Abgeordneter Michel Reimon, MBA (Grüne): Herr Bundeskanzler, bei meiner Frage geht es um Viktor Orbán. Aber: Auf das muss man dann auch noch eingehen, auf seinen neuen Kooperationspartner.
Viktor Orbán hat die Ratspräsidentschaft übernommen, und die Ratspräsidentschaft hat die Politik der Europäischen Union neutral – als neutraler Mittler – zu führen. Jetzt gibt es ein Rechtsstaatlichkeitsverfahren gegen Ungarn, dass Viktor Orbán nun selbst durchführen sollte.
Jetzt möchte ich Sie fragen, wie Sie es einschätzen, dass Orbán ein neutraler Vermittler im Interesse der Union bei seinem eigenen Verfahren sein wird.
Das lässt mir jetzt keine Wahl, da muss man nachlegen: Er hat zwei Signale in den ersten Tagen seiner Präsidentschaft gesetzt, die überhaupt nicht einer neutralen Vermittlung oder einer neutralen Mittlerschaft entsprechen. Er hat unmittelbar vor der Übernahme der Ratspräsidentschaft eine Arbeitsgemeinschaft mit zwei rechten, rechtsextremen faschistoiden Parteien geschlossen und geht so in die Ratspräsidentschaft. (Rufe bei der FPÖ: Geh bitte! – Abg. Steger: Herr Präsident! Herr Präsident, das ist ein Ordnungsruf! – Weitere Zwischenrufe bei der FPÖ. – Ruf bei den Grünen: Wieso?) Wie glauben Sie, dass er fähig ist, ein neutraler Mittler zu sein?
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Die schriftlich eingebrachte Anfrage, 391/M, hat folgenden Wortlaut:
„Welche Maßnahmen werden Sie innerhalb der EU ergreifen, damit das Artikel-7-Verfahren gegen Ungarn weiterhin unter der ungarischen EU-Präsidentschaft gewissenhaft fortgesetzt bzw im Fall unseres gemeinsamen Nachbarlandes Slowakei eingeleitet wird?“
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Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Ich bitte Sie, den Ausdruck faschistoid zurückzunehmen, weil ich sonst einen Ordnungsruf erteilen muss. (Abg. Wurm: ... ist ein Wahnsinniger, ist ein Geistesgestörter! Du bist ein Geistesgestörter!)
Abgeordneter Michel Reimon, MBA (Grüne): Herr Präsident, ich habe eben recherchiert und sage bewusst nicht faschistisch. Ich nehme ihn nicht zurück. (Zwischenrufe bei der ÖVP.)
Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Herr Bundeskanzler, bitte. (Abg. Wurm: ... ein Geistesgestörter, schwer angeschlagen! Seit Corona bist du schwer angeschlagen! – Abg. Steger: Für die Würde des Hauses ist es gut, dass Sie bald nicht mehr herinnen sitzen! – Weitere Zwischenrufe bei der FPÖ. – Der Präsident gibt das Glockenzeichen.)
Der Herr Bundeskanzler hat das Wort!
Bundeskanzler Karl Nehammer, MSc: Zum einen, Herr Abgeordneter - - (Abg. Maurer: Ordnungsruf! – Abg. Reimon – in Richtung Abg. Maurer –: Lasst ihn! Ist eines Ordnungsrufes nicht würdig! – Ruf bei den Grünen: Ein Witz eigentlich! – Zwischenrufe bei FPÖ und Grünen. – Abg. Belakowitsch: Ein Witz seids schon ihr! –Zwischenrufe bei FPÖ und ÖVP.)
Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Bitte, wir sind nicht im Wahlkampf! (Heiterkeit und Zwischenrufe bei ÖVP und FPÖ.) – Nein, hier herinnen nicht. Es geht um die Beantwortung von Fragen. (Abg. Hoyos-Trauttmansdorff: Also wenn Sie die Antworten des Bundeskanzlers hören, ist das Wahlkampf!) – Herr Bundeskanzler, bitte.
Bundeskanzler Karl Nehammer, MSc (fortsetzend): Sehr geehrter Herr Abgeordneter, zum einen: Aus meiner Sicht ist es klar: Es darf bei der Thematik Rechtsstaatlichkeit keine Kompromisse geben. Der Ratsvorsitz ist verpflichtet, als ehrlicher Makler zu agieren und während des Vorsitzes europäische Interessen in den Vordergrund zu stellen. Das gilt dann natürlich auch für Ungarn.
