Fachinfos - Judikaturauswertungen 12.04.2021

Fehlende gesetzliche Paritätsregelungen bei deutscher Bundestagswahl

Erfolglose Wahlprüfungsbeschwerde hinsichtlich fehlender gesetzlicher Paritätsregelungen bei der Bundestagswahl. Dt. BVerfG 15.12.2020, 2 BvC 46/19 (12. April 2021)

Sachverhalt

Bei der Wahl zum Deutschen Bundestag 2017 waren ca. 51,5 % der Wahlberechtigten Frauen. Der weibliche Anteil an den Direktkandidaturen in den Wahlkreisen lag bei 25,0 %, der Anteil an den jeweils ersten fünf Listenplätzen der Parteien bei 34,7 %. Nach der Bundestagswahl 2017 waren 218 der insgesamt 709 Bundestagsabgeordneten Frauen – der Frauenanteil sank somit von 36,3 % auf 30,7 % im Vergleich zur vorangegangen Legislaturperiode. Die Beschwerdeführerinnen legten beim Deutschen Bundestag Einspruch gegen die Gültigkeit dieser Wahl ein. Begründend führten sie an, dass die nichtparitätische Nominierung von Kandidat:innen zur Bundestagswahl durch die Parteien einen Wahlfehler darstelle, der auf die Mandatsverteilung und die Gültigkeit der Wahl durchschlage:

Konkret liege ein Verstoß gegen das Gleichberechtigungsgrundrecht und gebot aus Art. 3 Abs. 2 Grundgesetz (GG), das Grundrecht auf passive Wahlgleichheit aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG sowie das Demokratieprinzip aus Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG vor. Das geltende Wahlorganisationsrecht wirke sich zulasten von Frauen aus und verstoße gegen das Grundrecht von Kandidatinnen auf Chancengleichheit bei der Erstellung von Wahlvorschlägen. Es fehle an gleichberechtigter demokratischer Teilhabe und effektiver Einflussnahme der Staatsbürgerinnen auf die Entscheidungen des Deutschen Bundestages und das, obwohl sie mehr als die Hälfte des Volkes ausmachten.

Der Deutsche Bundestag wies den Wahleinspruch als unbegründet zurück: In der nichtparitätischen Nominierung sei kein Wahlfehler zu erkennen. Die Wahlrechtsvorschriften sähen keine paritätische Ausgestaltung der Wahlvorschläge vor und an deren Verfassungsmäßigkeit hege der Deutsche Bundestag keine Zweifel.

Die Beschwerdeführerinnen erhoben daraufhin Beschwerde gegen diesen Beschluss beim Deutschen Bundesverfassungsgericht (Dt. BVerfG). Darin beriefen sie sich auf einen Verstoß gegen die Wahlrechtsgrundsätze iVm dem Gleichberechtigungsgrundrecht und -gebot sowie die Verletzung des Anspruchs der Bürgerinnen auf gleichberechtigte demokratische Teilhabe und effektive Einflussnahme auf die Staatsorgane gemäß Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG iVm Art. 1 Abs. 1iVm Art. 79 Abs. 3 GG.

Entscheidung des Deutschen Bundesverfassungsgerichts

Das Dt. BVerfG erkannte die Wahlprüfungsbeschwerde für unzulässig: Die Beschwerdeführerinnen hätten nicht ausreichend substantiiert dargelegt, dass der Beschluss des Deutschen Bundestages in formeller oder in materiell-rechtlicher Hinsicht zu beanstanden sei.

Aus dem Demokratieverständnis des GG werde der Grundsatz der Gesamtrepräsentation abgeleitet. Demnach sei jede/r Abgeordnete Vertreter/in des gesamten Volkes. Mit diesem Verständnis von Repräsentation des Volkes durch frei gewählte und mit freiem Mandat ausgestattete Volksvertreter/innen lasse sich die im Wahleinspruch vertretene Forderung nach „Spiegelung“ der weiblichen Wahlbevölkerung im Parlament nicht in Einklang bringen. Eine geschlechter- bzw. gruppenbezogene Repräsentation kenne das Demokratieverständnis des GG nicht. Die Beschwerdeführerinnen hätten es verabsäumt, sich mit der Vorgabe des Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG, wonach die Abgeordneten Vertreter/innen des ganzen Volkes sind, hinreichend zu befassen.

Auch sei es den Beschwerdeführerinnen nicht gelungen, aufzuzeigen, dass der Gesetzgeber aufgrund des Gleichstellungsgebots gemäß Art. 3 Abs. 2 Satz 1 und 2 GG zum Erlass von Paritätsgeboten im Wahlvorschlagsrecht verpflichtet sei. Der Gesetzgeber müsse gleichwertige Verfassungsgüter berücksichtigen und ihnen angemessene Geltung verschaffen. Darunter fallen etwa die Wahlrechtsgrundsätze des Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG und die Parteienfreiheit gemäß Art. 21 Abs. 1 GG, so das Dt. BVerfG. Eine Auseinandersetzung, inwieweit in diese Grundsätze durch Paritätsregelungen eingegriffen werde, sei nicht hinreichend erfolgt.

Vgl. zu diesem Verfahren die Pressemitteilung und den Volltext der Entscheidung.