22.03

Abgeordnete Dr. Stephanie Krisper (NEOS): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr ge­ehrte Frau Bundesministerin! Hohes Haus! Ich beginne meine Rede mit einer Geschichte aus dem Leben eines jungen Staatsanwalts.

„Eines Nachmittags trat jemand, dessen Anblick mich aufspringen und verneigen ließ, in mein Arbeitszimmer.“ Er „war es – bei dem ich Strafrecht inskribiert, teilweise sogar ge­hört hatte – [...]“

Er bekleidete höchste Regierungsämter. Er fragte:

„,Darf ich mich an Sie wenden?‘

An mich wenden! Dürfen! Ich bejahte dienstfertig und lud den alten Herrn zum Sitzen ein, doch er zog es vor zu stehen.“ Er sagte, „sein Anliegen sei kurz. Die Staatsanwalt­schaft [...] behandle den Fall eines gewissen jungen Mannes, dessen Namen er nannte: der junge Mann sei ein Verwandter. [...]

Ich fürchtete, was er jetzt sagen würde. Denn er war es gewesen, der uns Studenten die Unabhängigkeit der Justiz gelehrt und streng gefordert hatte, sie zu wahren, um jeden Preis: Keine Interventionen, keine Beeinflussungen. ,Das Einzige, was bei einem [...] zu intervenieren hat‘, pflegte er zu sagen, ,ist das gesatzte Recht.‘ Würde er im Arbeits­zimmer seines Schülers seine Lehre verleugnen?

Den Akt in der Hand, fürchtete ich es. Er fragte: ,Wird die Anklage erhoben werden?‘ Als ich bejahte“, fragte er: „,Hat das die Voruntersuchung unangreifbar ergeben?‘ Auf mein abermaliges Ja zögerte er, sagte dann: ,Ich danke für Ihre Auskunft.‘ Die Worte fielen ihm schwer, er fügte nichts hinzu, reichte mir die Hand und empfahl sich.“

Diese Geschichte aus der Autobiografie des großen Ernst Lothar ist gut 100 Jahre alt, hat aber nichts an Aktualität eingebüßt. Es geht damals wie heute um die redlichen Men­schen in der Strafjustiz, die einfach dem Gesetz folgen und daher unabhängig, unpar­teiisch und frei von Interventionen arbeiten wollen. Das sollen sie auch, und das sage nicht ich, das sagt § 3 der Strafprozeßordnung.

In der Geschichte von Ernst Lothar erwartete der junge Staatsanwalt eine Intervention. Sie blieb aus, weil der Besucher zu seinen Werten stand, auch wenn ihm das Ergebnis nicht passte. Leider ist es heute noch immer nötig, zu beeinflusster und beeinflussbarer Strafjustiz ein deutliches Nein zu sagen.

Heute wollte ich über eine Person sprechen, unter der sich ein System entwickelte, in dem bestimmte Strafverfahren torpediert oder daschlogen werden, während andere Ver­fahren, wenn es für jemand Wichtigen opportun ist, turbogeboostet werden, in dem Staatsanwältinnen und Staatsanwälte sich unsachlich unter Druck gesetzt fühlen und in sinnlosen Berichtspflichten erstickt werden, ihnen mit Maßgaben zu verstehen gegeben wird, welchen Verfahrensausgang man sich wünscht und was passiert, wenn den Erwar­tungen nicht entsprochen wird, nämlich Marginalisierung, Karriereende. – Das ist das System unter Pilnacek.

Frau Ministerin, Sie haben heute entschieden, Christian Pilnacek als Sektionschef nicht zu verlängern. Das ist ein wichtiger, erster Schritt in Richtung Rechtsstaatlichkeit in der Strafjustiz. Christian Pilnacek war aber nur der letztendlich sehr unverfrorene Kopf eines lang etablierten Systems von Vertrauten.

Daher stelle ich folgenden Antrag:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Das ein­zige, was bei einem zu intervenieren hat, ist das gesatzte Recht“

Der Nationalrat wolle beschließen:

 „Die Justizministerin wird aufgefordert,

1. die Stelle des Sektionschefs/der Sektionschefin der überaus sensiblen mit Einzelstraf­sachen befassten Sektion neu auszuschreiben und diese Funktion einer geeigneten Per­son zu überantworten, die es vermag, diese Position mit dem notwendigen Amtsver­ständnis der Unparteilichkeit im Sinne der Rechtsstaatlichkeit korrekt auszuüben.

2. das System der berichtspflichtigen Verfahren zu evaluieren und dem Nationalrat einen Gesetzesentwurf für eine umfassende Reform zuzuleiten, mit dem die Unabhängigkeit der staatsanwaltschaftlichen Behörden nachhaltig gestärkt und vor unsachlicher Ein­flussnahme geschützt wird.“

*****

Ich ersuche Sie dringlich: Setzen Sie diese weiteren, wichtigen Schritte für eine un­abhängige Strafjustiz! (Abg. Gerstl: Das ist unredlich!) – Danke sehr. (Beifall bei den NEOS.)

22.07

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Dr. Johannes Margreiter, Kolleginnen und Kol­legen

betreffend "Das einzige, was bei einem zu intervenieren hat, ist das gesatzte Recht"

eingebracht im Zuge der Debatte in der 32. Sitzung des Nationalrats über den Bericht des Budgetausschusses über die Regierungsvorlage (55 d.B.): Bundesgesetz über die Bewilligung des Bundesvoranschlages für das Jahr 2020 (Bundesfinanzgesetz 2020 – BFG 2020) samt Anlagen – TOP 7 UG 13

Das Budget eines Ministeriums kann durch Ineffizienzen belastet werden. Eine mögliche unnötige Belastung des ohnehin angespannten finanziellen Situation in der Justiz ergibt sich aus der Berichtspflicht in Strafverfahren gemäß § 8 Abs 1 des Staatsanwaltschafts­gesetz (StAG). Das durch diese gesetzliche Bestimmung geschaffene System kann da­durch auch zur systematischen Verlangsamung mit entsprechenden anderen negativen Auswirkungen führen. Weiters ist mit den personellen Ressourcen der Justiz unter der Prämisse der Sparsamkeit und Effizienz umzugehen. Da passt es eben nicht ins Bild, dass Staatsanwält_innen, die in brisanten Fällen ermitteln, durch höchste Beamt_innen mit sinnlosen Berichtspflichten sowie durch andere fragwürdige Maßnahmen in ihrer Ar­beit behindert werden.

- Ohne Ansehung der Person -

Justitia ist die Göttin der Gerechtigkeit.

In der Ikonographie hält sie zumeist in der linken Hand eine Waage, in der rechten das Richtschwert. Seit Ende des 15. Jahrhunderts wird Justitia blind bzw. einäugig, später noch deutlicher mit einer Augenbinde dargestellt.

