17.11

Abgeordneter Mag. Jörg Leichtfried (SPÖ): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Ge­schätzte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Kollege, Sie haben das Wort „zeitnah“ verwendet. Ich darf vielleicht eine zeitnahe Reaktion der Bun­desregierung zu Beginn schildern: Am 30.1.2020 hat die WHO den Gesundheitsnotstand verkündet. Am 28.2., also einen Monat später, wurde die erste Coronataskforce in Öster­reich gegründet. – Jo, zeitnah, eh kloar, net? (Beifall bei der SPÖ.)

Herr Bundesminister, ich möchte Ihnen, wenn schon die Komplimente durch die Gegend fliegen, auch ein Kompliment machen, nämlich für die Dauer der Beantwortung – über den Inhalt kann man diskutieren, aber an der Dauer der Beantwortung könnten sich Ihre Kolleginnen und Kollegen einmal ein Beispiel nehmen. Das war schon etwas, das man nicht so oft hört.

Aber kommen wir zum Inhalt, und da möchte ich Ihnen nur eine Frage stellen, Herr Bun­desminister, nämlich die ganz einfache Frage: Was ist da passiert?

Ich lese Ihnen ganz kurz aus einem Bericht der „Kleinen Zeitung“ vor: „Die Leute sind wie verrückt abgereist. In Sportgeschäften haben sie die Skier einfach hingeschmis­sen“ – das wird schön gescheppert haben, nehme ich an – „und sind gegangen. Ein Wirt, dessen Gasthausterrasse wegen des schönen Wetters“ berstend „voll mit Gästen war, ging gegen 14:00 Uhr in den Keller, um ein Fass Bier anzuschlagen. Als er zurückkam, war die Terrasse leer. Es war Chaos. Auch die Polizei hat nicht gewusst, was zu tun ist.“

Das sind – bei allen schönen Erklärungen – die Fakten, mit denen die Menschen kon­frontiert wurden. Und ich kann Ihnen die Frage sogar beantworten, um Ihnen jetzt zu ersparen, dass Sie das selbst tun: Ich glaube, Sie haben ein einziges großes Problem in dieser Situation gehabt und wahrscheinlich insgesamt, und dieses Problem heißt Sebas­tian Kurz. Das ist das Problem, das Sie bei vernünftiger Pandemiebewältigung haben, Herr Bundesminister! (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Wurm: Aber das wird er nicht los!)

Ich habe Herrn Kaniak sehr interessiert zugehört, er hat mit einer Lust am Detail ge­schildert, was an diesem Tag geschehen ist, wie das mit den Pressekonferenzen abge­laufen ist und was da überhaupt passiert ist, und man hat da den Eindruck, dass es dem Herrn Bundeskanzler nicht um Sachpolitik gegangen ist, als er mit seiner Pressekonfe­renz vorgeprescht ist, dass es ihm nicht um die beste Lösung gegangen ist und dass es ihm schon gar nicht um die Menschen im Paznauntal gegangen ist. (Zwischenruf bei der ÖVP.) Nein, er möchte einfach als Erster die Pressekonferenz abhalten, das war die Idee dahinter. (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Geschätzte Damen und Herren, das sieht man ja auch im System: Wer hat denn die Entscheidungen, die Entscheidungsgewalt in den Ministerien und im Bundeskanzleramt übernommen? – Es sind nicht mehr die hoch qualifizierten Beamten, es sind nicht mehr die Diplomingenieure, es sind nicht mehr die Juristen, die Verfassungsjuristen, sondern es sind die Public-Relations-Consultants, es sind die McKinseys dieser Welt – und das ist die falsche Entwicklung. Was ist dann, wenn es so ist? – Dann haben wir verfas­sungswidrige Gesetze, dann haben wir gesetzwidrige Verordnungen und dann haben wir Strafen, die nicht rechtmäßig sind. Niemand kennt sich mehr aus, keiner vertraut mehr auf das, was gilt, und das ist das Problem, das Sie haben, Herr Anschober, und das müssen Sie irgendwie in den Griff bekommen. (Beifall bei der SPÖ.)

Ich habe Respekt – wie wahrscheinlich die meisten hier – vor dem Rechtsstaat. Das Legalitätsprinzip regelt, wer in solch einer Krise zuständig ist – wer zuständig ist, die Maßnahmen einzuleiten, wer zuständig ist, die Entscheidungen zu treffen, und das ist eben nicht Sebastian Kurz mit seinen unzähligen Beratern, der sich immer wieder vor­drängt und immer wieder vorkommen möchte (Abg. Gabriela Schwarz: ... ist schon Bun­deskanzler!), sondern das sind Sie, Herr Bundesminister, das sind in diesem Fall Sie! Es geht um das Legalitätsprinzip, und es gibt eindeutige Regelungen, wer da zuständig ist, Frau Kollegin.

Deshalb sage ich Ihnen eines: Sie hätten gewarnt sein müssen, denn als all das passiert ist, war klar, dass es einigen in der Bundesregierung egal ist, was den Menschen im Paznauntal passiert (Abg. Gabriela Schwarz: Das ist ungeheuerlich! – Abg. Otten­schläger: Unglaublich!), und dass es einigen egal zu sein scheint, dass der Effekt des­sen, was passiert ist – ja, und das ist unglaublich, Herr Kollege, da haben Sie recht (Bei­fall bei der SPÖ – Abg. Ottenschläger: Ihre Aussage ist unglaublich!) –, dass der Effekt dessen, was passiert ist, ist, dass Österreich der erste Superspreader in Europa war und Zehntausende Menschen in ganz Europa angesteckt wurden. Das ist das Unglaubliche! Dafür können Sie sich genieren, das sage ich Ihnen auch ganz deutlich. (Beifall bei der SPÖ.)

Verantwortung heißt – jetzt für die Zukunft, um daraus zu lernen –, dass man mit Kom­petenz, mit den zuständigen Organen und mit großer Vorsicht vorgeht, dass man insbe­sondere immer abwägt, welche Grund- und Freiheitsrechte man einschränken kann und welche man nicht einschränken darf und – Herr Bundesminister, ich möchte mich dafür entschuldigen, dass ich das so drastisch sage, aber Sie haben diesen Ausdruck ver­wendet, Sie haben gemeint, die Menschen müssen sich ein bisserl zusammenreißen; ich würde das dann so sagen –: Die Bundesregierung muss sich jetzt bald einmal ein bisserl zusammenreißen. – Herzlichen Dank, geschätzte Damen und Herren! (Beifall bei der SPÖ.)

17.17

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Wurm. – Bitte.