nächsten nicht, später wieder schon. Bitte was soll das? Meine Damen und Herren, diese Regelung gehört nicht ausgesetzt, sie gehört abgeschafft, rückwirkend und dauerhaft! (Beifall bei der SPÖ.)

Letztendlich haben wir als SPÖ einen Teilerfolg gelandet, weil wir hartnäckig geblieben sind. Ich bedanke mich beim Pensionistenverband, ich bedanke mich auch bei der Gewerkschaft, die hartnäckig geblieben ist und uns immer wieder dabei unterstützt hat, wenn es darum ging, diese unsoziale Rege­lung auszusetzen beziehungsweise letztendlich abzuschaffen. (Beifall bei der SPÖ.)

Nur durch diesen Druck ist es uns gelungen, diesen ersten wichtigen Teilerfolg zu landen, dass diese Regelung einmal für zwei Jahre ausgesetzt wird. Genau deshalb ist diese Debatte heute auch so wichtig: um aufzuzeigen, dass diese Regelung in Zeiten von Rekordteuerung Unsinn ist. Es ist wichtig, aufzuzeigen, dass diese Regelung so, wie Sie sie jetzt wieder machen, verfas­sungswidrig ist.

Wissen Sie, was an Ihrer Ankündigung, die Aliquotierung für die Jahre 2023 und 2024 auszusetzen, noch schlimmer ist? – Sie lassen wieder eine Gruppe von Betroffenen zurück. Bei den Pensionsneuzugängen von 2022 bleiben diese Pensionskürzungen aufrecht. Wissen Sie, was Sie da tun? – Sie lassen wie­der eine Gruppe zurück. Sie lassen eine Gruppe von Menschen zurück, in Zeiten einer Rekordteuerung, in diesem Fall geschätzte 50 000 Menschen, wel­che ab Juli 2022 in Pension gegangen sind, die nur die halbe Pensionsanpassung erhalten, und noch einmal 40 000 Menschen als Pensionsneuzugänge 2022, die von Februar bis Juni in Pension gegangen sind und da auch eine Reduzierung der Pensionsanpassung von 60 bis 90 Prozent haben – lebenslang weniger Pension! (Abg. Koza: Das ist ja nicht mehr ...! Das ist eine alte Rede! Das ist ausge­setzt! Alte Rede! Neue Rede! – Abg. Schallmeiner: Schallplatte!)

Diese Staffelung der Pensionsanpassung bei Neuzugängen, das ist offenbar ein Liebkind der ÖVP. Egal, mit wem die ÖVP in einer Regierung ist, es ist ein Liebkind, und sogar die Grünen verteidigen diese Regelung, nur weil ihr jetzt in der Regierung seid. Das ist ein Wahnsinn! (Beifall bei der SPÖ.)

Ich frage euch wirklich: Was, glaubt ihr, wird nach zwei Jahren, wenn das Aussetzen vorbei ist, der Fall sein? Was wird dann sein? – In zwei Jahren werden wir wieder hier sitzen, in zwei Jahren werden wir wieder hier stehen (Abg. Loacker: Das Geld der jungen Menschen verbraten, in zwei Jahren wieder!) und wir werden wieder diese Regelung diskutieren, denn konkret bedeutet das: Je früher man in Pension geht, zum Beispiel im Jänner 2025, umso höher ist die Pensionsanpassung, und je später man im Jahr 2025 in Pension geht, um­so niedriger ist die Pensionsanpassung für das Folgejahr 2026. Wieder werden ab 2026 90 000 Menschen pro Jahr Pensionskürzungen und Pensionsver­luste von Zigtausenden Euro hinnehmen müssen, und wieder wird es so sein, dass die Pensionsanpassung für jene, wenn sie dann in den Monaten November oder Dezember 2025 in Pension gehen, eine Erhöhung von 0 Prozent bedeutet!

Noch einmal: Wenn man auch noch bedenkt, dass damit ein Gesamtverlust der Pension um Zigtausende Euro für die nächsten Jahre einhergeht, dann ist das ein Pensionsraub, meine sehr geehrten Damen und Herren! Dann habt ihr den Leuten eine Pension weggenommen! (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Koza: Das ist die alte Rede!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, alle in diesem Saal wissen das: Die Pensionsanpassung wird aufgrund der Inflation Mitte des Vorvor­jahres bis Mitte des Vorjahres berechnet. Das wissen Sie. (Abg. Koza: Die glauben ernsthaft, das geht durch!) Dazu ein Beispiel: Die Pensionsanpassung 2024 wird laut heutiger Presseaussendung von den Regierungsparteien so auf 9 Pro­zent geschätzt, sagen wir einmal von 8 bis 10 Prozent. Wer also heuer im November oder Dezember in Pension gegangen wäre oder geht, wird bezie­hungsweise wäre um diese Anpassung sprich Pensionserhöhung zur Gän­ze umgefallen. (Abg. Koza: Wäre, ist, oder was jetzt?!) Dieser Verlust würde für die gesamte Bezugsdauer natürlich viele, viele Tausende Euro bedeuten. (Abg. Di­soski: Aber es passiert nicht! – Abg. Zorba: Das ist ja geändert worden jetzt!)