Die drei Attribute Augenbinde, Waage und Richtschwert sollen somit verdeutlichen, dass das Recht ohne Ansehen der Person (Augenbinde), nach sorgfältiger Abwägung der Sachlage (Waage) gesprochen und schließlich mit der nötigen Härte (Richtschwert) durchgesetzt wird.

Es ist wohl kein Zufall, dass eine in Marmor geschaffenen Statue der Justitia in sitzender Stellung die Aula des Obersten Gerichtshofes der Republik Österreich ziert.

"Nur wenn sich die Bürger darauf verlassen können, dass die Gerichte sachkundig, un­abhängig und ohne Ansehung der Person handeln, akzeptieren sie auch deren Entschei­dungen, die nicht immer nach dem Willen der Betroffenen sein können. (...)

Eine gute und verlässlich funktionierende Justiz ist so etwas wie die Visitenkarte eines Rechtsstaats. Die Justizbehörden und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sorgen für die Wahrung von Rechtssicherheit und Rechtsfrieden in Österreich. Durch die hohe Qua­lität ihrer Arbeit verdient sich die Justiz das große Vertrauen, das die Bevölkerung in sie setzt. Dieses Vertrauen ist ein unverzichtbares Fundament für Freiheit, Sicherheit und Recht."

(Quelle: Alles was Recht ist. Justiz und Recht besser verstehen (2013) Bundesministe­rium für Justiz)

In Österreich - wie überall sonst - wird Recht freilich nicht von einer allegorischen Figur gesprochen sondern von Menschen. Ist bereits der Mensch für sich ein komplexes We­sen, so trifft das umso mehr auf einen elaborierten Justizapparat zu, der, bestehend aus einer Tausendschaft von gewissenhaften Beamt_innen, Richter_innen, Staatsanwält_in­nen, Rechtspfleger_innen, Kanzleimitarbeiter_innen und vielen anderen, ein hochkom­plexes Gefüge und zugleich wesentliches Fundament der Republik ist.

Der deutsche Richtereid lautet: "Ich schwöre, das Richteramt getreu dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland und getreu dem Gesetz auszuüben, nach bestem Wissen und Gewissen ohne Ansehen der Person zu urteilen und nur der Wahrheit und Gerechtigkeit zu dienen, so wahr mir Gott helfe."

Dem gegenüber fällt der österreichische Richtereid etwas profaner aus: "Ich schwöre, dass ich die in der Republik Österreich geltende Rechtsordnung unverbrüchlich beach­ten und meine ganze Kraft in den Dienst der Republik stellen werde."

Gemäß § 57 des Richter- und Staatsanwaltschaftsdienstgesetz sind Richter und Staats­anwälte der Republik Österreich zur Treue verpflichtet und haben die in der Republik Österreich geltende Rechtsordnung unverbrüchlich zu beachten. Sie haben sich mit voller Kraft und allem Eifer dem Dienst zu widmen, sich fortzubilden, die Pflichten ihres Amtes gewissenhaft, unparteiisch und uneigennützig zu erfüllen und die ihnen über­tragenen Amtsgeschäfte so rasch wie möglich zu erledigen.

Der Inhalt dieser Bestimmung ist klar: es geht es um eine funktionierende – unabhängig agierende – Justiz, die alle gleich behandelt.

Das Vertrauen der österreichischen Bevölkerung in die Unabhängigkeit der Justiz ist genauso groß wie fragil. Die professionelle Arbeit der Justiz ist als Bollwerk der Ge­rechtigkeit auf Sand gebaut, dessen Fundament - das verfassungsgesetzlich garantierte Gleichheitsgebot - von einem System untergraben wird, das parteiische Einflussnahme auf Verfahren ermöglicht. Wenn ein derartiges System in weiterer Folge von Persönlich­keiten ausgefüllt wird, die nicht davor zurückscheuen, diese Einflussnahme vorzuneh­men, ist die ohnehin schon vorhandene Zweiklassen-Justiz als Begleiterscheinung eines erodierenden Rechtsstaats unvermeidbar.

In der Zusammenschau ergibt sich bedauerlicherweise das Bild, dass in bestimmten Be­reichen der Strafjustiz manche der agierenden Personen weder unabhängig noch un­parteiisch im Sinne der oben genannten Grundwerte agieren.

I. Die Staatsanwaltschaften im System der berichtspflichtigen Fälle

Gemäß Artikel 90a des Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) sind Staatsanwält_innen Organe der ordentlichen Gerichtsbarkeit. In Verfahren wegen mit gerichtlicher Strafe bedrohter Handlungen nehmen sie Ermittlungs- und Anklagefunktionen wahr. Durch das Bundesgesetz werden die näheren Regelungen über ihre Bindung an die Weisungen der ihnen vorgesetzten Organe getroffen.

Die Staatsanwält_innen haben gemäß § 3 der Strafprozessordnung (StPO) ihr Amt unparteilich und unvoreingenommen auszuüben und jeden Anschein der Befangenheit zu vermeiden. Sie haben die zur Belastung und die zur Verteidigung des Beschuldigten dienenden Umstände mit der gleichen Sorgfalt zu ermitteln.

§ 8 Abs 1 des Staatsanwaltschaftsgesetz (StAG) legt bestimmte Berichtspflichten für die Staatsanwaltschaft fest. Dies bedeutet, dass in den dort genannten Fällen die Sachbe­arbeiter_innen ihre Causen nicht selbst erledigen können, sondern von sich aus den Oberbehörden zu ihren jeweiligen Vorhaben (Festnahmen, Einvernahmen, Anklage, Einstellung,...) berichten müssen. Die Oberbehörden (Oberstaatsanwaltschaft (OStA) sowie die Weisungsabteilung im BMJ) können dann den Vorhabensbericht "zur Kenntnis nehmen", was einer Genehmigung des Vorhabens entspricht, oder aber mittels Weisung eine andere Vorgangsweise anordnen. Dieses System der Berichtspflichten öffnet Straf­verfahren für klandestine Beeinflussung von "oben" und verlängert die Ermittlungsver­fahren in besorgniserregendem Ausmaße.

Zu Weisungen im formellen Sinn kommt es nämlich selten, zumal diese auch gem. § 29a Abs 3 StAG dem Nationalrat zu berichten sind. Viel häufiger sind sogenannte "Dienstbe­sprechungen", in welchen dann den jeweiligen Sachbearbeiter_innen die "Rechtsan­sicht" der Oberbehörde mitgeteilt wird. Dass diese informellen Gesprächsrunden in der Praxis quasi Weisungscharakter entfalten und sich damit mit dem rechtsstaatlichen Prinzip der Bundesverfassung nur schwer vertragen, ist hinlänglich bekannt. Neben solchen Dienstbesprechungen gibt es aber auch andere Mittel und Wege, die jeweiligen Sachbearbeiter_innen auf Linie zu bringen. So werden Anordnungen mit Weisungs­charakter (um Weisungen im formellen Sinn handelt es sich dabei freilich nicht) durch Anforderung von Ergänzungsberichten in Verbindung mit Anmerkungen, wie eine Sache bevorzugt zu erledigen sei, versehen, um damit aufzuzeigen, welches Verhalten seitens der Fachaufsicht gewünscht ist.

