Fachinfos - Judikaturauswertungen 08.04.2020

Ibiza-Video: Veröffentlichung heimlicher Filmaufnahmen

Veröffentlichung heimlicher Filmaufnahmen als Beitrag zu einer Debatte von öffentlichem Interesse. OGH 23.1.2020, 6 Ob 236/19b (8. April 2020)

Sachverhalt

Der Kläger war Klubobmann der FPÖ. Der Beklagte, ein Rechtsanwalt, ließ den Kläger und einen anderen Politiker der gleichen Partei in einem privaten Umfeld heimlich mit einer Schauspielerin filmen. Die Filmaufnahmen dauerten mehrere Stunden. Der Beklagte übergab sie an zwei Medienunternehmen, die einige Minuten der Filmaufnahmen sowie Teile der Gespräche in Artikeln veröffentlichten. Der Kläger trat nach der Veröffentlichung von seiner Funktion als Klubobmann zurück.

Der Kläger klagte den Beklagten auf Unterlassung und beantragte eine einstweilige Verfügung, mit der es dem Beklagten verboten werden sollte

  • ohne Einverständnis des Klägers von seinen Äußerungen Tonaufnahmen herzustellen, Gespräche abzuhören oder aufzuzeichnen bzw. dies vornehmen zu lassen, solche Aufnahmen zu veröffentlichen, zu verbreiten, anderen vorzuspielen, zugänglich zu machen oder zu überlassen;
  • ohne Einverständnis des Klägers Bild- oder Filmaufnahmen von ihm anzufertigen bzw. dies vornehmen zu lassen, solche Aufnahmen zu veröffentlichen, zu verbreiten, anderen vorzuspielen, zugänglich zu machen oder zu überlassen;
  • die eingangs beschriebenen Filmaufnahmen zu veröffentlichen, zu verbreiten, anderen vorzuspielen, zugänglich zu machen oder zu überlassen.

Das Erstgericht erließ die einstweilige Verfügung, das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung.

Entscheidung des Obersten Gerichtshofs

Der Oberste Gerichtshof (OGH) gab dem Rechtsmittel des Beklagten gegen die Entscheidung des Rekursgerichts teilweise Recht. Zunächst führte der OGH aus, dass Bild- und Tonaufnahmen des Klägers ohne seine Zustimmung in dessen Persönlichkeitsrecht eingreifen. Dieser habe nämlich aufgrund des nicht öffentlichen Umfelds zu Recht darauf vertrauen dürfen, dass die Gespräche nicht aufgezeichnet werden würden. Um Umfang und Grenzen von Persönlichkeitsrechten zu ermitteln, sei eine umfassende Güter- und Interessenabwägung vorzunehmen, dabei seien die Interessen am gefährdeten Gut den Interessen des anderen und der Allgemeinheit gegenüberzustellen. Der höchstpersönliche Lebensbereich sei hier nicht betroffen – dieser wäre einer Interessenabwägung nicht zugänglich.

Hinsichtlich der Herstellung der Bild- und Tonaufnahmen wäre zugunsten des Beklagten zu berücksichtigen, dass der Kläger eine Person der Zeitgeschichte sei. Allerdings habe der Beklagte die Aufnahmen nicht erstellen lassen, um zu einer Debatte von öffentlichem Interesse beizutragen, sondern um diese unter Täuschung des Klägers gewinnbringend zu verkaufen. Der OGH stellte fest, dass sich daraus kein von Art. 10 EMRK geschütztes Interesse ableiten lasse, das höher als jenes des Klägers zu bewerten sei. Der Antrag des Klägers auf Erlassen einer einstweiligen Verfügung sei hinsichtlich der Herstellung von Aufnahmen bzw. der Veranlassung solcher Aufnahmen berechtigt. Hinsichtlich des Abhörens nicht, weil darunter das Mithören von Gesprächen durch technische Hilfsmittel zu verstehen sei, was in diesem Fall weder geschehen noch zu befürchten sei.

Hinsichtlich der Veröffentlichung der Bild- und Tonaufnahmen führte der OGH aus, dass der Beklagte durch Weitergabe der Filmaufnahmen an zwei Medienunternehmen die Eingriffshandlungen in das Persönlichkeitsrecht des Klägers – nämlich das Veröffentlichen, Verbreiten und Vorspielen – erst ermöglichte. Allerdings könne sich der Beklagte diesbezüglich auf die Meinungsäußerungsfreiheit nach Art. 10 EMRK berufen, weil diese Eingriffshandlungen einen Beitrag zu einer Debatte von öffentlichem Interesse geleistet hätten. Die Öffentlichkeit habe sich durch die Veröffentlichung ein Bild über die persönliche Integrität des Klägers machen können und daraus Schlüsse auf seine Eignung zur Ausübung hoher politscher Ämter ziehen können. Diese Eignung könne nicht allein aufgrund der Veröffentlichung der Inhalte der Gespräche beurteilt werden, sondern nur unter Berücksichtigung der äußeren Gegebenheiten der Gespräche an einem Urlaubsdomizil bei reichlichem Alkoholkonsum. Nur das Anschauen der Aufnahmen und nicht das Lesen von Transkripten der Gespräche würde die Beurteilung von Integrität und Verantwortungsbewusstsein des Klägers als Träger öffentlicher Ämter ermöglichen. Die Veröffentlichung der Filmaufnahmen würde daher auch das gelindeste Mittel zur Zweckerreichung darstellen. Der OGH stellte daher fest, dass die Videoveröffentlichung einen außergewöhnlichen Beitrag zu einer Debatte von öffentlichem Interesse geleistet hat und höher zu gewichten ist als das Interesse des Klägers an der Vertraulichkeit der Gespräche.

Der OGH führte weiters aus, dass eine Interessenabwägung auch bezüglich § 120 Abs. 2 StGB, der die Veröffentlichung von Tonaufnahmen einer nicht öffentlichen Äußerung ohne Einverständnis des Sprechenden verbietet, und bezüglich § 12 Abs. 5 DSG, der das Übermitteln personenbezogener Daten regelt, vorzunehmen ist. Bezüglich dieser Bestimmungen sei ebenso die Meinungsäußerungsfreiheit gemäß Art. 10 EMRK zu beachten und einer Interessenabwägung zu unterziehen. Bei einer solchen seien die Feststellungen des OGH über die Interessenabwägung beim Persönlichkeitsrecht des Klägers maßgeblich, weshalb die diesbezügliche Interessenabwägung zugunsten des Beklagten ausfalle.

Abschließend hielt der OGH fest, dass nur wenige Minuten der Filmaufnahmen bekannt sind, weshalb er nicht über eine Rechtswidrigkeit der Weitergabe der anderen Aufnahmen entscheiden kann.

Vgl. zu diesem Verfahren die Pressemitteilung und den Volltext der Entscheidung.