12.33

Abgeordneter Mag. Jörg Leichtfried (SPÖ): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren der Bundesregierung! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Bundeskanzler, ich muss mich jetzt fast bei Ihnen bedanken, weil ich jetzt gewisse Dinge ein bisschen besser verstehe. (Beifall bei der ÖVP. – Abg. Schmuckenschlager: Eine schwere Aufgabe!)

Das war jetzt ein Ausflug in die Parallelwelt, der auch erklärt, warum Sie nicht verstehen (Zwischenruf des Abg. Hörl), und Sie haben das selber gesagt, dass es eine aufgeregte Diskussion über die Inflation gibt. (Bundeskanzler Nehammer: Hab ich nicht gesagt!) – Das haben Sie gesagt, o ja, das haben Sie im Fernsehen gesagt, ich habe es gehört. Und ich sage Ihnen: Mich regt das maßlos auf! Aber jetzt verstehe ich, warum es Sie nicht aufregt: weil Sie das gar nicht mitbe­kommen! Mich regt es maßlos auf. Wenn ich in Bruck an der Mur beim Spar an der Kassa stehe und hinter mir ein älteres Ehepaar sich darüber unterhält, welche Lebensmittel sie sich nicht mehr leisten können, dann regt mich das maßlos auf. Es ist nämlich unerhört, dass so etwas in unserem Land möglich ist. (Beifall bei der SPÖ.)

Menschen, die ihr Leben lang hart gearbeitet haben – und ich sage Ihnen, in der Obersteiermark arbeiten viele sehr hart, in der Stahlindustrie –, können sich plötzlich das Essen, das sie brauchen, nicht mehr leisten. (Zwischenruf des Abg. Eßl.) Herr Bundeskanzler, da ist Grund genug für Aufregung und da ist Grund genug, etwas zu unternehmen. Aber was tun Sie? – Sie veranstalten einen Gipfel, der keinen Preis senkt, und Sie veranstalten eine Pressekonferenz, durch die kein Preis gesenkt wird. Das ist Ihre Antwort an diese Familie in der Obersteier­mark, Herr Bundeskanzler! (Beifall bei der SPÖ.)

Und ich sage Ihnen noch eines: Es regt mich auch maßlos auf – und auch das haben Sie gesagt –, wenn Sie sagen: Ja, die Teuerung ist schlimm, aber die Leute brauchen ja nur arbeiten zu gehen, dann wird das besser! – Nein, es ist nicht so; die Hälfte der Menschen, die unter Armut leiden, arbeiten auch, Herr Bundes­kanzler! Erweisen Sie ihnen doch etwas Respekt! (Beifall bei der SPÖ.)

Seit Oktober 2021 warnen wir vor dieser Inflation. (Abg. Wurm: Nein, nein!) Seit Oktober 2021 warnen wir vor zu hohen Gaspreisen, vor zu hohen Mieten (Abg. Belakowitsch: Echt wahr?), fordern eine wirksame Abschöpfung der Übergewinne ein. (Abg. Belakowitsch: Warnen – aber wir haben Anträge gestellt!) Und was haben Sie in dieser Zeit, seit 2021, gemacht? – Sie haben 38 Milliarden Euro ausgege­ben, ohne irgendeinen Preis zu senken, Herr Bundeskanzler. Das ist doch kein Umgang mit dieser Krise! Das ist das Falsche zur falschen Zeit! (Beifall bei der SPÖ.)

Was wir derzeit in Österreich erleben, ist eine sozialpolitische und ist eine wirtschaftspolitische Katastrophe, die hoffentlich nicht in eine gesellschafts­poli­tische Katastrophe übergeht. Die Menschen sind verzweifelt, und wenn Men­schen verzweifelt sind, ist es schwierig, wieder vernünftig miteinander umzuge­hen. Deshalb meine ich, es ist notwendig, unbedingt notwendig, in Ihrer Politik jetzt eine 180-Grad-Wendung zu machen: endlich dafür zu sorgen, dass die Mieten nicht nur nicht erhöht werden, sondern dass die Erhöhung vom April wieder zurückgenommen wird, Herr Bundeskanzler! Sie hätten die gesetzliche Möglichkeit, das zu tun, Sie haben die Mehrheit dafür, diese Mieterhöhung wie­der rückgängig zu machen. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Kassegger: ... Sanktio­nen ...!)

Es ist auch notwendig, die Lebensmittelpreise zu senken. Da muss endlich die Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel wegfallen, und man muss natürlich überprüfen, dass das auch weitergegeben wird. Selbstverständlich ist das möglich, wir leben in einem Rechtsstaat, Herr Bundeskanzler, das kann man alles machen. (Beifall bei der SPÖ.) Sie machen es aber nicht, und das ist das Problem, das die Menschen in Österreich haben: Sie machen es nicht.

