Fachinfos - Judikaturauswertungen 08.04.2020

Ibiza-UsA: Einschränkung des Untersuchungsgegenstandes rechtswidrig

Einschränkung des Untersuchungsgegenstandes des Ibiza-Untersuchungsausschusses war rechtswidrig. VfGH 3.3.2020, UA 1/2020 (8. April 2020)

Sachverhalt

Gemäß Art. 53 Abs. 1 B‑VG ist auf Verlangen eines Viertels der Mitglieder des Nationalrates (mindestens 46 Mitglieder) ein Untersuchungsausschuss (UsA) einzusetzen. Am 11. Dezember 2019 brachten 54 Mitglieder des Nationalrates (NR) ein Verlangen auf Einsetzung eines UsA „betreffend mutmaßliche Käuflichkeit der türkis-blauen Bundesregierung (Ibiza-Untersuchungsausschuss)" im NR ein. Dieses Verlangen wurde gemäß § 33 Abs. 6 GOG‑NR dem Geschäftsordnungsausschuss (GO‑A) zugewiesen. Dieser erklärte das Verlangen mit Beschluss vom 22. Jänner 2020 für teilweise unzulässig und grenzte den Untersuchungsgegenstand ein.

Gemäß Art. 138b Abs. 1 Z 1 B‑VG iVm § 56c VfGG kann die Einsetzungsminderheit solche Beschlüsse des GO‑A beim Verfassungsgerichtshof (VfGH) anfechten. Dieser entscheidet dann über die Rechtmäßigkeit des Beschlusses.

Auf dieser rechtlichen Grundlage wurde der Beschluss des GO‑A von 53 Mitgliedern des NR beim VfGH angefochten. Unter anderem wurde geltend gemacht, der GO‑A dürfe inhaltlich nicht über das Verlangen entscheiden – vielmehr sei ein UsA auf Verlangen jedenfalls einzusetzen. Zudem brachten die Anfechtungswerber/innen vor, die vorgenommene inhaltliche Beurteilung sei unrichtig: Bei dem im Verlangen formulierten Untersuchungsgegenstand handle es sich um einen „bestimmten abgeschlossenen Vorgang“ im Sinne des Art. 53 Abs. 2 B‑VG, weshalb der Untersuchungsgegenstand zu Unrecht beschränkt worden sei.

Entscheidung des Verfassungs­gerichtshofs

Der VfGH gab dem Antrag der Einsetzungsminderheit statt und sprach aus, dass der Beschluss des GO‑A über die teilweise Unzulässigkeit des Einsetzungsverlangens rechtswidrig ist. Die wesentlichen Aussagen des Erkenntnisses lauten wie folgt:

Prüfungsgegenstand ist der Beschluss des GO-A, nicht das Einsetzungsverlangen

Der VfGH hielt in seiner Entscheidung fest, dass Gegenstand des Verfahrens nach Art. 138b Abs. 1 Z 1 B-VG der Beschluss des GO‑A ist, mit dem das Einsetzungsverlangen für ganz oder teilweise unzulässig erklärt wird, nicht aber das Einsetzungsverlangen.

Das Einsetzungsverlangen muss Art. 53 Abs. 2 B VG entsprechen

Der Einsetzungsminderheit komme – im Sinne der wirksamen Ausgestaltung ihres Minderheitsrechtes gemäß Art. 53 Abs. 1 B‑VG – grundsätzlich auch das Recht zu, das zu untersuchende Thema frei zu bestimmen.

Das Verlangen müsse jedoch einen Vorgang betreffen, der den Anforderungen des Art. 53 Abs. 2 B‑VG („bestimmter […] Vorgang“) entspricht: Dies schließe eine Untergliederung in einzelne Abschnitte bzw. Beweisthemen nicht aus, denn auch ein Vollzugsakt könne in einzelne Phasen zerlegt werden.

Insgesamt seien keine zu strengen Anforderungen an die Bestimmtheit des Untersuchungsgegenstandes zu stellen: Der zu untersuchende Vorgang müsse konkret, abgegrenzt und im Prüfungsauftrag hinreichend konkretisiert sein. Jeder der zu untersuchenden Themenbereiche habe einen ausreichenden Zusammenhang mit dem festgelegten Vorgang aufzuweisen.

