Fachinfos - Judikaturauswertungen 08.01.2020

Europäische Bürgerinitiative

Entscheidung der Kommission über Europäische Bürger-Initiative unterliegt eingeschränkter gerichtlicher Kontrolle. EuGH 19.12.2019, C-418/18 P, Puppinck u.a. gg. Kommission (08. Jänner 2020)

Sachverhalt

Die Europäische Bürgerinitiative (EBI) „Einer von uns“ startete im Mai 2012 und wurde im Februar 2014 bei der Europäischen Kommission mit über 1,7 Mio. Unterstützungen eingereicht. Sie hatte den rechtlichen Schutz der Würde, des Rechts auf Leben und der Unversehrtheit jeder menschlichen Person vom Zeitpunkt der Empfängnis an zum Ziel und forderte die Europäische Union auf, die Finanzierung von Tätigkeiten in den Bereichen Forschung, Entwicklungspolitik und öffentliche Gesundheit, mit denen die Zerstörung menschlicher Embryonen einhergeht, zu unterbinden. Die EBI legte zu diesem Zweck Änderungsvorschläge für drei EU-Verordnungen vor.

In ihrer begründeten Mitteilung vom Mai 2015 entschied die Kommission jedoch, dem Europäischen Parlament keine entsprechenden Gesetzesinitiativen vorzulegen. Die konkreten Anliegen seien im Unionsrecht schon angemessen berücksichtigt. Darüber hinaus verwies die Kommission auf das prioritäre Ziel der globalen Entwicklungszusammenarbeit, die Müttersterblichkeit in Entwicklungsländern zu senken. 

Die sieben Organisator/inn/en der Initiative erhoben gegen diese Mitteilung erfolglos Klage beim Gericht der Europäischen Union und wandten sich schließlich im Juni 2018 an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH). Insbesondere brachten sie vor, dass es der Kommission nicht zustehe, frei zu entscheiden, ob sie eine EBI weiterverfolge oder nicht. Die Kommission dürfe Art. 11 Abs. 4 EUV und die Verordnung (EU) Nr. 211/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 über die Bürgerinitiative (Verordnung [EU] 211/2011) nicht so auslegen, dass den Bürger/inne/n das Recht genommen wird, im Rahmen einer EBI ihre Gesetzgebungsvorschläge durch das Parlament prüfen zu lassen. Andernfalls würde die EBI ihrer Wirksamkeit beraubt. Die gerichtliche Kontrolle der Mitteilung sei nicht auf offensichtliche Beurteilungsfehler beschränkt, sondern vollständig vorzunehmen. Von der EBI seien nicht nur die drei konkreten Änderungen, wie von der Kommission geprüft, bezweckt gewesen, sondern vor allem auch der rechtliche Schutz der Würde, des Rechts auf Leben und der Unversehrtheit jeder menschlichen Person vom Zeitpunkt der Empfängnis an. Die Kommission hätte in Zusammenarbeit mit der EBI einen dahingehenden Vorschlag für einen Rechtsakt ausarbeiten müssen.

Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union

Der EuGH (Große Kammer) wies die Klage ab. Die EBI könne gemäß Art. 11 Abs. 4 EUV die Kommission nur auffordern, dem Parlament geeignete Rechtsetzungsvorschläge zu unterbreiten. Daraus sei keine Verpflichtung abzuleiten, entsprechende Vorschläge vorzulegen. Gemäß Art. 17 Abs. 1 und 2 EUV stehe der Kommission allein das Gesetzesinitiativrecht im Interesse der Union in freiem Ermessen zu. Die EBI sei nicht besser gestellt als etwa das Parlament und der Rat, die auch gemäß Art. 225 und 241 AEUV die Kommission nur zur Unterbreitung von Vorschlägen auffordern könnten. Am institutionellen Gleichgewicht ändere die EBI nichts. 

Gemäß dem EuGH beeinträchtigt der EBI‑Mechanismus das Initiativrecht der Kommission nicht. Auch wenn die Kommission keine Verpflichtung zum Tätigwerden treffe, sei die EBI trotzdem wirksam. So sei eine Reihe von Schritten gemäß den Art. 10 und 11 der Verordnung (EU) 211/2011 vorgeschrieben. Die EBI sei zunächst zu veröffentlichen. Die Organisator/inn/en seien von der Kommission zu empfangen, damit sie ihre Anliegen erörtern könnten. Es habe eine öffentliche Anhörung der EBI im Europäischen Parlament stattzufinden und die Kommission müsse den Organisator/inn/en schriftlich antworten und ihre Entscheidung begründen. Den Unionsbürger/inne/n werde damit ermöglicht, eine politische Debatte in den Organen anzustoßen, ohne dass die Einleitung eines Rechtsetzungsverfahrens abgewartet werden müsse. 

Der Kommission komme in der Ausübung ihres in Art. 17 EUV verankerten Initiativrechts bei der Gesetzgebung ein weites Ermessen zu. Daher beschränkt sich gemäß dem EuGH die gerichtliche Kontrolle der Entscheidung der Kommission auf die Prüfung, ob offensichtliche Fehler vorliegen. Im vorliegenden Fall habe die Kommission keinen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen. Insbesondere sei auch ihre Einschätzung rechtens gewesen, dass die EBI die Initiierung von drei konkreten Rechtssetzungsvorschlägen in Zusammenhang mit Finanzierungsinstrumenten gefordert habe und nicht auch noch einen Vorschlag zur Definition oder Klärung des rechtlichen Status des menschlichen Embryos umfasst habe.

Die Verordnung (EU) 211/2011 wurde mittlerweile von der Verordnung (EU) 2019/788 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. April 2019 über die Europäische Bürgerinitiative abgelöst. Die hier erwähnten streitgegenständlichen Bestimmungen finden sich jedoch auch in der neuen Verordnung in ähnlicher Form wieder.

Vgl. zu diesem Verfahren die Pressemitteilung und den Volltext der Entscheidung.