14.59

Abgeordneter Mag. Jörg Leichtfried (SPÖ): Herr Präsident! Geschätzte Mitglieder der Bundesregierung! Kolleginnen und Kollegen! Geschätzte Damen und Herren! 13 Monate Karl Nehammer als Innenminister, 13 Monate Skandale, 13 Monate Behördenversagen, Härteentscheidungen gegen Kinder, Eingriff in hart erworbene Grundrechte – das ist die Kurzzusammenfassung im wahrsten Sinne des Wortes.

Herr Bundesminister, so geht es nicht weiter! Herr Bundesminister, es ist an der Zeit, dass Sie gehen! Da Sie das nicht von selbst tun, werden wir heute einen entsprechenden Antrag einbringen, damit es geschieht! (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der FPÖ.)

Herr Bundesminister, Sie haben es zu verantworten – und das ist eine ganz schwere Verantwortung, das sage ich Ihnen –, dass Kinder, die in Österreich geboren wurden, die in Österreich aufgewachsen sind, die in Österreich ihr soziales Umfeld haben und in Österreich in die Schule gegangen sind, in den frühen Morgenstunden kompromisslos abgeschoben wurden. Sie haben es zu verantworten, dass Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer, die diesen Kindern helfen wollten, von der  und von Hun­destaffeln weggebracht wurden. Junge Menschen, Kinder, die in ihrem Leben nie etwas verbrochen haben, sind plötzlich mit der Polizei konfrontiert worden. Sie müssen plötzlich erleben, dass all das, woran sie glauben, was sie für gut halten, was sie für richtig halten, in diesem Land verloren geht. Das ist etwas, was ich keinem Kind wünsche!

Ich frage mich, Herr Nehammer: Warum haben Sie das so gemacht? Ist Ihnen das Schicksal dieser Kinder so egal? – Ich denke, das lässt sich ganz einfach beantworten, wenn man verfolgt, was diese Bundesregierung eigentlich immer gemacht hat, wenn es für sie schwierig geworden ist, wenn es für Herrn Kurz schwierig geworden ist: Sie haben irgendetwas gesucht, eine Aktion, um von den Fehlern dieser Bundesregierung in der Covid-Krise abzulenken. Sie haben versucht, auf dem Rücken von Kindern Parteipolitik zu machen, Herr Nehammer, und das ist etwas, was wir zutiefst ablehnen! (Beifall bei der SPÖ.)

Genauso haben Sie bei anderen Kindern entschieden, nämlich bei den Kindern – und nicht nur bei jenen –, die derzeit noch immer in Lesbos im Dreck vegetieren. Anstatt diesen Kindern eine Zukunft zu bieten, haben Sie wieder einmal Show gemacht. Sie haben Hilfsgüter mit einer Hercules-Maschine hingeflogen, haben sich fotografieren lassen, das Problem ist aber: Diese Hilfsgüter sind immer noch nicht bei den Kindern angekommen! Die Fotos sind da, die Hilfsgüter aber sind nicht dort! – Das ist auch eine Politik, die abzulehnen ist, Herr Nehammer. (Beifall bei der SPÖ.)

Vor einiger Zeit wurde die ÖVP leider auf die Versammlungsfreiheit aufmerksam – ich kann es nicht anders beschreiben. – Wissen Sie, geschätzte Kolleginnen und Kollegen von der ÖVP, Herr Nehammer, dass diese Versammlungsfreiheit eines der am härtesten erkämpften Grundrechte in unserem Land ist, die massiv abgesichert sind, für die Menschen gestorben sind, für die Menschen ermordet wurden, weil sie sich für diese Versammlungsfreiheit eingesetzt haben?

Ja, ich bin der Meinung, Demonstrationen müssen auch in Pandemiezeiten stattfinden können. Es ist Aufgabe der Behörden – am Ende des Innenministers –, die Bedingungen festzulegen, damit sie stattfinden können, und auch dafür geradezustehen, dass diese Bedingungen eingehalten werden.

Wir hätten uns dieses Chaos vom letzten Sonntag erspart, geschätzte Damen und Herren, wenn es da einen vernünftigen Umgang gegeben hätte, wenn vernünftige Amts­handlun­gen gesetzt worden wären. Herr Bundesminister, es ist halt das geschehen, was bei dieser Bundesregierung immer geschieht: Das Land wird gespalten. Es gibt jene, die gegen einen sind, und jene, die für einen sind. Sie sind keine Regierung, die zusam­menführt, Sie sind eine Regierung, die spaltet, und, Herr Bundesminister, mit den Maß­nahmen, die Sie getroffen haben, haben Sie das Ihre dazu beigetragen. So geht es sicher nicht weiter, Herr Bundesminister! (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der NEOS.)

