Fachinfos - Judikaturauswertungen 06.10.2020

Informationspflicht des Landtages Schleswig-Holstein

Landtag Schleswig-Holstein muss über Gutachten seines wissenschaftlichen Dienstes aus vergangener Legislaturperiode informieren. OVG Schleswig-Holstein 23.7.2020, 4 LB 45/17 (6. Oktober 2020)

Sachverhalt

Der Kläger begehrte im Februar 2016 Zugang zu Informationen des Wissenschaftlichen Dienstes des Schleswig-Holsteinischen Landtages. Er forderte eine Liste aller vom Wissenschaftlichen Dienst innerhalb der (damals) aktuellen Legislaturperiode erstellten Gutachten an. Die Liste sollte „neben der Überschrift, welche den Inhalt des Gutachtens widerspiegeln soll, auch den Namen des Auftraggebers, also Fraktion oder gleichgestellte Gruppe, und wenn möglich auch das Datum der Fertigstellung und das Datum der Auftragserteilung beinhalten“.

Im Mai 2016 teilte der Präsident des Schleswig-Holsteinischen Landtages rechtliche Bedenken hinsichtlich des Antrages mit: Die begehrten Informationen seien nicht vom Informationszugangsgesetz des Landes Schleswig-Holstein (IZG) erfasst.

Der Kläger forderte daraufhin, dem Antrag spätestens bis zum 10. Juli 2016 zu entsprechen und erhob am 19. Juli 2016 Untätigkeitsklage.

Der Landtagspräsident lehnte den Antrag mit Bescheid vom 22. Juli 2016 ab und begründete dies damit, dass er keine informationspflichtige Stelle sei, weil das Ersuchen des Klägers keine öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit berühre. Vielmehr sei die gutachterliche oder rechtsberatende Tätigkeit des Wissenschaftlichen Dienstes als parlamentarische Aufgabe zu qualifizieren. Die Tätigkeit sei außerdem weisungsfrei und die Mitarbeitenden seien zu besonderer Dienstverschwiegenheit verpflichtet. Der Wissenschaftliche Dienst berate im individuellen Auftrag einer Fraktion zu konkreten rechtlichen Fragestellungen, weshalb seine Tätigkeit der Fraktionsarbeit zuzuordnen sei. Diese unterliege nicht dem Informationszugang: Schon aus der Weitergabe der begehrten Liste könnten nämlich Rückschlüsse auf die inhaltliche politische Arbeit der Fraktionen gezogen und deren Planungen ausgeforscht werden.

Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger im August 2016 Widerspruch, den der Landtagspräsident im Jänner 2017 mit Bescheid zurückwies. Dagegen erhob der Kläger im September 2017 Klage beim Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgericht. Dieses wies die Klage mit Urteil vom 18. Oktober 2017 als unzulässig ab. Gegen dieses Urteil legte der Kläger im Dezember 2017 Berufung ein.

Entscheidung des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts

Das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht (OVG) bejahte den Anspruch des Klägers auf Herausgabe der begehrten Übersicht über die Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes aus der 18. Wahlperiode.

Der Landtagspräsident ist eine informationspflichtige Stelle

Der Landtagspräsident sei nämlich eine informationspflichtige Stelle: Er übe eine öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit aus. Der Landtagspräsident führe die Geschäfte des Landtages. Dazu würden die Ausübung der Ordnungsgewalt im Landtag und des Hausrechts in den Räumen des Landtages, die Verwaltung der gesamten wirtschaftlichen Angelegenheiten des Landtages, die Vertretung des Landes in Rechtsgeschäften und Rechtsstreitigkeiten des Landtages sowie die Feststellung des Entwurfs des Haushaltsplans des Landtages gehören. Ihm stünden zudem Kompetenzen in Personalfragen zu und er sei oberste Dienstbehörde der Beschäftigten des Landtages.

Die begehrte Liste ist eine Information iSd IZG

Die begehrte Liste und die in ihr aufgeführten Daten stellten Informationen iSd IZG dar. Der Präsident hatte vorgebracht, es handle sich bei dem Antrag des Klägers um einen Ausforschungsantrag, da er nicht Zugang zu einem konkreten Vorgang begehre, sondern einen Überblick über einen Teil des Aktenbestandes verlange. Nach Ansicht des OVG ist jedoch Gegenstand des Antrags eine tatsächlich bei dem Beklagten vorhandene Liste. Auch das Vorbringen, dass es sich bei der begehrten Liste um den Kernbereich der Tätigkeit im Referat des Wissenschaftlichen Dienstes handle, führe zu keinem anderen Ergebnis. Der Anspruch auf Informationszugang sei nicht auf belanglose Informationen beschränkt.

