15.42

Abgeordnete Petra Tanzler (SPÖ): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundes­minister Kocher! Herr Bundesminister Polaschek! Werte Kolleginnen und Kollegen! Werte Zuseherinnen und Zuseher! Zuerst möchte ich die Schülerinnen und Schüler der HAK Liezen im Namen von Abgeordnetem Mario Lindner begrüßen – herzlich willkommen! (Allgemeiner Beifall.)

Wir reden heute über den Dringlichen Antrag der NEOS zum Bildungssystem. Auch wir sind der Meinung, dass es eine Reform braucht, dass sie dringend notwendig ist, und deshalb werden wir diesem Antrag auch zustimmen.

Wir sind in Österreich an einem Punkt angelangt, an dem ein Drehen an einzelnen kleinen Schrauben einfach nicht mehr reicht. Zum Ende dieser Legis­laturperiode ist ein Resümee zu ziehen, Herr Minister. Es braucht dringend ganzheitliche und langfristige Lösungen. Es reicht ein Blick auf die Pisa-Studie, den Personalmangel in allen Einrichtungen oder den Nachhilfebedarf laut AK-Nachhilfebarometer vom Juni dieses Jahres: Es gibt einen weiteren Anstieg um 20 Prozent. Das bedeutet, 49 Prozent aller Schülerinnen und Schüler brauchen jetzt Nachhilfe, das ist jedes zweite Kind, und das ist wirklich tragisch.

Die Nachhilfekosten sind hoch und für viele aufgrund der Teuerung in allen Bereichen nicht mehr leistbar. Es muss eingespart werden. Wofür soll man das Geld nicht mehr ausgeben – für Essen, für Heizung oder wofür sonst? Fünf Jahre lang haben Sie uns erzählt, es gibt keinen Reformbedarf, das Bildungs­system wäre in Ordnung. Sie schieben die Aufgaben und die Kosten im Zusammenhang mit Bildung in die Familien hinein und bringen die Pädagoginnen und Pädagogen permanent durch Überforderung an ihre Leistungsgrenzen.

Meine Damen und Herren, die ÖVP ist hauptverantwortlich (Beifall bei der SPÖ), dass in den letzten Jahren alle Reformen blockiert wurden. Sie hätten unsere Vorschläge, vor allem die der letzten fünf Jahre, ernst nehmen können und Änderungen schon lange in Angriff nehmen müssen. Sie haben das Geld für etwas anderes ausgegeben. Sie haben die Bedürfnisse und Hilfeschreie der Familien, der Kinder und Jugendlichen und der Pädagoginnen und Pädagogen fünf Jahre lang – oder länger – ignoriert und diese auf sich allein gestellt gelassen. Sie sind dafür verantwortlich, dass diese Kinder und Jugendlichen nicht jene schulische Unterstützung bekommen haben, die ihnen zusteht und für die Sie als Regierungsparteien eigentlich verantwortlich sind.

Zu Herrn Kollegen Taschner, zu Ihrer Rede: Es ist wirklich verwunderlich, dass die ÖVP jetzt plötzlich die Notwendigkeit für Änderungen erkannt hat. Das ist nicht glaubwürdig. (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenruf der Abg. Salzmann.)

Herr Bundesminister, Sie haben die gesamte Gesetzgebungsperiode lang den Mangel verwaltet und durch Nichtstun noch verstärkt. Sie sind verantwort­lich für den Mangel an Personal bei den Schulsozialarbeiter:innen, beim administrativem Unterstützungspersonal und bei den Elementarpädagoginnen und -pädagogen, kurz: für den Mangel an Unterstützung für Kinder und Jugendliche, denn diese sind die Leidtragenden. In Ihrem Ressort hätten Sie längst etwas dagegen tun können und Sie hätten sich jedes Jahr bei den Budgetverhandlungen beim Finanzminister für eine ausreichende Finanzierung starkmachen können.