Wie hat sich das in Zahlen ausgewirkt? Vielleicht tut ihr euch leichter, wenn ich euch diese Zahlen mit einem Beispiel näherbringe: Zwei Frauen gehen 2023 mit 60 in Pension, eine im Jänner 2023 und die zweite Frau mit November 2023 (Abg. Koza: Das ist die Rede von gestern!) mit einer durchschnittlichen Monats­pension laut ASVG von 1 655 Euro brutto. Bereits im ersten Pensionsjahr 2024 ergibt sich bei der Annahme von 8,5 Prozent Anpassung für jene Frau, die mit 1. November in Pension geht, also zehn Monate später, ein Verlust von 1 893 Euro gegenüber jener Frau, die zehn Monate früher in Pension geht. (Abg. Pfurtscheller: Aber das stimmt ja nicht!) Das widerspricht dem Grund­satz der Einführung der Pensionsversicherung eindeutig. (Beifall bei der SPÖ.) Damit wird der Grundsatz verlassen: Je länger man arbeitet, umso höher soll die Pension sein.

Wenn man sich den Verlust dieser beiden Frauen auf längere Sicht anschaut, sieht man: Nach sieben Jahren erhöht sich der Verlust für jene Frau, die zehn Monate später in Pension geht, bei einer Annahme von nur 2,2 Prozent Pensionsanpassung pro Jahr – ganz niedrig berechnet – gegenüber der Kollegin, die im Jänner, also zehn Monate früher in Pension gegangen ist, um 14 162 Euro, nach 14 Jahren um 30 000 Euro, und nach 21 Jahren Pen­sion erhöht sich dieser Verlust um 50 000 Euro. (Abg. Koza: Nein! Das ist die Rede von gestern! – Abg. Wöginger: ... ja nicht! – Zwischenruf der Abg. Pfurtscheller.) Diese Beispiele müsst ihr durchrechnen, wenn ihr bei diesem System bleibt.

Das wäre auch der Auftrag der Grünen gewesen, dort genauer hinzuschauen und zu sagen: Das passt nicht, das ist unsozial, das ist diskriminierend. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Wöginger: Bleibt ja nicht! – Abg. Pfurtscheller: Bleibt ja nicht!)

Sie haben in den letzten 21 Monaten unsere Anträge zur Abschaffung der Aliquotierung sieben Mal abgelehnt beziehungsweise vertagt. Heute stellen wir den achten Antrag: achter Antrag, achte Chance. Sie haben heute die Chance, das wirklich zu bereinigen und somit auch zu unterstützen. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Wöginger: Dann musst du morgen mitstimmen!)

Wenn ihr es uns schon nicht glaubt, dann glaubt es wenigstens den Expertinnen und Experten. Unsere Parteivorsitzende hat das heute in der Früh schon angeschnitten. (Abg. Wöginger: Du hast die Rede gestern geschrieben, glaube ich, und nicht mehr abgeändert! – Abg. Disoski: Ja, hat er wirklich!)

Nein, Folgendes, Herr Klubobmann Wöginger: Es ist ein Zitat von deiner Seniorenbundpräsidentin Ingrid Korosec (Abg. Wöginger: Das ist eine gescheite Frau!), die sagt – Originalzitat –: „In Verbindung mit der hohen Inflation ist das ein Giftcocktail für die Pensionen.“ Das sagt eure Seniorenvertreterin. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Wöginger: Ja, deswegen haben wir es ja gemacht jetzt! – Zwischenruf der Abg. Pfurtscheller.)

Wenn man dann weiß, dass der Seniorenrat, der von allen Parteien besetzt ist, die Abschaffung dieser Aliquotierung einstimmig beschlossen hat, dann frage ich: Worauf wartet ihr?

Oder auch andere Experten, wie zum Beispiel Wolfgang Panhölzl, der AK-Abtei­lungsleiter in der Sozialversicherung: „Die Unsicherheit bei der Aliquotie­rung ist ein Gift [...]. Das ist ein untragbarer Zustand“, weil die Leute keine Rechtssicherheit haben. (Abg. Michael Hammer: Na, das ist ein Experte! Momentum-Institut noch!) Die wissen nicht: Wann gilt was? Wann gilt was nicht? Wann soll ich mich jetzt tatsächlich entscheiden, wie meine Pension ausschaut? Sie haben keine Sicherheit.

