Die Antragsteller brachten hierzu begründend unter anderem vor, dass die Teilnahme an Plenardebatten von der Tribüne aus nur in sehr eingeschränktem Ausmaß möglich sei. So sei insbesondere die Stimmung im Saal nicht wahrnehmbar, Zwischenrufe seien nicht zuordenbar und eine unmittelbare Kommunikation mit Abgeordneten abseits der Tribüne sei nicht möglich. Auch die technische Ausstattung auf der Tribüne sei nicht mit jener auf der Plenarsaalebene vergleichbar (kein Mikrofon, keine Tische, keine Anzeige der restlichen Redezeit, kein Wasserspender etc.). Des Weiteren bestehe kein Zugang zu den Medienvertreter:innen auf der Plenarsaalebene. Zudem würden die betroffenen Abgeordneten mit sensiblen Gesundheitsdaten bloßgestellt und in einer diskriminierenden Position exponiert.
Im Fall des Nichterlasses der einstweiligen Anordnung wären die Antragsteller – voraussichtlich für einen Großteil der Legislaturperiode – gehindert, ihre verfassungsmäßigen Abgeordnetenrechte wahrzunehmen. Der zu verhindernde schwere Nachteil liege darüber hinaus darin, dass aufgrund des mit der Allgemeinverfügung angestrebten Konzeptwechsels hin zu einem „Zweiklassensystem“, eine „unmittelbare Bedrohung der Verfassungsordnung des Bundes“ bestehe.
Ebenso in diesem Verfahren folgte das BVerfG der Argumentation der Antragsteller nicht:
Von einem Konzeptwechsel durch die Einschränkung des Minderheitenschutzes könne insbesondere schon deshalb nicht die Rede sein, weil die Maßnahmen alle Abgeordneten gleichermaßen treffen. Es finde keine Differenzierung nach parlamentarischer Mehrheit oder Minderheit statt. Zudem sei zu berücksichtigen, dass die Allgemeinverfügung nur für wenige Wochen gelte, was gegen die Annahme eines Konzeptwechsels spreche.
Auch sonst würde die behauptete Beeinträchtigung der Mitwirkungsmöglichkeiten an Plenardebatten und Ausschusssitzungen die vorläufige Aussetzung der Allgemeinverfügung nicht erforderlich machen: So folge aus der Möglichkeit für nicht geimpfte bzw. nicht genesene Abgeordnete, an Plenarsitzungen von der Tribüne aus teilzunehmen, für sich genommen kein schwerwiegender Nachteil im Sinn eines vollständigen Sitzungsausschlusses. Auch aus den geänderten äußeren Umständen der Mitwirkung an Plenarsitzungen allein ergebe sich keine Notwendigkeit der vorübergehenden Außerkraftsetzung der Allgemeinverfügung. Zwar würden die Rahmenbedingungen für die Möglichkeit zur Wahrnehmung parlamentarischer Beteiligungsrechte im Vergleich zur Plenarsaalebene modifiziert, im wesentlichen Umfang blieben diese aber erhalten. Insbesondere könnten die betroffenen Abgeordneten unverändert von ihrem Rede-, Stimm- und Antragsrecht Gebrauch machen. Die gerügte mangelhafte technische Ausstattung (kein Mikrofon etc.) sei zum einen teilweise faktisch unzutreffend, zum anderen hätte hier zwischenzeitlich eine weitestgehende Angleichung an die Bedingungen im Plenarsitzungssaal stattgefunden. Darüber hinaus führte das BVerG ins Treffen, dass der überwiegende Teil der Abgeordneten der AfD geimpft oder genesen ist und daher gänzlich ungehindert an Plenarsitzungen teilnehmen könne.
Ebenso begründe die fehlende Möglichkeit, von der Tribüne aus „Gemurmel, Raunen oder die ganze Stimmung im Saal aufzunehmen“ und mit allen Abgeordneten uneingeschränkt zu kommunizieren, keine Notwendigkeit des Erlasses einer einstweiligen Anordnung. Ob daraus eine Verletzung der verfassungsrechtlichen Abgeordnetenrechte resultiere, sei im Hauptsacheverfahren zu klären.
Zuletzt hätten die Antragsteller nicht dargelegt, inwiefern die mit der Platzierung auf der Tribüne verbundene Preisgabe sensibler Gesundheitsdaten zu einer Beeinträchtigung der parlamentarischen Abgeordnetenrechte führen solle. Auch die Behauptung, die Antragsteller würden durch die Maßnahme diskriminiert, sei vor dem Hintergrund der generellen Anwendbarkeit der Allgemeinverfügung auf alle Mitglieder des BT nicht haltbar.
Hinsichtlich der Teilnahme an Ausschusssitzungen verwies das BVerfG inhaltlich auf die Ausführungen zu den Mitwirkungsmöglichkeiten in Plenarsitzungen. Hier sei zudem aufgrund der Möglichkeit für ungetestete Abgeordnete, im Wege elektronischer Kommunikationsmittel an Sitzungen teilzunehmen, überhaupt kein Ausschluss von der Ausschussarbeit gegeben.
Das BVerfG kam somit auch in diesem Verfahren zum Ergebnis, dass die Anforderungen an die begründete Darlegung eines schweren Nachteils nicht erfüllt sind.
Vgl. zu diesem Verfahren die Pressemitteilung und die Volltexte der Entscheidungen (Beschluss vom 26. Jänner 2022 und Beschluss vom 8. März 2022).
Vgl. zu dieser Thematik auch die Auswertung der Entscheidung des BVerfG 6.12.2021, 2 BvR 2164/21.