Wir haben uns das gut überlegt, ich sage das ganz offen, wir gehen nicht einfach und unüberlegt mit diesen Dingen um (Abg. Wöginger: So wie die Abstimmung, ja! – Abg. Greiner: Zuhören, Herr Klubobmann! Zuhören!), aber wir werden jetzt einen Antrag einbringen und dies tue ich hiermit:

Misstrauensantrag

der Abgeordneten Dr. Pamela Rendi-Wagner, MSc, Kolleginnen und Kollegen betreffend das „Versagen des Vertrauens gegenüber der Bundesregierung“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Der Bundesregierung wird gemäß Art. 74 Abs. 1 B-VG durch ausdrückliche Entschließung des Nationalrates das Vertrauen versagt.“

*****

(Abg. Baumgartner: Schämen Sie sich!)

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Zuseherinnen und Zuseher, ich wende mich jetzt an Sie! (Abg. Haubner: Es ist besser, du wendest dich mehr an deine Partei!) Wir haben lange Jahre sehr konstruktiv versucht, Oppositionspolitik zu machen (lebhafte Heiterkeit bei der ÖVP – Abg. Haubner: Wende dich an deine Partei! Für welche Gruppe sprichst du?), Schlimmes zu verhindern und Dinge zu verbessern.

So wie diese Regierung jetzt handelt, haben wir endgültig das Vertrauen in sie verloren. (Abg. Eßl: Habts ja einen Spitzenkandidaten!) Wir werden jetzt alle Kraft darauf verwenden, diese Regierung dazu zu bringen (Abg. Steinacker: Zuerst einmal im eigenen Haus Ordnung schaffen!), dass sie endlich Maßnahmen gegen die Teuerung ergreift. (Abg. Haubner: Für welche sozialdemokratische Gruppe sprechen Sie?) Wir werden alle Möglichkeiten, die wir hier im Parlament haben, nutzen und vor allem da, wo die Regierung unsere Stimmen braucht, diese Stimmen nicht mehr zur Verfügung stellen (Abg. Kickl: Dürfen wir auch zustim­men?), weder bei einfachen Mehrheiten noch bei Zweidrittelmehrheiten. – Herz­lichen Dank. (Anhaltender Beifall bei der SPÖ. – Zwischenruf der Abg. Steinacker.)

12.38

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Misstrauensantrag

gemäß § 55 GOG-NR

der Abgeordneten Dr.in Pamela Rendi-Wagner, Mag. Jörg Leichtfried, Genossinnen und Genossen

betreffend Versagen des Vertrauens gegenüber der Bundesregierung

eingebracht im Zuge der Debatte zum Dringlichen Antrag der Abgeordneten Dr.in Pamela Rendi-Wagner, Genossinnen und Genossen betreffend „Totalversagen der Bundesregierung im Kampf gegen die Teuerung!“ in der 211. Sitzung des Nationalrates

Begründung

Die derzeitige Bundesregierung aus ÖVP und Grünen hat in der Vergangenheit bei mehreren Anlässen bewiesen, dass sie nicht gewillt oder fähig ist, Lösungen für die drängenden Probleme und Sorgen der österreichischen Bevölkerung zu finden. Stattdessen begnügen sich ÖVP und Grüne mit Minimalkompromissen, gegenseitiger Blockade und blanker Klientelpolitik.

Drastisch lässt sich dieses Versagen im Umgang der Bundesregierung mit der Rekordteuerung beobachten: Während es Länder wie Frankreich, Spanien, Deutschland oder die Schweiz geschafft haben, die exorbitanten Energiepreise zu zügeln und entschlossene Eingriffe in den Markt vornahmen, sah die öster­reichische Bundesregierung tatenlos zu.