Der GO-A hat zu prüfen, ob das Verlangen Art. 53 Abs. 2 B VG entspricht

Der VfGH sah die Einsetzungsminderheit mit ihrem Vorbringen, dass der GO‑A gemäß § 3 Abs. 2 VO‑UA das Verlangen lediglich formal zu prüfen hat, nicht im Recht: Der GO‑A habe zu prüfen, ob das Verlangen die verfassungsrechtlich festgelegten Voraussetzungen des Art. 53 Abs. 2 B-VG erfüllt. Der GO‑A dürfe das Verlangen bzw. den Untersuchungsgegenstand jedoch nicht auf seine Zweckmäßigkeit überprüfen.

Prüfungsmaßstab für den Beschluss des GO‑A müsse Art. 53 Abs. 2 B-VG sein, weil gerade dieser Beschluss – und nicht das Verlangen – Prüfungsgegenstand im Verfahren vor dem VfGH sei. Andernfalls wäre der VfGH bloß auf die Nachprüfung der Einhaltung formaler Kriterien beschränkt.

Die Mehrheit im GO A darf den Untersuchungsgegenstand einschränken, aber nicht ändern

Soweit ein Verlangen rechtmäßig sei, müsse diesem entsprochen werden.

Die Änderung eines Untersuchungsgegenstandes sei nur möglich, wenn alle in der Sitzung des GO‑A stimmberechtigten Abgeordneten, die das Verlangen unterstützt haben, zustimmen (§ 3 Abs. 4 VO-UA). Daher sei eine Änderung ohne diese Zustimmung ausgeschlossen. Ebenso seien Streichungen, die materiell Änderungen sind, verfassungsrechtlich ausgeschlossen. Daher sei es nur ausnahmsweise möglich, ein Verlangen für teilweise unzulässig zu erklären.

Ob es möglich ist, Teile des Untersuchungsgegenstandes abzutrennen, ohne den Untersuchungsgegenstand unzulässig materiell abzuändern, müsse die Mehrheit nachvollziehbar begründen. Diese Begründung ermögliche dann eine Überprüfung durch den VfGH.

Die Mehrheit im GO A hat den Untersuchungsgegenstand geändert, weshalb ihr Beschluss rechtswidrig ist

Im vorliegenden Fall habe der GO‑A die verfassungsrechtlichen Grenzen des Art. 53 Abs. 2 B‑VG überschritten: Die beschlussfassende Mehrheit im GO‑A habe einen neuen inhaltlichen Zusammenhang definiert und den Untersuchungsgegenstand damit unzulässig geändert.

Denn die Entscheidung über die teilweise Unzulässigkeit des Untersuchungsgegenstandes sei im Wege einer politischen Wertung herbeigeführt worden. Die beschlussfassende Mehrheit ziehe einen von ihr definierten Themenkomplex „Casinos Austria – Glücksspiel“ als Bezugsgröße bzw. Schwerpunkt heran, um den erforderlichen Zusammenhang zwischen den einzelnen Vollziehungsbereichen zu untersuchen.

Dadurch gewichte sie das politische Anliegen selbst, gestalte eigenständig einen Untersuchungsgegenstand und untersuche in weiterer Folge unter Zugrundelegung dieser gewonnenen Prämisse das Vorliegen des inhaltlichen Zusammenhanges bei den aufgezählten Bereichen und Beweisthemen.

Der GO‑A habe das Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 53 Abs. 2 B-VG zu überprüfen. Vertrete er die Auffassung, dass diese Voraussetzungen nicht erfüllt sind, so habe er dies entsprechend zu begründen. Die verfassungsrechtlichen Rechtsvorschriften würden jedoch keinen Raum dafür eröffnen, dass es im Belieben der Mehrheit steht, unter Zugrundelegung einer eigenständigen politischen Wertung eine reduzierende Bewertung vorzunehmen und damit eine Teileinsetzung zu ermöglichen.

Die Mehrheit im GO‑A habe ihren Beschluss daher mit Rechtswidrigkeit belastet.

Keine Bestellung eines Kurators für die beschlussfassende Mehrheit

Die Einsetzungsminderheit hatte in ihrer Anfechtung zusätzlich den Antrag gestellt, für die beschlussfassende Mehrheit eine/n Kurator/in gemäß § 35 VfGG iVm § 8 Abs. 1 ZPO zu bestellen. Der VfGH sprach über diesen Antrag nicht ab: Dies erübrige sich, da er auf Grund der Aktenlage entscheide, im vorliegenden Fall keine Veranlassung zur Einbeziehung der beschlussfassenden Mehrheit bestanden habe und die Zustellung der Entscheidung gemäß § 13 Abs. 6 GOG-NR an den Präsidenten des NR erfolge.

Vgl. zu diesem Verfahren die Pressemitteilung und den Volltext der Entscheidung.