Die Berichtspflicht kann aber auch zur systematischen Verlangsamung oder auch Len­kung eines Ermittlungsverfahrens führen. So zum Beispiel, wenn über nahezu jeden noch so kleinen Ermittlungsschritt ein Bericht angefordert wird oder bereits im Vorhinein festgelegt wird, welche Ermittlungsschritte zu berichten sind. So beläuft sich laut An­fragebeantwortung 771/AB der Justizministerin Alma Zadic mitgeteilt im Extremfall die Anzahl der fachaufsichtlichen Prüfer_innen in berichtspflichtigen Verfahren auf bis zu acht (!) Personen (exklusive Befassung des Weisungsrates), welche in einem jeweils eigenen Schritt Berichte zu prüfen haben bzw. können. Die damit verbundene enorme Dauer eines solchen Prozesses liegt auf der Hand. Gerade in komplizierteren Causen scheint zudem eine eingehende Prüfung durch derart viele Personen schon aus zeitli­chen Gründen quasi ausgeschlossen, was auch die Sinnhaftigkeit derartiger Berichts­pflichten in rechtlich unproblematischen Fällen gänzlich in Frage stellt. So ist zum Bei­spiel unerklärlich, wie leitende Beamt_innen im BMJ, wie etwa eine Sektionschefin oder ein Leiter einer OStA, die Zeit finden sollen, sich mit der Beweiswürdigung oder auch einzelnen detaillierten Rechtsfragen ausgiebig auseinanderzusetzen. Dies gilt umso mehr in Großverfahren, die oft weit über tausend Seiten Aktenstudium erfordern, um sich ein genaues Bild über die Lage verschaffen zu können.

Diese auch zeitliche Komponente der fachaufsichtlichen Prüfung stellt gerade im Zu­sammenhang mit dem Beschleunigungsgebot gem. § 9 StPO ein Problem dar, zumal dieses als einfachgesetzliche Anordnung grundrechtlicher Vorgaben ein unbedingtes Muss des Strafprozesses darstellt.

Dieses, höchst fragwürdige System der Berichtspflichten in Verbindung mit den fachauf­sichtlichen Prüfung schadet einerseits durch seine Missbrauchsanfälligkeit dem Anse­hen in die Unabhängigkeit der Strafrechtspflege. Andererseits belastet es die Effizienz und damit das Budget unserer Strafjustiz unverhältnismäßig.

In Verfahren, die keiner Berichtspflicht unterliegen, sieht das Bild hingegen wesentlich anders aus. Hier wird bei Staatsanwält_innen mit mehr als fünf Dienstjahren im Falle der Anklage grundsätzlich gar keine weitere Prüfung durchgeführt. Wenn doch – einer in­ternen Usance folgend – eine Prüfung stattfindet, so wird diese von der Gruppenleitung durchgeführt. Es wird eine Anklage in weniger clamorosen Fällen also maximal von einer weiteren Person geprüft. Inwiefern jedoch bei clamorosen, rechtlich aber im Grunde un­problematischen Fällen derartige Berichtspflichten der „Qualitätssicherung“ dienen sol­len, ist nicht klar. An dieser Stelle bringt das aktuelle System der fachaufsichtlichen Prü­fung die Gefahr einer Zweiklassenjustiz mit sich, in welcher prominenten Persönlichkei­ten noch eine „politische Ehrenrunde“ vergönnt wird, während der gemeine Bürger bzw. die gemeine Bürgerin schon längst auf der Anklagebank sitzt.

Faktisch erfüllen die Berichtspflichten weitestgehend den Zweck, die Spitze des Minis­teriums sowie der jeweiligen OStA von Ermittlungshandlungen gegen prominente Per­sönlichkeiten zu informieren. Dass die höchsten Kreise der Strafverfolgungsbehörden in den vielen Fällen auch Kontakte in die höchsten Kreise der Politik pflegen, ist hinlänglich bekannt. Die systemimmanente Abhängigkeit der einen von den anderen öffnet folglich Tür und Tor für unsachgemäße Einflussnahmen auf staatsanwaltschaftliche Ermittlun­gen, welche letztlich der Absicherung der eigenen Position dienlich sein sollen. Eine Hand wäscht bekanntlich die andere.

Auf welche Weise unsachgemäße Einflussnahmen auftreten können, sei hier beispiel­haft aufgezählt:

•           „Versteckte Weisungen durch Anforderung von Ergänzungsberichten“ in Form von Verlangen nach ergänzender Berichterstattung. Dabei werden Vorhabensbe­richte, in welchen über beabsichtigte Maßnahmen berichtet wird, zurückgestellt und mit Anmerkungen versehen wie „angemerkt wird [...]“. Dabei wird eine „Rechtsansicht“ oder eine sonstige Meinung artikuliert, wobei in der Folge „unter Berücksichtigung der Meinung der Fachaufsicht“ erneut zu berichten ist. Ein derartiges Prozedere kann so lange wiederholt werden, bis die ermittelnden Sachbearbeiter_innen begreifen, wo die Reise hingehen soll.

•           „Mündliche Aufforderungen“, vor allem in Dienstbesprechungen, Telefonaten etc.

•           „Maßgaben“, womit Weisungen versteckt werden sollen und Ermittlungsverfah­ren in die Länge gezogen werden. So werden z.B. Vorhabensberichte mit der Maßgabe genehmigt, dass noch die eine oder andere Person einzuvernehmen wäre. Auf diese Weise lässt sich auch eine sogenannte "politische Ehrenrunde" einhängen.

•           „Die Zügel im Ermittlungsverfahren anziehen“, was bedeutet, Vorhabensberichte über jeden Verfahrensschritt zu verlangen. Dies bringt einen erheblichen Arbeits­aufwand für die ermittelnden Sachbearbeiter_innen mit sich. Wenn man ohnehin schon in Arbeit erstickt, ist man aufgrund dieser Zermürbungstaktik früher oder später geneigt sich nicht mehr mit „denen da oben“ anzulegen.

•           „Zu Tode berichten lassen“, wie z.B. durch die Anforderung von Informations­berichten zu jedem Zeitungsartikel oder ähnlich marginalen Ereignissen. Auch dadurch wird die Arbeit der fallführenden StA erheblich behindert.

•           „Informelle Anweisungen und Auskünfte“, so wird z.B. in Telefonate, persönlich oder via E-Mail mit Formulierungen wie „meiner Ansicht nach“ eine Richtung vor­gegeben, ohne danach gefragt zu werden.

