Fachinfos - Judikaturauswertungen 27.01.2021

Brandenburgisches Paritätsgesetz ist verfassungswidrig

Verpflichtung politischer Parteien zur Aufstellung geschlechterparitätisch besetzter Wahlvorschläge verletzt Rechte der Partei. Brandenburgisches VerfG 23.10.2020, VfGBbg 9/19 (27. Jänner 2021)

Sachverhalt

Am 31. Jänner 2019 beschloss der Brandenburgische Landtag mehrheitlich das Zweite Gesetz zur Änderung des Brandenburgischen Landeswahlgesetzes – Parité-Gesetz (im Folgenden: Paritätsgesetz). Das Paritätsgesetz verpflichtet Parteien und politische Vereinigungen, ihre Landeslisten für die Landtagswahlen abwechselnd mit Frauen und Männern zu besetzen. Personen, die weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugeordnet werden können, steht es frei, auf welchem Listenplatz sie sich bewerben wollen. Keine Anwendung findet diese Regelung auf Parteien, die laut Satzung nur für ein Geschlecht offen stehen bzw. nur eines vertreten wollen.

In der Folge beantragte unter anderem die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) festzustellen, dass das Paritätsgesetz ihre Rechte der Organisations- und Programmfreiheit, der Wahlvorschlagsfreiheit und der Chancengleichheit der Parteien insoweit verletzt habe, als mit ihm eine Verpflichtung politischer Parteien zur Aufstellung geschlechterparitätisch besetzter Wahlvorschläge statuiert werde.

Entscheidung des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg

Das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg (VerfG) stellte im Rahmen eines Organstreitverfahrens fest, dass die Antragstellerin in allen von ihr angeführten verfassungsmäßigen Rechten (Organisations- und Programmfreiheit, Wahlvorschlagsfreiheit und Chancengleichheit der Parteien) verletzt worden ist:

Die Anwendung einer Geschlechterquote habe inhaltlich-programmatische Bedeutung. Politische Parteien würden sich aus dem Volk herausbilden und Gruppen von Bürger/inne/n umfassen, die mit eigenen Zielvorstellungen und Programmen auf die politische Willensbildung Einfluss nehmen wollen. Parteien seien dabei frei in der Wahl ihrer identitätsbestimmenden Merkmale, der Gestaltung ihrer politischen Ziele, der Ausrichtung ihrer Programmatik und der Wahl ihrer Themen.

Weiters hielt das VerfG fest, dass der Wahlrechtsgrundsatz der Freiheit der Wahl auch für die Aufstellung der Kandidat/inn/en vor einer Wahl gilt. Mit ihnen würden bereits die notwendigen Voraussetzungen für die Wahl selbst geschaffen werden. Die Wahlfreiheit und die Parteienfreiheit umfassen ein freies Wahlvorschlagsrecht, das den Parteien eine von staatlicher Einflussnahme freie Willensbildung für die Aufstellung ihrer Kandidat/inn/en ermöglicht. Gesetzliche Vorgaben, wie die Zusammenstellung von Landeslisten aussehen müssen, könnten das freie Wahlvorschlagsrecht von Parteien beeinträchtigen.

Mit Blick auf die Chancengleichheit könne das Paritätsgesetz dazu führen, dass sich Parteien auf kurze Listen beschränken müssten, wenn sie nicht ausreichend Bewerber/innen des weniger repräsentierten Geschlechts in ihren Listen aufstellen könnten. Dass dies bei der Antragstellerin der Fall sein könnte, sei angesichts eines Frauenanteils von 13,6 Prozent der Mitglieder nachvollziehbar.

Darüber hinaus bekenne sich die Verfassung des Landes Brandenburg zwar ausdrücklich zur Gleichberechtigung von Frauen und Männern und verpflichte das Land auch, für deren Gleichstellung im öffentlichen Leben zu sorgen. Änderungen im Wahlrecht, die Auswirkungen auf das Demokratieprinzip haben, bedürften jedoch einer Entscheidung des Verfassungsgesetzgebers und seien dem Zugriff des einfachen Gesetzgebers entzogen.

Dem Demokratieprinzip der Landesverfassung liege das Modell der Gesamtrepräsentation zugrunde. Demnach seien die Abgeordneten nicht einem Wahlkreis, einer Partei oder einer Bevölkerungsgruppe, sondern dem ganzen Volk gegenüber verantwortlich. Aus dem Demokratieprinzip folge kein Auftrag, für eine „Spiegelung“ der gesellschaftspolitischen Perspektiven und Prioritäten, Erfahrungen und Interessen von Frauen bzw. des Bevölkerungsanteils von Männern und Frauen im Parlament zu sorgen.

Die entsprechenden Bestimmungen des Paritätsgesetzes wurden vom VerfG folglich für nichtig erklärt.

Vgl. zu diesem Verfahren die Pressemitteilung und den Volltext der Entscheidung.

Hinweis: Mit ähnlicher Begründung erklärte bereits im Juli 2020 der Thüringer Verfassungsgerichtshof das Thüringer Paritätsgesetz für nichtig (VerfGH 15. Juli 2020, 2/2020).