Auch der ÖGB ist durch den ÖGB-Präsidenten Wolfgang Katzian ganz klar: „Durch die Aliquotierung werden Menschen dazu gedrängt, ihre Pen­sion möglichst rasch anzutreten.“

Letztendlich unser Präsident des Pensionistenverbandes, Peter Kostelka: „Eine absurde ‚Strafe‘ fürs länger Arbeiten, die besonders Frauen trifft.“

Gerade die Frauen trifft es leider wieder einmal am härtesten. Durch die schritt­weise Anhebung des Frauenpensionsantrittsalter in den kommenden Jahren fällt der Pensionsstichtag bei den Frauen ganz automatisch in die zweite Jahres­hälfte. Das heißt: Alle diese Frauen, die die Brücke vom Job in die Pension schaffen, fallen in die zweite Jahreshälfte, in der es dann ab 2025 wieder – weil das Aussetzen vorbei ist – zu einer Diskriminierung dieser Pensionsneuzu­gänge für das zweite Halbjahr kommt.

Dann gibt es die Gruppe jener Frauen, die es nicht vom Job in die Pension schaffen. Das sind 40 Prozent, die vorher abgebaut werden, ihren Job verlieren und dann beim AMS geparkt werden. 40 Prozent der Frauen schaffen es nicht, bis zum 60. Lebensjahr in ihrem Job zu bleiben, weil sie abgebaut werden. Diese Frauen haben einen noch größeren Nachteil, weil sie sich den Pen­sionsstichtag auch nicht aussuchen können. Sie haben weniger Beitragszeiten. Das heißt: Sobald der frühestmögliche Zeitpunkt des Pensionsantritts da ist, werden sie von der Arbeitslosenversicherung in die Pension übertreten be­ziehungsweise in Pension geschickt, und die Pensionslücke zwischen Män­nern und Frauen von 40 Prozent wird noch höher.

Das, was Sie jetzt einmal für zwei Jahre aussetzen, ist und bleibt ein Frauen­pensionskürzungsprogramm, meine sehr geehrten Damen und Herren. (Beifall bei der SPÖ.)

Es hat heute in der Früh eine Aktuelle Stunde gegeben, in der Rainer Wimmer hier am Pult gestanden ist und in der der Wirtschaftsstandort Österreich und die Zukunft Österreichs diskutiert worden sind. Ich frage euch: Warum schaffen wir es nicht, warum schafft es die Wirtschaft nicht, Menschen im Job zu behalten? Warum werden 40 Prozent der Frauen beim AMS geparkt, bevor sie ihren Pensionsstichtag erreichen? Warum schaffen wir es nicht, 107 000 arbeitswillige Menschen mit 50 plus in die Jobs zu brin­gen? Warum schaffen wir das nicht? Warum ist es so, dass laut einer Wifo-Studie 16 Prozent der Unternehmen in Österreich sagen: Eine Bewerbung von jemandem über 50 nehme ich nicht an?! Dann aber jammern wir wegen Arbeitskräftemangels. Dann jammern wir: Ja, die Ausbildung fehlt. Warum werden da nicht Akzente gesetzt und gesagt: Auch Ältere müssen sei­tens der Wirtschaft am Arbeitsmarkt willkommen sein und eine Chance be­kommen?! (Beifall bei der SPÖ.)

Daher, meine sehr geehrten Damen und Herren, werden wir alle Möglichkeiten nutzen, dieses Pensionskürzungsgesetz abzuschaffen. Dieses Kürzen von Pensionen ist unsozial, unsachlich und frauendiskriminierend. Es verletzt den Gleichheitsgrundsatz und gehört daher abgeschafft. (Zwischenruf des Abg. Koza.) Meine Damen und Herren, wie es die Expertinnen und Experten sagen: Weg damit, weg mit dieser Aliquotierung! (Beifall bei der SPÖ.)

Unsere zukünftigen Pensionistinnen und Pensionisten haben sich diese Pensionskürzungen nicht verdient. Wir werden daher eine Verfassungsklage einbringen und laden jede Abgeordnete und jeden Abgeordneten hier ein, sich unserer Klage anzuschließen. Beenden wir diesen Wahnsinn mit dieser Aliquotierung! (Beifall bei der SPÖ.)

15.16

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesminister Rauch, den ich auch recht herzlich im Hohen Haus begrüße. Herzlich will­kommen, Herr Bundesminister! Sie gelangen zu Wort. (Zwischenruf des Abg. Stögmüller.)