Nun, kurz vor der Nationalratswahl, sind Sie wach geworden und richten sich den ganzen Juni über an die Medien und präsentieren jene Ideen, die wir hier seit fünf Jahren vorschlagen, als Ihre. 50 Anträge kamen allein von mir. Es wird wieder bei Ankündigungen bleiben (Abg. Taschner: Haben wir doch etwas gemacht!), es wird kaum etwas umgesetzt werden, weil es derzeit auch kein Budget dafür gibt.

In dem Zusammenhang möchte ich noch auf einige Punkte im Antrag eingehen. Zur Personalnot: Herr Bundesminister, es reicht nicht, Werbung zu machen und 600 Millionen Euro ohne öffentliche Ausschreibung in den Bildungsbereich zu werfen. Außer der Agentur hat das keinem Kind etwas gebracht. 600 Millionen Euro hätten gut investiert werden können, um Kindern täglich ein warmes Mittagessen zu finanzieren. (Beifall bei der SPÖ.)

Wir haben einen Personalmangel, weil die Arbeitsbedingungen nicht passen. Die Arbeitsbedingungen sind schlecht, weil die ÖVP nicht investieren will. Der Lehrermangel ist teuer: 80 Millionen Euro für Überstunden alleine im Pflicht­schul­bereich. Seit Antritt der ÖVP-Grünen-Regierung ist die Zahl der Studien­anfänger gesunken und nicht gestiegen, und viele Pädagoginnen und Pädagogen beenden ihr Dienstverhältnis wieder.

Zu den Bewerbungen allgemein, Herr Bundesminister: Es kann schon sein, dass die Zahl der Bewerbungen für offene Stellen hoch ist, aber das passt nicht immer mit den Standorten und den Fächern zusammen. Derzeit gibt es sehr wohl offene Stellen für den kommenden Schulbeginn.

Es ist ein wunderschöner Beruf, dafür muss aber der große Rahmen passen, mit attraktiven Angeboten und Arbeitsplätzen. Es braucht treffsichere Schulfinan­zierung für die Bedürfnisse am Standort, für die Kinder, damit die Pädagoginnen und Pädagogen nicht mit Aufgaben belastet werden, für die sie eigentlich nicht ausgebildet sind. Wir haben ein teures Schulsystem, aber es kommt wenig beim Kind an. Das könnte man mit dem AK-Chancenindex, einem Modell, das es schon seit Langem gibt und rasch umsetzbar ist, sofort ändern.

Es braucht optimale Arbeits- und Rahmenbedingungen. Die Elementarpädagogik und die ersten beiden Jahre im Volksschulbereich müssten endlich als das Fundament angesehen werden, denn sie sind die Basis für jeglichen Bildungs­erfolg, der danach kommt. Es könnten viele Folgeerscheinungen wie Legasthenie und Dyskalkulie und so weiter zum Großteil vermieden werden. Wenn die Basis schon einmal passen würde, dann wären die Nachhilfekosten weniger und auch Förderungen würde es viel weniger brauchen.

Es braucht natürlich auch mehr Qualität bei der Deutschförderung. Die Erhebungen rund um die Deutschförderklassen, die vernichtend waren, wurden ja ignoriert und trotzdem wird noch daran festgehalten. (Abg. Taschner: Da müssen Sie intensivieren!) Es braucht echte Schulautonomie für alle Arten der Förderung innerhalb der Schule, bei der Vorbereitung und Begleitung der jungen Pädagoginnen und Pädagogen, und mehr Durchlässigkeit und Umstiegs­möglichkeiten innerhalb des Systems. Das würde den Beruf ebenfalls attraktiver machen.

Damit kann es gelingen, Herr Minister – nicht mit 600 Millionen Euro für eine Werbung –, dass sich mehr Menschen für diesen schönen Beruf entscheiden und auch bleiben, und damit würden auch mehr als eine Million Schülerinnen und Schüler etwas davon haben.