•           „Liegenlassen“ von Vorhabensberichten, die nicht genehmigt werden sollen, aber auch nicht mit schriftlicher Weisung beantwortet werden können, was zu einer enormen Verzögerung von Verfahren führt und intern ein nahezu eindeutiges Zei­chen ist. Zudem eröffnet ein langes Ermittlungsverfahren die Möglichkeit einen Einstellungsantrag zu stellen und eine lange Verfahrensdauer ist ein nicht unwe­sentlicher Milderungsgrund, was sich im Falle einer Anklage und Verurteilung wiederum auf die Strafbemessung auswirkt.

Oberbehörden und Weisungsspitze im BMJ haben in den letzten Jahren dieses System staatsanwaltschaftlicher Berichtspflichten genutzt, indem sie auch in rechtlich unproble­matischen Fällen der ermittelnden Behörde vorgaben, wie sie sich die Erledigung ein­zelner Fälle vorstellten. Naturgemäß wird die Weisungsspitze im BMJ lediglich mit jenen Fällen konfrontiert, die auch der Berichtspflicht unterliegen, folglich in den allermeisten Fällen sogenannte "clamorose Fälle" sind. Diesem System ist einerseits durch geänderte rechtliche Rahmenbedinungen zu entgegnen, weshalb bereits einen entsprechenden Initiativantrag zur Änderung der staatsanwaltschaftlichen Berichtspflichten eingebracht wurde (IA 530/A XXVII GP.).

Neben dieser legistischen Änderung braucht es auch personelle Änderungen, zumal rein rechtliche Schranken für einen nachhaltigen Richtungswechsel unzureichend sind. Das im BMJ vorherrschende Netzwerk mit Christian Pilnacek an der Spitze wusste das System bewusst auszunutzen, weshalb - neben den rechtlichen Rahmenbedingungen - auch eine personelle Veränderung an der Spitze der Strafrechtssektion unumgänglich war. Nach dem Unterlassen der Wiederbestellung von Christian Pilnacek als Sektions­chef bleibt das System bestehen- und auch die Sorge, wer ihm nachfolgt.

II. Beispiel CHRISTIAN PILNACEK

Christian Pilnacek arbeitete selbst nie als Staatsanwalt, wurde aber trotzdem im Sep­tember 2010 unter Justizministerin Bandion-Ortner Leiter der "IV Strafrecht" im Justiz­ministerium. Er steht seither an der beamtlichen Spitze der staatsanwaltlichen Wei­sungshierarchie. Durch seine Hände gingen aufgrund der staatsanwaltschaftlichen Be­richtspflichten alle clamorosen Strafverfahren der Republik. Er hat die Dienst- und Fach­aufsicht über Strafverfahren inne, ist daher für die nun in der Folge beispielhaft ausge­führten Missstände per se schon verantwortlich gewesen. Aber es wird auch deutlich, dass Pilnacek und manch andere Person seines Vertrauens in der Weisungshierarchie bei diesen Missständen eine besonders aktive Rolle spielten, wenn es darum ging par­teilich Einfluss auf bestimmte Verfahren zu nehmen.

A. Verfahren mit unsachlichem Verhalten bzw. Ergebnis:

1. Causa Eurofighter

Gegenstand des medial sowie politisch unter Beobachtung stehenden Verfahrens ist der politisch brisante Verdacht, es seien höchste Amtsträger der Regierung in Zusammen­hang mit dem Ankauf der Eurofighter bestochen worden.

Damals wurde das Ermittlungsverfahren dem Sachbearbeiter R. entrissen. Grund für die Übertragung war eine erteilte Weisung von Christian Pilnacek, relevante Aktenbestand­teile zurückzustellen. Dies hielt der bisherige Sachbearbeiter für ungerechtfertigt und missbräuchlich, weshalb er dies auch nicht vollziehen wollte. Im Rahmen einer Zeu­genvernehmung sprach er mit Peter Pilz über die Weisung, um dieser Sache mittels parlamentarischer Anfrage nachzugehen. Der Sachbearbeiter wurde daraufhin wegen straf- und disziplinarrechtlicher Vorwürfe abgezogen. Die bisher seit 2017 am Team Eurofighter teilnehmende Sachbearbeiterin StA F. bewarb sich in dieser Zeit zur WKStA, sodass sie mit ihrer Ernennung sämtliche Verfahren zur WKStA mitnahm. Ob ein Straf­verfahren dieser Größenordnung bei einer jungen und mäßig erfahrenen Staatsanwältin gut aufgehoben ist, bleibt fraglich.

Medial wurde dies seitens des BMJ anders kommentiert; so sagte OStA Klackl (Wien) dazu:

"Mit dieser Maßnahme kann eine kontinuierliche und effiziente Fallbearbeitung durch diese Staatsanwältin in der gerade auf die Führung von Wirtschaftsgroßverfahren aus­gerichteten Struktur der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft nachhaltig si­chergestellt werden" (https://diepresse.com/home/innenpolitik/5572024/Korruptionser­mittler-uebernehmen-EurofighterFall).

Weiters war zu lesen: "Die Causa und die damit bisher ebenfalls befasste Staatsanwältin – Staatsanwalt R. war Gruppenleiter – ist mittlerweile zur Korruptionsstaatsanwaltschaft gewechselt, was mehr Ressourcen und weniger Verzögerungen garantieren soll, wie Oberstaatsanwalt Michael Klackl am Donnerstag erklärte" (https://www.derstan­dard.at/story/2000098006886/causa-eurofighter-aufregung-um-staatsanwalt-wechsel-und-weisung).

Tatsächlich war die mediale Darstellung seitens der OStA grob unrichtig, wie auch das medial und über den Eurofighter-Untersuchungsausschuss kommunizierte Ergebnis der Ermittlungen verdeutlicht. Massive Verzögerungen waren daher jedenfalls vorhersehbar (weil unumgänglich), zumal niemand das Stammverfahren vollinhaltlich bzw. ausrei­chend kannte und alleine das Einarbeiten in einen derart komplexen Fall mehrere Mo­nate Aktenstudium erfordert. Weiters sind grobe Unzulänglichkeiten in der Verfahrens­führung zu Tage getreten, was ebenfalls – gerade in einem Verfahren solcher Tragweite – wesentlich auf ein grobes Versagen der Fachaufsicht schließen lässt. Nach Druck auf Ermittler, das Verfahren einem Ende zuzuführen, endete alles in der bekannten „da­schlogts es“-Dienstbesprechung.