Außerdem kann ein Vorsitz in dieser Rolle nicht alleine agieren. Es gibt beispielsweise Vorprozesse für die Annahme von Tagesordnungen. Diese werden ja auch im Ausschuss der Ständigen Vertreter besprochen. Es gibt also auch da Checks and Balances.
Bei der letzten Anhörung Ungarns im Rahmen des Artikel-7-Verfahrens im RAA Ende Juni hat Ungarn mehrmals seine Bereitschaft bekundet, mit der Kommission zusammenzuarbeiten.
Ich möchte auch darauf hinweisen, dass man immer wieder darauf achten muss, dass Viktor Orbán in Ungarn oft anders auftritt als dann in Brüssel im Rat. Was ich damit meine, ist, dass er dort deutlich kompromissbereiter und auch kooperationsbereiter ist, er allerdings in Ungarn sozusagen in seiner Sprache und in seiner nationalen Politik andere Akzente setzt.
Ich gehe aber davon aus, dass sich auch der ungarische Vorsitz an die Vorgaben des Rechtsstaates, an die Rechtsstaatlichkeit und an die Verträge der Europäischen Union halten wird.
Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zusatzfrage? – Bitte.
Abgeordneter Michel Reimon, MBA (Grüne): Ich möchte das noch einmal vertiefen: Sie haben eben zu Recht gesagt, dass er die gemeinsame europäische Politik umzusetzen hat. Nun ist er am zweiten Tag seiner Ratspräsidentschaft in die Ukraine gefahren – deswegen auch der Anschluss an den Beitrag der FPÖ zuvor –, hat dort Putins Position zu Friedensverhandlungen, nämlich einen Waffenstillstand, der die Gebietsgewinne bei Putin lässt, gegenüber der Ukraine vertreten. (Ruf bei der ÖVP: Waren Sie dabei?)
Er widerspricht damit sowohl der österreichischen Position als auch der Position der überwiegenden Mehrheit der EU-Staaten. Er macht das bewusst am zweiten Tag seiner Ratspräsidentschaft, nicht in all den Monaten davor. Wie werden Sie vorgehen, wenn Viktor Orbán weiter so gegen die Regeln der Ratspräsidentschaft verstößt, er sie schlicht und einfach nicht einhält? (Abg. Steger: Das ist ein souveräner Staat, er kann sehr wohl hinfahren und Gespräche führen! – Ruf bei den Grünen: Sie sind nicht gefragt!)
Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Die Antwort, bitte. (Abg. Reimon: Absolut, das kann er, aber nicht als Ratspräsident! Dann kann er fragen, wer das ...! – Abg. Steger: Ich weiß schon, dass die EU das nicht akzeptieren will!)
Bundeskanzler Karl Nehammer, MSc: Es gibt ja dazu auch schon eine Stellungnahme des Ratspräsidenten Charles Michel, der klar festgestellt hat, dass Viktor Orbán bei seiner Reise nach Russland, nach Moskau kein offizielles Mandat der EU vertreten hat.
Persönlich, sage ich, ist mir der österreichische Weg, den wir einschlagen, deutlich lieber. Es freut mich sehr, dass seit über 40 Jahren erstmals ein indischer Premier nach Österreich kommt. Indien ist ein wichtiger Partner, Indien gehört zu den Brics-Staaten. Indien ist vor allem auch ein Land, das großen Einfluss auf die Russische Föderation hat. Wir sind eines der Länder, die Modi aufsucht, nachdem er in Moskau war. Das heißt, unsere Bemühungen zahlen sich aus: Wenn wir einen der großen Player unter den Brics-Staaten zu Gast haben – Indien zählt mit immerhin über 1,3 Milliarden Einwohnern zu den ganz großen, gemessen am Bevölkerungsschlüssel –, haben wir Chancen, tatsächlich als Brückenbauer aufzutreten, um gemeinsam Rahmenbedingungen zu finden, damit Frieden einkehren kann.
Konkret zu Ihrer Frage: Viktor Orbán hat kein offizielles Mandat der EU gehabt, das wurde auch vonseiten der EU klargestellt. (Abg. Reimon: Danke!)
Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Die nächste Anfrage stellt Abgeordneter Hoyos-Trauttmansdorff. – Bitte.