Geschätzte Kolleginnen und Kollegen, wir geben Ihnen heute die Gelegenheit, zumin­dest einen Fehler, der begangen wurde, wiedergutzumachen, und ich appelliere wirklich an Sie, da mit uns zu gehen und mit uns zu stimmen. Wir werden einen Antrag einbrin­gen, der schon im Wiener Gemeinderat beschlossen wurde – mit einer großen Mehrheit, auch eine Regierungspartei der Bundesregierung hat mitgestimmt. Es geht darum, die Bundesregierung aufzufordern, sich zum humanitären Bleiberecht zu bekennen und diese Kinder zurückzuholen. Da kann man doch nicht dagegen sein!

Ich bringe daher folgenden Antrag ein:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Mag. Jörg Leichtfried, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Berück­sich­tigung der Länder und Gemeinden bei Entscheidungen über das humanitäre Bleibe­recht“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, sich zum humanitären Bleiberecht zu bekennen und diese grausamen Abschiebungen zurückzunehmen. Gerade auch – aber nicht nur – in einer Zeit der Pandemie mit einer hohen psychischen Grundbelastung für Kinder und Jugendliche stellen diese nächtlichen Abschiebungen einen extremen Härtefall dar, denn die besonders gut integrierten und schutzbedürftigen Personen werden einem hohen psychischen und physischen Gesundheitsrisiko ausgesetzt. Darüber hinaus wird die Bun­desregierung aufgefordert, die betroffenen Länder bzw. Gemeinden im Verfah­ren über die Gewährung von humanitärem Bleiberecht von den Bundesbehörden ver­pflich­tend anzu­hören, um die lokalen Gegebenheiten in der Entscheidung berücksich­tigen zu können.“

*****

Zum Schluss, geschätzte Damen und Herren: In einer Demokratie ist das Recht auf freie Meinungsäußerung ein hohes Gut, und ich bin froh, wenn sich Menschen frei äußern und auch diese Bundesregierung – auch Sie, Herr Bundesminister – kritisieren. Auch Ihr Koalitionspartner hat das gemacht.

Wir Abgeordneten aber haben noch ein zusätzliches Privileg: Wir können nicht nur unsere Meinung äußern, wir können auch zu dieser Meinung stehen und für diese Meinung aufstehen. Ich bin neugierig, wer heute für seine Meinung aufsteht und wer mutlos sitzen bleibt. – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ sowie bei Abgeordneten von FPÖ und NEOS.)

15.05

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Mag. Jörg Leichtfried, Ing. Reinhold Einwallner, Sabine Schatz, Ge­nossinnen und Genossen

betreffend Berücksichtigung der Länder und Gemeinden bei Entscheidungen über das humanitäre Bleiberecht

eingebracht im Zuge der Debatte über die Dringliche Anfrage betreffend „Für die Freiheit - gegen Zwang, Willkür und Rechtsbruch“

Die gegenständliche Dringliche Anfrage befasst sich mit Grundrechten, insbesondere dem Thema Versammlungsrecht, und dem Umgang von Innenminister Nehammer da­mit. Entscheidungen im Bereich von Grundrechten und insbesondere deren Abwägun­gen sind sensible Entscheidungen und erfordern hohes rechtliches Bewusstsein. Beides sind Herausforderungen, denen Innenminister Karl Nehammer nicht gewachsen ist. Abschiebungen von vulnerablen Personen – also insbesondere von Kindern – führen zu Spaltungen in der Gesellschaft. Teile der Zivilgesellschaft lehnen Abschiebungen vulne­rabler Personen aus menschenrechtlichen und humanitären Überlegungen ab. Dies führt dazu, dass es im Umfeld solcher Abschiebungen zu Versammlungen gegen diese Maßnahmen kommt. So passierte das auch bei den aktuellen Abschiebungen von Kindern in den letzten Tagen. Sowohl in Wien, wie auch in Innsbruck kam es zu Ver­sammlungen gegen diese Abschiebungen, die von der Polizei mit extremer Härte beantwortet wurden. Gegen demonstrierende Schülerinnen und Schüler wurde die WEGA und eine Hundestaffel eingesetzt. Sitzblockaden wurden unter Einsatz von Gewalt aufgelöst. Es wäre daher notwendig, die Zivilgesellschaft oder Vertreter dersel­ben in solche Entscheidungen einzubinden, um Versammlungen und Gewalt gegen De­monstrierende zu verhindern oder unnotwendig zu machen. Dieser Antrag will daher einerseits das humanitäre Bleiberecht stärken und fordert andererseits die Einbindung der betroffenen Länder bzw. Gemeinden in welchen die abzuschiebenden Personen lebten, in diese sensiblen Abschiebungsentscheidungen.