Der Schlüssel sind Investitionen in hochwertige beitragsfreie verschränkte Ganztagsschulen mit ausreichend Supportpersonal, ohne Hausübung und Nachhilfe, mit einem gesunden warmen Mittagessen. Wir sind da nämlich anderer Meinung als der Herr Bundeskanzler, der empfiehlt, dass Kinder halt einen Burger essen sollen. An dieser Stelle möchte ich auch daran erinnern: Wenn die ÖVP unseren Reformplänen damals, vor ungefähr zehn Jahren, zugestimmt hätte, hätten Zigtausende Kinder bis heute bereits bessere Chancen bekommen, Zigtausende Familien echte Entlastungen gespürt und Zigtausende Wirtschaftsunternehmen heute besser ausgebildete Fachkräfte. Die ÖVP trägt die Verantwortung dafür.

Verwunderlich finde ich auch den plötzlichen Vorstoß von Ihnen, Herr Bundes­minister, zur verschränkten Ganztagsschule jetzt im Juni, kurz vor der National­ratswahl, denn eine ähnliche Dringliche der NEOS gab es bereits voriges Jahr. (Abg. Taschner: 6. Juni!) Auch da war die verschränkte Ganztagsschule Thema, ich darf die Zwischenrufe von Klubobmann Wöginger zur verschränkten Ganz­tagesschule wiederholen, das ist sehr interessant: Wir wollen sie nicht! Der ver­schränkte Unterricht ist ein Zwangsunterricht! (Die Abgeordneten Belakowitsch und Taschner: Richtig! – Abg. Totter: Ganz richtig!) Das ist Kommunismus! Kinder bis um vier einsperren ist ein Wahnsinn! (Abg. Totter: Absolut richtig!)

Ja, zu dem Thema, dass Lehrer wieder mehr Zeit für Schülerinnen und Schüler haben und Schulleiter mehr Zeit für pädagogische Konzepte, war die Antwort des Klubobmanns: Das ist Kommunismus pur! Purer Kommunismus! – Soweit also zu den inhaltlichen Veränderungen vom vorigen Jahr zum heurigen Jahr, in dem Nationalratswahlen anstehen. Einmal so und einmal so, wie es gerade passt. Es ist nicht glaubwürdig. (Abg. Taschner: Na, wir wollen die offene Ganztags­schule!)

Herr Bundesminister, wissen Sie eigentlich, dass innerhalb Ihrer Partei – also, die, die Sie aufgestellt hat – im Hintergrund Stimmen laut werden, die sagen, Sie können es nicht und Sie müssen weg? Sie müssen jetzt die Kritik einstecken. Könnte es vielleicht sein, dass Sie jahrelang im Auftrag der ÖVP gehandelt haben und jetzt diese ganze Kritik einstecken müssen, damit die Partei sauber bleibt? – Es schaut so aus. (Abg. Taschner: Wie kommen Sie auf die Idee?)

Zum Schluss wünsche ich allen Kindergartenkindern, allen Schülerinnen und Schülern, allen Studierenden, Pädagoginnen und Pädagogen, allen Eltern und allen, die am Schulleben beteiligt sind, erholsame Ferien.

Ich bedanke mich bei all meinen Kolleginnen und Kollegen für ihren Einsatz in den Schulen und Bildungseinrichtungen unter schwierigen Bedingungen. Das Engagement geht zum Wohle unserer Kinder meist über das geforderte Maß hinaus. Nur durch euch läuft das Bildungssystem eigentlich noch.

Wir wollen moderne Bildungseinrichtungen, die optimal vorbereiten, wo lernen Freude und Sinn macht, ohne Schultasche, ohne Hausübung und ohne Nachhilfe, sodass Zeit zu Hause Zeit für Familien ist. Diese erfolgreichen Schulen gibt es, und unsere Kinder haben sich solche verdient. Ich werde mich weiterhin dafür einsetzen, damit sich in diese Richtung etwas ändert. – Vielen Dank. (Beifall bei der SPÖ.)

15.50

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Brückl. – Bitte sehr, Herr Abgeordneter.