Anstatt mit einer vollumfänglichen Aufarbeitung der Geschehnisse reagierte Christian Pilnacek lediglich mit der Vertuschung der eigenen Verfehlungen und weiterem Druck auf die WKStA, sowie Diffamierungen der ermittelnden Staatsanwält_innen (dazu um­fassend: https://www.addendum.org/justiz/eurofighter-verfahren/ sowie https://www.ad­dendum.org/justiz/pilnacek-moser/).

2. Weg der Ermittlungen gegen Pilnacek ins organisierte Nichts

Christian Pilnacek übermittelte per E-Mail eine Weisung im Eurofighter-Verfahren aus einem Verschlussakt an einen ORF-Redakteur, der zum Zeitpunkt dieser E-Mail keinerlei Kenntnis über den Inhalt der Weisung hatte. Nüchtern betrachtet erfüllt diese Handlung den Tatbestand des § 310 StGB - Verletzung des Amtsgeheimnisses.

In diesem Fall ist jedoch Christian Pilnacek selbst der vermeintliche Täter. Obwohl die Tathandlung samt Beweisen in einer ausführlichen Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft übermittelt wurden, erblickte die StA Eisenstadt in diesem Verhalten keinen Anfangsverdacht und setzte durch ihre Erledigung nach § 35c StAG nicht einmal ein Ermittlungsverfahren in Gang.

Siehe auch dazu diese parlamentarische Anfrage: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVI/J/J_03657/index.shtml (Verletzung des Amtsgeheimnisses durch Generalse­kretär Pilnacek).

3. Weg der Ermittlungen gegen unliebsame Staatsanwält_innen in die Unverhältnismä­ßigkeit

Dass jedoch generell justizinterne Personen mit einer laschen Strafverfolgung zu rechnen haben, kann bei Betrachtung eines anderen Strafverfahrens - und einer von Pilnacek verschiedenen Person - nicht gesagt werden. So wurde gegen den schon oben genannten Staatsanwalt R. wegen des Verdachts auf Amtsmissbrauch und Verletzung des Amtsgeheimnisses, wegen der Preisgabe der Existenz der oben genannten Wei­sung im Eurofighter Verfahren, ermittelt. Dabei kam es zu einem unsachgemäßen und - was mittlerweile auch vom OLG Wien so bestätigt wurde - rechtswidrigen Einsatz massiv grundrechtsinvasiver Ermittlungsmethoden. Und das, obwohl für die Aufklärung des Tatverdachts dafür keinerlei Notwendigkeit bestand. So konstatierte das OLG in seinem Beschluss wörtlich: "Da R. die Offenbarung der Weisung [...] zugestanden hat, bleibt auch unerfindlich, was aus der Kenntnis eines Telefonkontakts zwischen ihm und N.N. danach für die Förderung der Aufklärung der Straftat zu gewinnen sein soll." Sowie an anderer Stelle: "Da über eine nicht existente Weisung schwerlich gesprochen werden kann, bleibt im Dunkeln und ist es unbegründbar, weshalb die angeordnete und be­kämpfte bewilligte Maßnahme [...] zur Förderung der Aufklärung der am 20. Dezember 2018 begangenen Tat notwendig sein soll. "

4. Causa Stadterweiterungsfonds: eine völlig unverständliche "Ehrenrunde" für ÖVP-nahe beschuldigte Sektionschefs des BMI

Der Wiener Stadterweiterungsfonds geht auf Kaiser Franz Josef zurück und diente zur Finanzierung der Bauten an der Wiener Ringstraße. Zuletzt war der Fonds beim Innen­ministerium angesiedelt. Eine Prüfung des Rechnungshofs 2013/14 förderte einige Vor­würfe zu Tage, welche auch von der WKStA untersucht wurden. Der Rechnungshof kritisierte, dass der Wiener Stadterweiterungsfonds in den Jahren 2005 bis 2008 drei Liegenschaften zu auffällig niedrigen Preisen verkaufte, angeblich auch die Liegenschaft am Heumarkt in Wien. So soll die Liegenschaft am Heumarkt um 4,2 Millionen Euro verkauft worden sein, obwohl ein weiteres Angebot in Höhe von neun Millionen Euro vorgelegen habe. Laut Rechnungshof hätte die Vergabe eigentlich gestoppt werden sollen. Der Fondschef und die Spitzenbeamten, die im Kuratorium saßen, sollen Spen­den in der Höhe von rund einer Million Euro verteilt haben – entgegen des Fondszwecks; Die Beamten sind nun wegen Untreue angeklagt. Gegen einen Beamten wurde auch wegen des Verdachts auf Amtsmissbrauch ermittelt (siehe dazu auch die Berichte im Standard: https://www.derstandard.at/story/2000114785782/fruehere-und-aktive-spit­zenbeamte-des-innenministeriums-angeklagt; im Kurier: https://kurier.at/chronik/oester­reich/stadterweiterungsfonds-vier-anklagen-in-der-pipeline-zwei-aktive-sind-sektionschef-im-bmi-betroffen/400523815 sowie den Bericht des Rechnungshofs: https://www.rech­nungshof.gv.at/rh/home/home/Wiener_Stadterweiterungsfonds.pdf).

Zwei der nun angeklagten Beamten sind Sektionschefs im Innenministerium mit Nähe zur ÖVP und auch mit Christian Pilnacek bekannt.

Es kam zu unfassbaren Vorgängen innerhalb der Justiz. So vergingen im Rahmen der fachaufsichtlichen Überprüfung 22 Monate, bis die von der WKStA intendierte Anklage endlich genehmigt wurde. Dies jedoch erst, nachdem Christian Pilnacek im Rahmen der Bearbeitung des Vorhabensberichts der WKStA (Anklagen und Teileinstellungen) "er­gänzende Vernehmungen" von Beschuldigten beauftragt hatte. Diese sind in den Augen zahlreicher Personen aus der Justiz "unnotwendig" gewesen und hätten dazu gedient, Zeit zu gewinnen. Der ungeheure Frust, der sich aufgrund derartiger Vorgangsweisen im BMJ einstellte, führte erst vor kurzem zu einer detaillierten und substantiierten An­zeige gegen Christian Pilnacek wegen Verdachts auf Amtsmissbrauch durch anonym bleibende Personen aus der Justiz (https://www.derstandard.at/story/2000117052671/neuer-aerger-fuer-strafsektionschef-pilnacek).

Siehe auch die dazu gestellten parlamentarischen Anfragen: https://www.parla­ment.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/J/J_01906/index.shtml (Causa Stadterweiterungsfonds und "System Pilnacek"); https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVI/J/J_04087/index.shtml (System Pilnacek – das Liegenlassen von Akten in der Causa Stadterweiterungsfonds; https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVI/J/J_04019/index.shtml (Prüfung vorläufiger Suspendierungen in Causa "Stadterweiterungsfonds").

