Fachinfos - Judikaturauswertungen 08.07.2020

Freies Mandat und Zeugnisverweigerungsrecht

Freies Mandat und Zeugnisverweigerungsrecht bei pandemiebedingten Polizeikonrollen. VerfGH Berlin 20.5.2020, 51/20 (8. Juli 2020)

Sachverhalt

Am 13. April 2020, inmitten der Corona-Krise, leitete ein Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin beim Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin (VerfGH) ein Organstreitverfahren ein, erhob hilfsweise eine Verfassungsbeschwerde und ersuchte um Eilrechtsschutz. Der Antragsteller brachte vor, in seinen Rechten als Abgeordneter durch die Berliner Verordnung über erforderliche Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 (im Folgenden: Verordnung) verletzt worden zu sein. § 14 dieser Verordnung verlange vom Antragsteller, dass er bei Verlassen seiner Wohnung eine mandatsbezogene Tätigkeit glaubhaft mache. Dies stelle einen Eingriff in das freie Mandat aus Art. 38 der Verfassung von Berlin (VvB) dar, weil die Handlungsfreiheit der Abgeordneten – sowie aller Bürger – massiv eingeschränkt sei. Außerdem liege ein Eingriff in das Zeugnisverweigerungsrecht der Abgeordneten aus Art. 51 VvB vor. Weiters sei die Verordnung mit dem Prinzip des Gesetzesvorbehalts aus Art. 64 Abs. 1 VvB unvereinbar, weil keine gesetzliche Ermächtigung zum Erlass der Verordnung vorliege. Schließlich sei der Antragsteller in seinen Rechten verletzt, weil die Verordnung nicht nach Art. 64 Abs. 3 VvB unverzüglich dem Abgeordnetenhaus zur Kenntnisnahme vorgelegt worden sei.

Bereits am 17. April 2020 lehnte der VerfGH den Antrag auf Eilrechtschutz des Abgeordneten ab (VerfGH 51 A/20).

Entscheidung des Verfassungs­gerichtshofs des Landes Berlin

Der VerfGH beurteilte den Organstreitantrag und den hilfsweise mit einer Verfassungsbeschwerde verfolgten Antrag als teils unzulässig, teils offensichtlich unbegründet.

Die in § 14 der Verordnung enthaltene Verpflichtung, eine mandatsbezogene Tätigkeit glaubhaft zu machen, stelle keinen Verstoß gegen das freie Mandat aus Art. 38 Abs. 4 VvB dar. Vom Antragsteller könne jedoch nicht mehr verlangt werden, als dass er sich als Abgeordneter ausweise. Weitergehende Kontrollen hätten zu unterbleiben.

Das Zeugnisverweigerungsrecht aus Art. 51 Abs. 2 VvB umfasse die Offenbarung von Information, die Abgeordneten in ihrer Funktion anvertraut wurde. In dieses Recht werde daher nicht eingegriffen, wenn Abgeordnete bei Verlassen ihrer Wohnung verpflichtet werden, lediglich eine mandatsbezogene Tätigkeit glaubhaft zu machen.

Der Antrag auf Feststellung einer Verletzung von Art. 64 Abs. 1 VvB wegen einer fehlenden gesetzlichen Ermächtigung zum Erlass der Verordnung sei unzulässig. Ein/e einzelne/r Abgeordnete/r könne keine Organrechte des Abgeordnetenhauses geltend machen. Dasselbe gelte für den Antrag auf Feststellung, dass die Verordnung nach Art. 64 Abs. 3 VvB unverzüglich dem Abgeordnetenhaus zur Kenntnisnahme vorzulegen gewesen wäre.

Hinsichtlich der Verfassungsbeschwerde hielt der VerfGH fest, dass die Verfassungsbeschwerde den Bürger/inne/n zur Verfolgung ihrer verfassungsrechtlich garantierten Rechte gegen den Staat offen steht. Sie sei jedoch kein Mittel, um Meinungsverschiedenheiten zwischen Staatsorganen auszutragen. Des Weiteren fehle es an hinreichenden Darlegungen, welche Verletzungen der Antragsteller mit der Verfassungsbeschwerde gelten machen wolle.

Vgl. zu diesem Verfahren die Pressemitteilung und den Volltext der Entscheidung.