15.36

Abgeordnete Petra Wimmer (SPÖ): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren auf der Regierungsbank! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Hohes Haus! Sehr geehrte Regierungsfraktionen, als Sie nach großem Druck endlich ein Paket für von Armut betroffene Familien angekündigt haben, dachte ich: Endlich, endlich hat die Regierung die Notlage von den vielen Familien in Österreich erkannt, die durch die Teuerungen und durch die anhaltende hohe Inflation kaum über die Runden kommen. Da Sie genau für heute, am Internationalen Kindertag, eine Sondersitzung einberufen haben, dachte ich, Sie nutzen die Gelegenheit, die Bekämpfung von Kinderarmut endlich strukturell und nachhaltig anzugehen. Meine Hoffnung war, dass die Regierung Kinderarmut endlich in den Fokus nimmt und Modelle ausarbeitet oder dass die Regierung zumindest heute den Tag nutzt, um nach 1,5 Jahren Koordinierung endlich, endlich den Nationalen Aktionsplan Kindergarantie vorlegt. Das wäre ein notwendiger und längst überfälliger Schritt zur Bekämpfung von Kinderarmut.

Was die Regierung heute vorlegt, ist nichts davon, denn 60 Euro im Monat lösen kein strukturelles Problem. (Beifall bei der SPÖ.)

Die Familien wissen nicht mehr, wie sie ihre Kosten bezahlen sollen. Da sind 60 Euro im Monat für jemanden, der jeden Euro dreimal umdrehen muss, bevor er ihn ausgibt, keine nachhaltige Unterstützung. Strukturelle Probleme werden also dieses Mal nicht gelöst, wieder setzt die Regierung auf Sonderzahlungen, die keinen einzigen Preis senken, die kein einziges Kind aus der Armut holen. (Beifall bei der SPÖ.)

Diese mangelnde Ernsthaftigkeit im Umgang mit Kindern und Jugendlichen zeigt die Regierung eben auch dadurch, dass sie beim Nationalen Aktionsplan zur Kindergarantie säumig bleibt. Dieser wird seit eineinhalb Jahren von den Regierungsfraktionen koordiniert. Auf die mehrmalige Frage, wann er denn nun endlich vorgelegt wird, wann er fertig ist, wann wir zu arbeiten beginnen können, habe ich immer die gleiche Antwort in verschiedenen Variationen bekommen: bald, demnächst, zeitnah, in der finalen Abstimmung – und das seit Monaten.

Sehr geehrte Damen und Herren, eineinhalb Jahre sind im Leben eines Kindes eine sehr, sehr lange Zeit. Jedes Kind sollte das Potenzial, das es in sich trägt, auch entwickeln können, unabhängig vom Schulabschluss der Eltern oder davon, wie viel sie verdienen. Das wird mit Ihrem Paket nicht möglich sein. Es wird heute lediglich eine befristete Sonderzahlung für Bezieher:innen von Sozialhilfe und ihre Kinder geben. Das ist eine wichtige Unterstützung für diese Familien, ohne Zweifel, aber nur mit dieser Sonderzahlung kann es eben nicht getan sein, nicht nur weil vier von den angekündigten fünf Gruppen heute gar nichts erhalten, sondern auch weil Sonderzahlungen nicht nachhaltig sind und kein einziges Kind in Österreich aus der Armut holen. (Beifall bei der SPÖ.)

Wir wollen keine Einmalzahlungen mehr, wir wollen keine Sonderzahlungen mehr. Wir wollen die Menschen nicht mehr zu Bittstellern machen, wir wollen Kinderarmut in Österreich abschaffen. Daher bringe ich für meine Fraktion einen Entschließungsantrag ein, mit dem das möglich wäre:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Petra Wimmer, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Bekämpfung von Kinderarmut“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung, insbesondere die Bundesministerin für Frauen, Familie, Medien und Integration im Bundeskanzleramt sowie der Bundesminister für Finanzen, wird aufgefordert, dem Nationalrat umgehend ein Maßnahmenpaket gegen Kinderarmut vorzulegen, welches eine Kindergrundsicherung, einen Rechtsanspruch auf einen Kinderbildungsplatz sowie ein gesundes, warmes Essen am Tag für jedes Kind in allen Bildungseinrichtungen vorsieht.“

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Sehr geehrte Mitglieder der Regierungsfraktionen, Sie haben im Koalitionsabkommen versprochen, die Armut in Österreich zu halbieren. Tatsächlich passiert ist, dass die Armut unter dieser Regierung zugenommen hat. Das sind vier verlorene Jahre. Es liegen genug Vorschläge auf dem Tisch; es gibt genug Expertinnen und Experten, die da mitarbeiten möchten, mitwirken könnten. Fangen Sie endlich an, Kinderarmut in Österreich nachhaltig zu bekämpfen! (Beifall bei der SPÖ.)

