10.00

Abgeordneter Mag. Jörg Leichtfried (SPÖ): Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! (Abg. Kickl: Auch nicht die hellste Kerze auf der Torte!) Es ist an diesem Morgen eine meiner Meinung nach schier merkwürdige Dis­kussion. Ich muss jetzt – schon seit Langem war das, glaube ich, nicht der Fall – einmal teilweise Herrn Klubobmann Wöginger recht geben: Ja, impfen, impfen, impfen, das ist es, das ist wichtig, das muss geschehen! Das Problem ist aber – und da gebe ich ihm nicht mehr recht und das kreide ich an, Herr Bundeskanzler; gehen Sie einmal hinaus, reden Sie mit den Menschen! –: Es gibt keine Impfungen, es gibt keine Impftermine, es gibt nur unglaublich viele Menschen, die sich impfen lassen wollen – und daran ist nicht irgendjemand anderer schuld, das ist die Schuld unserer Bundesregierung und des Chefimpfers, des Bundeskanzlers, geschätzte Damen und Herren! Das ist die Situation, wie sie ist. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der NEOS.)

Es hat, um diesen Umstand herbeizuführen, zwei Kardinalfehler gegeben, die passiert sind; die sind inzwischen offensichtlich: Es war diese 200-Millionen-Euro-Obergrenze (Rufe bei der ÖVP: Das stimmt ja nicht!), die festgelegt wurde, die Sie leugnen und die zweimal in den Protokollen des Ministerrats nachgelesen werden kann (Zwischenrufe des Abg. Melchior), und zwar am 29. Juli, Protokoll Ministerrat: Blümel legt 200-Millio­nen-Euro-Obergrenze fest; am 15. September: Blümel insistiert auf Obergrenze. Wir haben außerdem E-Mails, in denen das Gesundheitsministerium darauf drängt, dass diese Grenze höher ist, und die ÖVP es verweigert hat, geschätzte Damen und Herren. (Abg. Melchior: Das stimmt nicht! – Ruf bei der SPÖ: Wahnsinn!)

Aus dieser Situation heraus ist ja vollkommen klar: Es waren nicht Beamte schuld, die zu wenig bestellt haben  nein, die haben genau das bestellt, was sie bestellen durften, und keinen Cent mehr. (Ruf bei der ÖVP: Das stimmt nicht!) Es war die Bundesre­gierung, und es war der türkise Teil der Bundesregierung schuld, geschätzte Damen und Herren! (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenruf des Abg. Wöginger.)

Und das ist das Ergebnis (ein Schild mit mehreren Säulendiagrammen und der Über­schrift „Kurz: 7 Mio. Impfdosen zuwenig bestellt“ auf das Rednerpult stellend): sieben Millionen Impfdosen zu wenig bestellt; die sind zufällig in Türkis eingefärbt, diese sieben Millionen zu wenig, geschätzte Damen und Herren. Das haben Sie, Herr Bundeskanzler, zu verantworten. Mit diesen sieben Millionen hätten wir genug Impfstoff gehabt. Geiz ist nicht geil, Geiz macht krank! – So schaut es aus. (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Es ist ja offensichtlich, dass das passiert ist. Die neue Taktik ist jetzt: Wir wissen von nichts! (Zwischenruf der Abg. Steinacker.) Dabei war das Impfen neun Mal Thema im Ministerrat. (Abg. Wöginger: ... muss ja dabei gewesen sein, na!) Die geheime Steue­rungsgruppe Impfen, bei der der Kabinettschef des Bundeskanzlers dabei war (Zwi­schenruf bei der ÖVP), hat in dieser Zeit 30 Mal getagt.

Dann ist der zweite Fehler passiert, von dem in der öffentlichen Darstellung wieder nie­mand etwas wusste. Ab Jänner war klar, dass es Impfstoffe gibt und dass die nachbe­stellt hätten werden können. Der Gesundheitsminister hat am 9. Jänner im Ministerrat darüber informiert, dass es die Möglichkeit gibt, Impfstoffe bei der EU nachzubestellen, auf der Homepage der Europäischen Union ist es veröffentlicht gewesen, im Jänner ist es im „Spiegel“ gestanden, und schließlich hat am 19. Februar Herr Auer, der Beamte, dann auch in der „Presse“ im Interview gemeint, man könnte etwas nachbestellen.

Was ist geschehen, Herr Bundeskanzler? – Nichts ist geschehen, nichts wurde nachbe­stellt, es wurde zu wenig bestellt, deshalb: Erzählen Sie uns nicht etwas von impfen, impfen, impfen, sondern geben Sie zu, dass da Fehler passiert sind und dass Sie versu­chen, diese Fehler irgendwie wiedergutzumachen! (Beifall bei der SPÖ.)

Das wäre eine Herangehensweise, und nicht das, was Sie eigentlich machen, Herr Bun­deskanzler, nämlich abzulenken und Schuldige zu suchen. Es sind immer alle anderen schuld, das ist das Muster, nur Sie selbst nicht. Vorletzte Woche war es die EU, letzte Woche waren es österreichische BeamtInnen, diese Woche war es die Geheimgroß­macht Malta – muss wirklich sehr geheim sein, dass Malta eine Großmacht ist –, nächste Woche ist es jemand anderer. Das Tragische ist, dass das nicht nur nichts hilft, sondern dass Sie uns auch bei den europäischen Staats- und Regierungschefs zur Lachnummer gemacht haben. (Zwischenruf des Abg. Wöginger.)

Nicht nur bei jenen aber die „New York Times“ schreibt: Es ist nichts gefunden worden, was die Anschuldigungen von Kurz rechtfertigt. Die „Financial Times“ schreibt: Nach den Ausritten von Kurz sieht es für Österreich nicht gut aus. Ähnlich äußern sich zahlreiche DiplomatInnen, Europastaatssekretäre; und der Gesundheitssprecher der Europäischen Volkspartei sagt: „Sebastian Kurz tritt völlig unzulässigerweise als Ankläger auf, er ist“ nur „ein Bittsteller“ bei der Europäischen Union.

Herr Kurz, Sie haben ein veritables gesundheitspolitisches, wirtschaftspolitisches und sozialpolitisches Fiasko in Österreich angerichtet. Die Frage ist: Wie geht es weiter? – Das weiß keiner. Das weiß leider deswegen keiner, weil Ihnen etwas fehlt, was die Vor­sitzende der österreichischen Sozialdemokratie in dieser Krise prägt: eine Vorstellung, eine Idee, wie man aus dieser Krise kommt. Auf Lobbys zu hören ist dafür zu wenig, Herr Kurz. – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ.)

10.06

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Hafenecker. – Bitte.