Wie schon zu Zeiten von Corona rühmt sich die Regierung damit, im internationalen Vergleich Rekordausgaben „gegen die Teuerung“ zu tätigen. Angesichts der Corona-Bilanz eine etwas kühne Herangehensweise. Denn tatsächlich gab es während der Corona-Pandemie Rekordausgaben, die zu Überförderungen von hunderten Millionen Euro geführt haben, wie sogar der Rechnungshof und die OeNB festgestellt haben. Die Regierung hat zwar das Geld der Menschen in Österreich mit beiden Händen ausgegeben, bei der Entwicklung des BIP in den Corona Jahren 2020 und 2021 gab es jedoch nur drei Länder in Europa, die schlechter abgeschnitten hatten als Österreich. Das heißt: die enormen finanziellen Hilfen haben den Zweck völlig verfehlt. Die Krisenkosten wurden falsch verteilt. Auch hier lügen die Zahlen nicht, auch wenn sie von ÖVP und Grünen gerne verschwiegen werden. Dass sich eine Regierung an Ankündigungen und nicht an tatsächlichen Verbesserungen messen lassen will, fällt den Menschen in Österreich nun schon zum zweiten Mal auf den Kopf. Der IWF hat ausgerechnet, dass die österreichische Regierung zwar im europäischen Vergleich tatsächlich sehr viel Geld unter dem Titel „Anti-Teuerung“ ausgibt, aber 3/5 des Geldes nicht zielgerichtet ankommen. Gleichzeitig wurde dabei kaum ein Preis gesenkt. Viel Geld auszugeben, das weder zielgerichtet ankommt noch die Preise senkt, ist mit Sicherheit das Schlechteste aus beiden Welten. Das beste Beispiel für sinnlose Rekordausgaben ist der Energiekostenzuschuss II, der bereits scharf vom Fiskalrat kritisiert wurde. Für viele EPUs und KMUs kommen die Hilfen mal wieder zu spät oder sind zu klein, weil die Regierung nicht die Energiepreise regulieren wollte. Bei anderen, großen Unternehmen wird dieser Zuschuss zu mas­siven Übergewinnen führen. Dort wo sich die Preissteigerungen ohne große Schwierigkeiten weitergeben lassen, ist es nämlich sehr wahrscheinlich, dass die Energiepreissteigerungen fast 1:1 auf die Preise aufgeschlagen werden. Gleichzeitig werden die verspäteten Hilfszahlungen 1:1 in die Gewinne der betroffenen Unternehmen fließen. Eine Regierung, die sich auch nur ein bisschen ernst nimmt, dürfte niemals zulassen, dass einzelne Unternehmen die Energiehilfen dafür verwenden, ihre Gewinne zu steigern. Es kann eigentlich nicht sein, dass die Men­schen doppelt zahlen – zuerst einen höheren Preis, etwa für Lebensmittel, und dann auch noch die Energiehilfen für Unternehmen über ihre Steuern und Abgaben. 5 bis 8 Milliarden Euro an wertvollen Steuergeldern werden beim Energiekostenzuschuss II größtenteils sinnlos und völlig ohne Wirkung auf die Inflation ausgegeben.

Die Statistik Austria hat jüngst am 4. Mai 2023 dargelegt welche Auswirkungen das Nicht-Handeln der Regierung auf den Wohlstand in Österreich hat. Im letzten Jahr haben mehr als 1/3 der Menschen in Österreich einen realen Einkommensverlust hinnehmen müssen. 27 Prozent der Menschen in Österreich rechnen mit Zahlungsschwierigkeiten bei Mieten und Wohnen. 1,1 Mio. Menschen können sich nicht einmal mehr Kleinigkeiten gönnen, und mehr als eine halbe Million Menschen hat Schwierigkeiten, sich eine warme Mahlzeit zu leisten. Diese Situation ist für ein Land wie Österreich unwürdig und für viele Familien längst untragbar geworden. WIFO-Chef Gabriel Felbermayr hat sich unter anderem für einen Mietpreis-Stopp ausgesprochen und Eingriffe in den Markt von der Regierung eingemahnt. Die Regierung beobachtet aber nur weiter und lässt einen Gipfel nach dem anderen ohne konkretes Ergebnis verstreichen. Den Gipfel der Ergebnislosigkeit hat die Bundes­regierung in einer denkwürdigen aber für die Bevölkerung sehr traurigen zweiten Maiwoche erreicht. Nachdem zu Beginn der Woche ein Lebensmittelgipfel ergebnislos scheiterte, hat die Regierung in einer Panikreaktion im Rahmen einer Show-Pressekonferenz am 10. Mai ein Nicht-Maßnahmenpaket angekündigt, das keinen einzigen Preis senken wird. Weder wurden die Mieten reguliert und dadurch billiger, noch hat man in die Lebensmittelpreise eingegriffen.

Eine Bundesregierung, die Schulden und Inflation in die Höhe treibt, ist gescheitert.

Eine Bundesregierung, die mit ihrer verfehlten Politik, den Wohlstand des Landes gefährdet, hat völlig versagt.

Eine Bundesregierung, die dabei zusieht, wie die Armut steigt und die hart arbeitende Mittelschicht abrutscht, ist ein Problem für unser Land.

Die Bundesregierung aus ÖVP und Grünen hat bewiesen, dass sie nicht in der Lage ist, die Teuerungskrise im Sinne der Menschen und des Wirtschaftsstandortes erfolgreich zu bekämpfen und die Inflation zu dämpfen. Sie ist nicht in der Lage, ihre Aufgabe und Verantwortung wahrzunehmen. Es ist Zeit, dass Türkis-Grün den Weg frei macht für eine neue Bundesregierung, die tatsächlich die Preise senkt, die Armut bekämpft, die hart arbeitenden Menschen in Österreich unterstützt und den Wirtschaftsstandort schützt.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher nachstehenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Der Bundesregierung wird gemäß Art. 74 Abs. 1 B-VG durch ausdrückliche Entschließung des Nationalrates das Vertrauen versagt."

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Präsident Ing. Norbert Hofer: Nächster Redner ist Klubobmann August Wöginger. – Bitte, Herr Klubobmann.