15.40

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Petra Wimmer, Christian Oxonitsch, Eva-Maria Holzleitner, BSc, Genossinnen und Genossen,

betreffend Bekämpfung von Kinderarmut

eingebracht im Zuge der Debatte zum Bericht des Ausschusses für Wirtschaft, Industrie und Energie über den Antrag 3427/A der Abgeordneten Norbert Sieber, Mag. Markus Koza, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über einen Ausgleich inflationsbedingt hoher Lebenshaltungs- und Wohnkosten (Lebenshaltungs- und Wohnkosten-Ausgleichs-Gesetz-LWA-G) geändert wird (2052 d.B.) in der 217. Sitzung des Nationalrates am 1. Juni 2023

Im Vergleich zur Gesamtbevölkerung sind Kinder mit höherer Wahrscheinlichkeit von Armut betroffen als der Rest der Bevölkerung. 17,5 Prozent Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren machten im Jahr 2022 rund ein Viertel (23 Prozent) aller Armutsgefährdeten aus. Mehr als jede 5. armutsgefährdete Person ist unter 18 Jahre alt. Laut EU-SILC-Zahlen waren 2022 353.000 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren armuts- oder ausgrenzungsgefährdet, das entspricht einem Ausgrenzungs- oder Armutsgefährdungsrisiko von 22 Prozent. 316.000 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren bzw. 19 Prozent waren 2022 armutsgefährdet.

Eine aktuelle Studie der Gesundheit Österreich GmbH Wien kommt zu erschreckenden Ergebnissen: Mehr als die Hälfte der Befragten gibt an, aufgrund eines Mangels an finanziellen Mitteln ihre Kinder nur eingeschränkt vor Kälte in der Wohnung schützen zu können. 58 Prozent der im Februar und März 2023 interviewten Eltern schildern, dass sie aufgrund der steigenden Heizkosten andere Bedürfnisse ihrer Kinder - wie Freizeitaktivitäten, Kleidung und auch Essen - einschränken. Drei von vier Kindern mussten sogar Straßen-Winterkleidung im privaten Haushalt anziehen, um vor Kälte im Wohnraum bewahrt zu werden.

Trotz dieser Entwicklungen kommt die Bundesregierung ihren Zielen, in dieser Legislaturperiode „den Anteil von armutsgefährdeten Menschen in einem ersten Schritt zu halbieren“ sowie „Kein Kind darf in Österreich zurückgelassen werden“ 1 in keiner Weise näher. Ganz im Gegenteil: Bereits im März 2022 hätte Österreich der EU-Kommission einen Nationalen Aktionsplan gegen Kinderarmut vorlegen müssen, doch auch in dieser Hinsicht ist bislang nichts geschehen. Das Regierungsversagen bei der Armutsbekämpfung ist einmal mehr offensichtlich.

Wir dürfen nicht zulassen, dass Kinder daheim frieren und am Abend Toastbrot essen müssen. Arm zu sein, heißt für Kinder in Österreich: Öfter krank zu werden, kein Zimmer für sich zu haben, zu wenig Gewand, zu wenig gutes Essen, kein Geld für Sport, Musik, einen Nachmittag mit Freunden zu bekommen. Arme und armutsgefährdete Kinder sind öfter alleine, werden ausgegrenzt und lernen früh Angst und Scham kennen: Können sich meine Eltern die Wohnung noch leisten? Muss ich mit löchrigen Schuhen zum ersten Schultag? Werden meine Freunde lachen, weil ich nicht mit ins Kino kann? Armut macht krank, sie raubt Kindern die Chance auf eine gute Ausbildung, auf ein langes Leben, auf Stolz und Zufriedenheit. Schlechte Gesundheit und mangelnde Bildungschancen verursachen zudem nicht nur persönliches Leid, sondern auch gesellschaftliche Kosten. Jedes Kind hat ein Recht auf ein gutes Leben. Und dieses Recht ist nicht von der Geldbörse der Eltern abhängig.

Daher schlagen wir drei Schritte zur Bekämpfung von Kinderarmut vor.

Schritt eins: Eine Kindergrundsicherung.

Expert:innen haben Modelle für eine Kindergrundsicherung einwickelt, wonach jedes Kind einen Grundbetrag, den es zum Leben braucht, erhält. Kinder, die in Haushalten mit geringem Einkommen leben, erhalten zusätzlich einen Betrag. Durch treffsichere Staffelung sorgen wir dafür, dass jedes Kind genug zum Leben hat.

Schritt zwei: Ein Kind – ein Bildungsplatz.

Rechtsanspruch auf einen Bildungsplatz bedeutet: Auf jedes Kind wartet in jedem Alter ein Platz, an dem es die Förderung bekommt, die es braucht, um später die Chancen auf ein selbstbestimmtes Leben verwirklichen zu können. Das reicht von altersgerechter Betreuung im Kleinkindalter bis zum Schulabschluss.

Schritt drei: Ein gesundes, warmes Essen am Tag für jedes Kind.

Die gesundheitlichen Folgen von Mangelernährung im Kindesalter lassen sich nie wieder gut machen. Deshalb muss jedes Kind in Österreich ein gutes, ausgewogenes Essen bekommen.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

"Die Bundesregierung, insbesondere die Bundesministerin für Frauen, Familie, Medien und Integration im Bundeskanzleramt sowie der Bundesminister für Finanzen, wird aufgefordert, dem Nationalrat umgehend ein Maßnahmenpaket gegen Kinderarmut vorzulegen, welches eine Kindergrundsicherung, einen Rechtsanspruch auf einen Kinderbildungsplatz sowie ein gesundes, warmes Essen am Tag für jedes Kind in allen Bildungseinrichtungen vorsieht.“

1 Regierungsprogramm 2020-2024, Seiten 168, 195

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Präsidentin Doris Bures: Der Entschließungsantrag ist ordnungsgemäß eingebracht und steht mit in Verhandlung.

Nächster Redner: Herr Abgeordneter Norbert Sieber. – Bitte.