Fachinfos - Judikaturauswertungen 11.08.2022

Ergänzende Beweisanforderungen im Untersuchungsausschuss

Konsultationsver­fahren hemmt Entsprechungsverpflichtung der Justizministerin für längstens drei Monate (11. August 2022)

VfGH 21.6.2022, UA 1-2/2022

Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) wies Anträge eines Viertels der Mitglieder des ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschusses (UsA) zurück bzw. ab, die darauf abziel­ten, dass die Bundesministerin für Justiz (BMJ) Chats zwischen näher genannten Per­sonen unverzüglich für den Ausschuss auszuwerten habe. Die Justizministerin habe den zwei ergänzenden Beweisanforderungen zulässigerweise nicht entsprochen, so der VfGH. Sie treffe nun allerdings die Pflicht, ihre Verweigerung unverzüglich zu begrün­den.

Sachverhalt

Ein Viertel der Mitglieder des UsA forderte die BMJ in zwei ergänzenden Beweisanfor­derungen gemäß § 25 Abs. 2 der Verfahrensordnung für parlamentarische Untersu­chungsausschüsse (VO-UA) dazu auf, den vorliegenden Datenbestand von Chats auf Korrespondenzen zwischen näher genannten Personen auszuwerten. Die BMJ teilte in weiterer Folge mit, dass die Auswertung aufgrund des immensen Umfanges bzw. der großen Datenmenge der vorliegenden Nachrichten einen erheblichen zeitlichen Mehr­aufwand bedeuten würde. Es sei daher nicht möglich, diese gleichzeitig mit der noch laufenden Auswertung, die mit ergänzender Beweisanforderung vom 16. Dezember 2021 verlangt worden war, vorzunehmen. Hinsichtlich der Reihenfolge der durchzuführenden Chat-Auswertung sei deshalb ein Konsultationsverfahren gemäß § 58 Abs. 2 VO-UA einzuleiten. Im Rahmen des daraufhin eingeleiteten Konsultationsverfahrens konnte im Hinblick auf die Reihenfolge der Auswertung der Chats keine Konsultations­vereinbarung zwischen dem Vorsitzenden des UsA und der BMJ erzielt werden.

Ein Viertel der Mitglieder des UsA begehrte mit seinem auf Art. 138b Abs. 1 Z 4 B-VG gestützten Antrag, der VfGH möge feststellen, dass die BMJ verpflichtet sei, den Be­weisanforderungen unverzüglich nachzukommen. Der Aufforderung gemäß § 27 Abs. 4 VO-UA sei in rechtswidriger Weise nicht bis zum Ablauf der Frist am 26. April 2022 entsprochen worden. Im Zeitpunkt der Entscheidung des VfGH war die BMJ den er­gänzenden Beweisanforderungen nicht nachgekommen.

Entscheidung des Verfassungs­gerichtshofs

Der VfGH hatte sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob die BMJ zu Recht die Be­weiserhebung – im konkreten Fall die Auswertung des vorliegenden Datenbestandes im Hinblick auf näher umschriebene Korrespondenzen – nicht unverzüglich durchge­führt hat.

In der Sache sprach der VfGH aus, dass zwar den Interessen der Strafverfolgung keine Vorrangstellung gegenüber den Aufgaben der wirksamen politischen Kontrolle durch einen Untersuchungsausschuss eingeräumt wird. Jedoch habe der (Verfas­sungs‑)Gesetzgeber ein System geschaffen, in welchem (u.a.) den Akten und Unterlagen sowie den Ergebnissen von Beweiserhebungen der Strafverfolgungsbehörden eine Sonderstellung zukomme. Dies ergebe sich aus einer Zusammenschau der Normen Art. 138b Abs. 1 Z 4 und 6 B-VG, den §§ 24, 25 und 27 VO-UA sowie dem in der VO‑UA vorgesehenen Konsultationsverfahren.

Ein eingeleitetes Konsultationsverfahren bewirke grundsätzlich eine Hemmung der Vorlageverpflichtungen der BMJ. Der VfGH führte aus, dass eine solche hemmende Wirkung jedoch „längstens“ für drei Monate bestehe. Für die Dauer der Hemmung könne die BMJ ihre Nicht- oder nur teilweise Entsprechung mit dem laufenden Konsul­tationsverfahren begründen.

Da die angesprochene Frist von längstens drei Monaten jedoch bereits verstrichen sei, bestehe für die BMJ nun auch nicht mehr die Möglichkeit, allein gestützt auf Art. 138b Abs. 1 Z 6 B-VG ein Verfahren über eine Meinungsverschiedenheit betreffend das Er­fordernis einer Konsultationsvereinbarung beim VfGH anzustrengen. Sie treffe daher die unverzügliche Verpflichtung, ihrer bestehenden Behauptungs- und Begründungs­pflicht für das Nicht-Entsprechen der Beweisanforderungen nachzukommen.

Vgl. zu diesem Verfahren die Pressemitteilung und den Volltext der Entscheidung.