Im konkreten: In der Nacht von 27. auf 28. Jänner 2021 wurden diversen Medien­berichten zufolge drei Wiener Schülerinnen und Familienangehörige nach Georgien bzw. Armenien abgeschoben.

Die betroffenen Kinder sind nicht nur in Wien aufgewachsen, sie wurden auch in Wien geboren, sprechen fließend Deutsch und sind bestens integriert. Vergangene Woche durften sie noch Wiener Bildungseinrichtungen besuchen und über Nacht wurden sie in Länder abgeschoben, die sie bestenfalls aus Urlaubsreisen kennen. Wie gut diese Kin­der integriert sind, wird durch das intensive Bemühen ihrer LehrerInnen und MitschülerIn­nen belegt, die eine Abschiebung der Kinder zu verhindern versuchten und sogar eine entsprechende Petition eingebracht hatten.

Darüber hinaus ist es für die Gewährleistung im Umgang mit derartigen Härtefällen unabdingbar, ein effektives System zu etablieren. Dazu braucht es eine Einbindung der lokalen Behörden im Entscheidungsprozess. Die betroffenen Länder bzw. Gemeinden sollen im Verfahren über die Gewährung von humanitärem Bleiberecht von den Bundes­behörden verpflichtend angehört werden, damit die lokalen Gegebenheiten in der Ent­scheidung berücksichtigt werden können. Denn die Behörden bzw. Verantwortungs­trägerInnen vor Ort können die spezifische Situation viel besser beurteilen, insbesondere wie gut jemand in Gesellschaft und Arbeitsmarkt integriert ist.

Es geht darum, einen wirksamen Modus zur Einzelfallkorrektur zu finden, um uner­träg­liche Härten, etwa bei der Abschiebung von gut integrierten Familien mit Kindern oder von gut integrierten Personen mit engen familiären Bindungen zu Österreich zu vermei­den. So können die in der Rechtsordnung vorgesehenen humanitären Erwägun­gen und menschenrechtlichen Garantien auch in der Behördenpraxis verwirklicht wer­den.

Im Mittagsjournal am 28. Jänner 2021 hat der renommierte Verfassungsexperte Univ.-Prof. Dr. Peter Bußjäger angesprochen, dass eine Abschiebung von Kindern in Staaten, deren Muttersprache sie nicht beherrschen, in Hinblick auf die in Österreich garantierten Kinderrechte rechtlich fragwürdig sei. Der Fall hat also klar aufgezeigt, dass das humanitäre Bleiberecht zu überarbeiten ist und dabei auch eine Bestimmung aufge­nommen werden soll, wonach die Länder bzw. Gemeinden, in welchen diese Kinder leben, bei der Beurteilung des humanitären Bleiberechts anzuhören sind.

Die unterzeichneten Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

Die Bundesregierung wird aufgefordert, sich zum humanitären Bleiberecht zu bekennen und diese grausamen Abschiebungen zurückzunehmen. Gerade auch – aber nicht nur - in einer Zeit der Pandemie mit einer hohen psychischen Grundbelastung für Kinder und Jugendliche stellen diese nächtlichen Abschiebungen einen extremen Härtefall dar, denn die besonders gut integrierten und schutzbedürftigen Personen werden einem hohen psychischen und physischen Gesundheitsrisiko ausgesetzt. Darüber hinaus wird die Bundesregierung aufgefordert, die betroffenen Länder bzw. Gemeinden im Ver­fahren über die Gewährung von humanitärem Bleiberecht von den Bundesbehörden verpflichtend anzuhören, um die lokalen Gegebenheiten in der Entscheidung berück­sichtigen zu können.

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Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Der Entschließungsantrag ist ordnungsgemäß eingebracht, ausreichend unterstützt und steht somit mit in Verhandlung.

Zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Bürstmayr. – Bitte.