Auch hier tritt in anders gelagerten Strafverfahren ein verschiedenes Bild zu Tage. So kam es in einem Strafverfahren gegen die Novomatic, Franz Wohlfahrt, Peter Wes­tenthaler und Peter Barthold zur merkwürdigen Situation, dass mehrmalige Beweisan­träge eines Verdächtigen schlichtweg ignoriert wurden. Selbst nach der Antwort des Justizministers, Josef Moser, auf eine parlamentarische Anfrage, dass die Strafverfol­gungsbehörde diesen Beweisanträgen nachkommen wird, kam es jedoch bis zum Zeitpunkt dieser Antragstellung zu keiner erneuten Einvernahme (siehe auch die dazu gestellten parlamentarischen Anfragen: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVI/J/J_02902/index.shtml (Einstellung des Ermittlungsverfahrens der WKStA gegen die No­vomatic, Franz Wohlfahrt, Peter Westenthaler und Peter Barthold); https://www.parla­ment.gv.at/PAKT/VHG/XXVI/J/J_04046/index.shtml (Folgeanfrage zur Einstellung des Ermittlungsverfahrens der WKStA gegen die Novomatic, Franz Wohlfahrt, Peter Westen­thaler und Peter Barthold)).

5. Causa umsorgter Weinzierl

Die ermittelnden Staatsanwälte der StA Wien wollten Peter Weinzierl, Ex-Manager der Meinl Bank, in Untersuchungshaft nehmen. Es ging um den Vorwurf des Betrugs in Mil­liardenhöhe.

Die Weisungsspitze (Pilnacek) war gegen die Verhängung der Untersuchungshaft und trug der StA Wien auf, von einem solchen Vorhaben abzusehen. Zuerst wurde von Pil­nacek versucht, diese im Rahmen einer Dienstbesprechung informell davon zu überzeu­gen, dass eine Festnahme nicht zulässig sei. Da sich die StA Wien widersetzte, wurde schließlich eine Weisung gegeben. Mag ein restriktiver Umgang mit Zwangsmaßnahmen seitens der Strafverfolgungsbehörden als Handlungsmaxime grundsätzlich wünschens­wert sein, so wirkt diese Sonderbehandlung im Vergleich zu anderen Fällen, wie zum Beispiel dem "Tierschützerprozess", nicht gerade unauffällig (http://thuernlhof.at/die-spur-des-geldes.aspx).

Ebenso kam es im Zusammenhang mit Weinzierl zu einem anderen Kuriosum. So be­schimpfte Weinzierl einen ermittelnden Staatsanwalt sowie eine Richterin mehrfach auch medienöffentlich, weshalb gegen ihn wegen der Verwirklichung des Delikts der üb­len Nachrede gemäß § 111 StGB ermittelt wurde. Auch hier wurde ein anklage­reifes Faktum zuerst über Jahre liegen gelassen, um es später dann einzustellen (https://www.noen.at/in-ausland/in-justizministerium-meinl-akt-soll-vier-jahre-liegen-geblieben-sein-eisenstadt-oesterreich-kriminalitaet-und-justiz-politik-politische-bewe­gungen-oesterreich-151913506).

Siehe auch die dazu gestellte parlamentarische Anfrage: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVI/J/J_04084/index.shtml (System Pilnacek – das Liegenlassen von Ak­ten in der Causa Weinzierl).

6. Ein langes Verfahren ohne Ermittlungen gegen die WKStA selbst

Aufgrund mehrerer Anzeigen wurden von der Staatsanwaltschaft Korneuburg Ermitt­lungen gegen die Leiterin der WKStA Mag. Ilse-Maria Vrabl-Sanda und drei weitere Oberstaatsanwält_innen wegen des Verdachts des Amtsmissbrauchs im Zusammen­hang mit der Verfahrensführung der WKStA in der Causa BVT geführt.

Der mittlerweile offen ausgefochtene Disput zwischen Christian Pilnacek und der WKStA ist hinlänglich bekannt und bedarf an dieser Stelle keiner gesonderten Ausführung.

Während das Vorgehen der Staatsanwältin Schmudermayer in der BVT-Causa höchst kritisch zu sehen ist, ist hier ein Strafverfahren von der StA Korneuburg in besorgniser­regend schwammiger Art mit "Amtsmissbrauch im Zusammenhang mit dem Strafverfah­ren BVT" begründet worden, eine auf konkrete Umstände bezugnehmende Einleitungs­verständigung erfolgte trotz der eindeutigen Norm des § 50 StPO nicht, und die StA Korneuburg führte auch keine wirklichen Ermittlungen (lud keine/n einzige/n ZeugIn oder Beschuldigten). Erst nach der x-ten parlamentarischen Anfrage wurde bekannt gegeben, dass das Verfahren eingestellt wurde.

Christian Pilnacek, der nach § 29a StAG verpflichtet ist, die Berichte der Oberstaatsan­waltschaften zu prüfen und gegebenenfalls die erforderlichen Weisungen zu erteilen, unterließ es Monate lang, seiner kommunizierten Einschätzung, dass ein Strafverfahren ohne Anfangsverdacht eingeleitet wurde, Nachdruck zu verleihen und die entsprechen­den Weisungen zu erteilen. Das Resultat war, dass über lange Zeit hinweg gegen Mitar­beiter_innen in der WKStA bis hinauf zu Leiterin Vrabl-Sanda ermittelt wurde, obwohl seit langem klar war, dass dieses Ermittlungsverfahren im Sand verlaufen würde. Damit hing über der Behörde und insb. über den betroffenen Personen das ständige Damokles­schwert eines Strafverfahrens.

Siehe auch die dazu gestellte parlamentarische Anfrage: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/J/J_00833/index.shtml (Überlange Dauer des Ermittlungsverfahrens gegen die Leiterin der WKStA und drei OberstaatsanwältInnen iZm des Causa BVT).

7. "Seelsorge" in Causa Casinos hinter verschlossenen Türen des BMJ

In der Causa Casinos stehen im Fokus der Ermittlungen der WKStA neben ehemaligen hochrangigen Funktionsträgern der FPÖ auch aktive und ehemalige Spitzenpolitiker aus den Reihen der ÖVP. Die Causa „Postenbesetzung CASAG" ist nach vorliegenden In­formationen als Verschlusssache geführt, sodass strengste Vertraulichkeits- und Doku­mentationspflichten einzuhalten sind.

Während Christian Pilnacek der traditionellen Einladung von Raiffeisen zum Sauschä­delessen gefolgt sein soll - dies obwohl zu diesem Zeitpunkt bereits ein Verfahren gegen mehrere hochrangige Raiffaisen-Manager anhängig war- hat er am 28.01.2020 die zwei hochrangigen Raiffaisenmanager und Aufsichtsräte der CASAG, Dr. Rothensteiner und DI Pröll, zu einer Unterredung in seinem Büro empfangen, wobei mangels Teilnahme weiterer Mitarbeiter_innen des BMJ oder Einbindung der fallführenden Staatsanwalt­schaft unklar ist, was konkret besprochen wurde.

Als Gegenstand der Besprechung wurde auf unsere parlamentarische Anfrage hin sei­tens der Justizministerin "im Wesentlichen die Gefühlslage als Beschuldigter in einem Ermittlungsverfahren, die Auswertungsdauer elektronischer Geräte und die Durchfüh­rung und Dokumentation der Hausdurchsuchungen" genannt. Die angebliche Erörterung von Beschwerden über die bei den Beschuldigten durchgeführten Hausdurchsuchungen verwundert besonders, zumal die Beschuldigten von der Beschreitung des offiziellen Rechtsweges - ihnen wäre es frei gestanden, Beschwerde an das Oberlandesgericht zu erheben - abgesehen haben. Was daher in dieser Unterredung erörtert worden sein soll, was aber nicht Inhalt einer offiziellen Beschwerde sein konnte, ist unklar. Die Justizmi­nisterin war über das Treffen nicht informiert (https://kurier.at/politik/inland/casinos-cau­sa-zadic-ruegt-generalsekretaer-pilnacek/400744794).

Siehe auch die dazu gestellte parlamentarische Anfrage: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/J/J_00714/index.shtml (Nichtdokumentierte Treffen mit Verfahrens­beteiligten in der Casag Affäre durch Sektionschef Pilnacek).

8. Nächtliche E-Mails und Kampagnisieren gegen die eigene Behörde

Jüngst veröffentlichte das Nachrichtenmagazin „profil“ (Quelle: https://www.profil.at/wirt­schaft/affaere-pilnacek-naechtliche-emails-11478936) einen nächtlichen E-Mail-Verkehr zwischen Sektionschef Pilnacek und dem Leiter der Oberstaatsanwaltschaft Wien, Jo­hann Fuchs, über ein ZiB2-Interview (vom 6. Juni 2019) mit der Leiterin der WKStA Vrabl-Sanda im Kontext der so genannten Eurofighter-Dienstbesprechungsaffäre. Der Sektionschef schrieb in dieser Korrespondenz: „Ich denke, man muss jetzt aktive und breite Öffentlichkeitsarbeit betreiben und insgesamt die Leistungen der WKStA hinterfra­gen.“ Die Zeilen müssen als Auftakt zu einer intendierten Negativkampagne gegen die eigene Behörde verstanden werden.

Die E-Mails zeigen ein Bild von Realitätsverlust und Allmachtsfantasien, die davon zeu­gen, dass Christian Pilnacek offenbar jegliches Gespür, das seine Funktion erfordern würde, verloren hat.

Die Tatsache, dass Pilnacek diese für ihn belastenden Mails gelöscht hat, obwohl er wissen musste, dass parlamentarische Untersuchungsausschüsse folgen könnten, fügt sich nahtlos ein in das Faktum des völligen Nichtvorhandenseins von Mailkorresponden­zen zu anderen vom Ibiza-Untersuchungsausschuss behandelten Verfahren. Wie weit hier Einfluss auf Aktenlieferungen genommen wurde, lässt sich noch nicht abschließend beurteilen - das beinahe völlige Fehlen von Schriftverkehr zwischen Pilnacek und ande­ren Personen innerhalb oder außerhalb der Justiz in dieser Angelegenheit scheint je­denfalls auch auf Grund der hier geschilderten sonstigen Vorgehensweise samt man­nigfaltiger Interventionen geradezu lebensfremd.

Als bedenklich wird in dieser Hinsicht auch die Tatsache empfunden, dass die Angriffe auf die WKStA seitens Pilnacek und Bundeskanzler Kurz nahezu im Duett erfolgten.

9. Sonstige Auffälligkeiten, welchen durch parlamentarische Anfragen nachgegangen wurde (Auswahl)

https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/J/J_00710/index.shtml (Überlange Dau­er der Prüfung durch die Fachaufsicht)

https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/J/J_00721/index.shtml (Ergänzungsfrage Überlange Dauer der Prüfung durch die Fachaufsicht)

https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/J/J_01867/index.shtml (Folgeanfrage zur überlangen Dauer der fachaufsichtlichen Prüfung)

https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/J/J_01272/index.shtml (Ermittlungen in der Causa Vorstandsbesetzung in der CASAG – Verfahrensstand)

https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVI/J/J_04092/index.shtml (System Pilnacek – das Abdrehen des Verfahrens Chalet N in Lech am Arlberg)

https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/J/J_01335/index.shtml (Folgeanfrage zur Anfrage 4092/J vom 7.8.2019 (XXVI. GP) "System Pilnacek – das Abdrehen des Ver­fahrens Chalet N in Lech am Arlberg")

https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/J/J_01546/index.shtml (Folgeanfrage Ibi­za-Ermittlungen und die Causa Schellenbacher)

https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/J/J_01500/index.shtml (Absehen von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens in Zusammenhang mit leitenden Beamten des BM.I)

https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/J/J_01338/index.shtml (Ermittlungen we­gen mutmaßlichen Falschaussagen Michael Kloibmüllers vor dem BVT-Untersuchungs­ausschuss)

https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVI/J/J_03596/index.shtml (Vorwurf der Anstiftung zum Amtsmissbrauch durch Generalsekretär Pilnacek)

https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVI/J/J_04093/index.shtml (System PILNA­CEK – falsche Anfragebeantwortung zugunsten des vormaligen Generalsekretärs PIL­NACEK?)

III. Conclusio

Die Dienst- und Fachaufsicht im BMJ unter Leitung von Sektionschef Christian Pilnacek hat systembedingt unsachlichen Einfluss auf Strafverfahren. Seien diese aus politischen oder medialen Gründen, so sind sie jedenfalls als sachfremd zu bewerten und in einem Rechtsstaat absolut untragbar.

Pilnacek und seine Vertrauten sind ein wesentlicher Faktor für die vorherrschende Zweiklassen-Strafjustiz in bestimmten Verfahren. Einerseits sorgten sie dafür, dass erst gar nicht ermittelt wird (Verfahren werden nach § 35c StAG erledigt, was bedeutet, dass mangels „Anfangsverdachts“ kein Ermittlungsverfahren eingeleitet wird) oder durch so­genannte Empfehlungen, inoffizielle Weisungen oder auch durch psychischen Druck auf die ermittelnden Staatsanwält_innen dafür, dass die Verfahren eingestellt werden oder extrem lange dauern.

De facto ist Christian Pilnacek auch in alle wesentlichen Personalentscheidungen im Justizbereich involviert. Das wissen auch die Staatsanwält_innen. Will man in der Justiz Karriere machen, sollte man Pilnacek nicht negativ aufgefallen sein. Gegen seinen Wil­len konnte in den letzten zehn Jahren kaum jemand in der staatsanwaltschaftlichen Hie­rarchie aufsteigen. Fällt man negativ auf- wie zum Beispiel Eurofighter-StA Michael R., der eben nicht das getan hat, was Pilnacek wollte-, bekommt man heftigen Gegenwind. Neben persönlichen Diskreditierungen und Zwangsversetzungen reicht die Palette bis zu strafrechtlichen Ermittlungen mitsamt Durchführung von Zwangsmaßnahmen. Die ge­gen StA R. durchgeführten Rufdatenrückerfassungen, Standortabfragen etc. wurden vor kurzem vom Oberlandesgericht Wien für rechtswidrig erklärt.

Nicht alle Organisationseinheiten sind auf Linie des Sektionschefs. Eine davon ist die WKStA, bei der naturgemäß besonders brisante Verfahren bearbeitet werden und die ihn offenbar besonders interessieren. Eine subtile Einwirkung auf den Gang eines Straf­verfahrens, wie es sonst immer wieder vorkommt, ist dort nicht oder kaum möglich. Eine offizielle Weisung, die vom Weisungsrat geprüft wird und dem Parlament zu berichten ist, wird naturgemäß so weit als möglich vermieden. Von daher resultiert der mittlerweile öffentlich ausgebrochene Kampf zwischen Pilnacek und der WKStA, in welchem dieser versucht, die WKStA wo es geht anzugreifen und medial in Verruf zu bringen. Solche Angriffe gab es im Rahmen des Eurofighter-Verfahrens und auch vor kurzem im Zuge der CASAG-Causa. Dort griff Pilnacek die WKStA an, stellte sich vor die SOKO "Ibiza" im Innenministerium (eigentlich SOKO "Tape") und traf sich währenddessen mit füh­renden Personen aus den Reihen der ÖVP, welche zugleich als Beschuldigte in diesem Verfahren geführt werden.

Einzelne Personen versuchen sich immer wieder gegen das bestehende System zu wehren, doch bleibt es aufgrund der Umstände meist bei Anzeigen, welche nach § 35c StAG erledigt werden. Wird Pilnacek angezeigt, lässt sich in der Vorgangsweise der Strafverfolgungsbehörden ein Muster erkennen. Nach grundsätzlicher Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft Wien erklärt diese sich für unzuständig, womit die Generalprokuratur am Zug ist. Diese weist die Anzeige an die StA Linz weiter, welche daraufhin die Anzeige gemäß § 35c StAG erledigt. Selbst fundierte Anzeigen, werden somit rasch "erledigt" oder - nach dem von Christian Pilnacek präferierten Terminus "daschlogn".

Die Vorkommnisse rund um die Person des Sektionschefs Christian Pilnacek zeichnen ein verheerendes Bild. In Österreich hat sich bei Strafverfahren über die letzten Jahre hinweg ein System der Zweiklassenjustiz verfestigt, welches zwischen dem gemeinen Volk und einigen wenigen - auch strafrechtlich - privilegierten Personen unterscheidet. Mag der menschlichen Natur auch eine gewisse Prädisposition für die Einrichtung eines solchen Systems des "Beschützens der eigenen Sippe" innewohnen, so steht dem das Recht als Manifest gesellschaftlicher Weiterentwicklung und Abkehr vom Primitiven entgegen. Folglich orientieren sich die höchsten Rechtsgrundsätze der Republik - völker- und europarechtlich auch darüber hinaus - an der Maxime der Gleichheit aller vor dem Gesetz. So legt Art 7 B-VG eindeutig fest: Alle Staatsbürger sind vor dem Gesetz gleich. Ein System, welches einige Wenige der Strafverfolgung entzieht oder diese gegenüber anderen Personen ungebührlich bevorteilt, verträgt sich mit keiner demokratischen Rechtsordnung.

Demokratische Gesellschaften basieren auf einer Art synallagmatischen Verhältnis zwischen Bürger_innen und Staat. Die Bürger_innen verzichten auf die ihnen von Natur aus zukommende Möglichkeit, Gewalt zu üben und übertragen das Recht zur Gewalt­ausübung exklusiv dem Staat, welcher das Gewaltmonopol innehält und in modernen demokratischen Gesellschaften durch die Exekutivgewalt ihren Ausdruck findet. Im Ge­genzug für diese Übertragung garantiert der Staat, sich dem Willen des Volkes zu unterwerfen und lediglich nach jenen Maßgaben zu handeln, die ihm das Volk in Form von Gesetzen vorgibt. Die Basis jenes Tauschgeschäfts ist das Vertrauen des Volks. Erodiert dieses Vertrauen, erodiert auch der Gesellschaftsvertrag und mit ihm das Ge­waltmonopol des Staates.

Durch die Ereignisse rund um Christian Pilnacek und seine enges Umfeld von Vertrauten wurde das grundsätzlich hohe Ansehen der Strafjustiz in der Öffentlichkeit erschüttert und das interne Gefüge der Strafverfolgungsbehörden massiv belastet.

Nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung kann in keinem Rechtsbereich geduldet werden. Im Bereich der Strafjustiz richtet eine solche im staatlichen Gefüge jedoch den größten Schaden an.

Christian Pilnacek ist als Spitze eines Systems der Ungleichbehandlung sowohl aus rechtlichen als auch aus staatspolitischen Gründen untragbar geworden. Amtierende Justizminister_innen müssen sich auf die absolute Loyalität ihrer Beamt_innen verlassen können, welche ausschließlich den Gesetzen und den gesetzmäßigen Behörden - folglich der Republik - zu gelten hat. Gerade im Kernbereich staatlichen Handelns darf diese Maxime nicht zu einer leeren Floskel verkommen, manifestiert sich doch darin die Grundfeste einer jeden demokratischen Ordnung.

Es ist ein wichtiger erster Schritt, dass die Justizministerin Christian Pilnacek nicht als Sektionschef wiederbestellen will. Damit ist aber nur der Kopf eines Systems entfernt, dass gut etabliert ist und der Unabhängigkeit der Justiz entgegenarbeitet.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

"Die Justizministerin wird aufgefordert,

1.         die Stelle des Sektionschefs/der Sektionschefin der überaus sensiblen mit Ein­zelstrafsachen befassten Sektion neu auszuschreiben und diese Funktion einer geeigneten Person zu überantworten, die es vermag, diese Position mit dem not­wendigen Amtsverständnis der Unparteilichkeit im Sinne der Rechtsstaatlichkeit korrekt auszuüben.

2.         das System der berichtspflichtigen Verfahren zu evaluieren und dem Nationalrat einen Gesetzesentwurf für eine umfassende Reform zuzuleiten, mit dem die Un­abhängigkeit der staatsanwaltschaftlichen Behörden nachhaltig gestärkt und vor unsachlicher Einflussnahme geschützt wird."

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Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Fürlinger. – Bitte.