Ausnahmen von der Informationspflicht sind eng auszulegen

Gemäß § 2 Abs. 4 Nr. 1 IZG gehört der Landtag, „soweit er parlamentarische Aufgaben wahrnimmt“ nicht zu den informationspflichtigen Stellen. Zur parlamentarischen Aufgabenwahrnehmung zählt nach dieser Bestimmung auch die gutachterliche oder rechtsberatende Tätigkeit im Auftrag einer oder mehrerer Fraktionen.

Nach Ansicht des OVG sind Ausnahmen vom Informationszugang jedoch generell eng auszulegen. Denn nach den Gesetzesmaterialien sollte das bisherige Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen Geheimhaltungsinteressen und Informationszugang derart umgekehrt werden, dass in der Regel ein Informationszugang zu gewähren und nur in Ausnahmen zu versagen sei.

Vor diesem Hintergrund sei insbesondere ein zeitlich grenzenloser Ausschluss des Informationszugangs kritisch zu betrachten. Daher seien bei Ausnahmeregelungen zeitliche Höchstgrenzen zu prüfen. Durch Zeitablauf könnten auch Tätigkeiten informationspflichtig werden, die zunächst nicht informationspflichtig waren. Diese Grenze müsse durch Abwägung der jeweiligen betroffenen Interessen ermittelt werden.

Abwägung im konkreten Fall

  • freie Mandatsausübung unter Umständen berührt

Der beim Landtagspräsidenten angesiedelte Wissenschaftliche Dienst betreibe keine Gesetzgebung, sondern Politikberatung. Wissensgenerierung, Faktenaufbereitung und Wissensvermittlung seien typische Verwaltungstätigkeiten. Allein dadurch, dass diese Tätigkeiten „mandatsbezogen“ seien, würden sie sich weder zu spezifischen parlamentarischen Angelegenheiten wandeln noch würden sie dadurch zum Gegenstand des Abgeordnetenmandats. Eine irgendwie geartete Konnexität mit dem Parlamentsgeschehen reiche nicht aus, um die Verwaltungstätigkeit dem Transparenzgebot zu entziehen. Es sei auch nicht davon auszugehen, dass jegliche Beauftragung des Wissenschaftlichen Dienstes bereits Rückschlüsse auf politische Konzepte der Fraktionen oder einzelner Abgeordneten zuließe und dadurch die kollidierenden Verfassungsrechte der freien Mandatsausübung, der parlamentarischen Opposition und der Fraktionen in nicht gerechtfertigter Weise verletzt wären. Diese Rechte könnten aber berührt sein, wenn sich die Abgeordneten oder die Fraktionen an einer unbefangenen Willens- und Entscheidungsbildung gehindert sehen, weil sie sich durch die zeitgleiche Kenntnisnahme der Zuarbeiten des Wissenschaftlichen Dienstes seitens Dritter einer dauernden Beobachtung und gegebenenfalls breiten Öffentlichkeit in Bezug auf ihre Interessengebiete ausgesetzt sehen.

  • aber zeitlich nicht mehr betroffen, weil aus vergangener Legislaturperiode

In der vorliegenden Konstellation werde jedoch lediglich Zugang zu einer Auflistung der durch den Wissenschaftlichen Dienst erstellten Gutachten und der zugehörigen Auftraggebenden aus einer abgelaufenen Wahlperiode begehrt. Damit seien die Interessen von Fraktionen oder einzelnen Abgeordneten nicht mehr gegenwärtig berührt. Sie seien lediglich insoweit betroffen, als dass der Öffentlichkeit ein etwaiger Gegenstand der Debatte nach Abschluss einer Legislaturperiode bekannt werden könnte. Dieses Maß der Betroffenheit rechtfertige es nicht, die Liste dauerhaft der Informationspflicht zu entziehen.

Daher sei die von dem Kläger begehrte Auflistung jedenfalls nach Ablauf der betreffenden 18. Wahlperiode für die parlamentarische Tätigkeit der Fraktionen und Abgeordneten nur noch von untergeordneter Bedeutung. Dies zeige sich insbesondere im Grundsatz der materiellen Diskontinuität, demzufolge mit Ablauf der Wahlperiode des Landtages alle Vorlagen, Anträge und Anfragen als erledigt gelten. Damit sei den befürchteten Einwirkungen auf die parlamentarischen Prozesse hinreichend Rechnung getragen, weil den Auftraggebenden Reaktions- und Verarbeitungsfrist eingeräumt und ihnen ein – im politischen Wettbewerb aus „Konkurrenzschutzgründen“ möglicherweise zustehender – zeitlich befristeter Informationsvorsprung verbleibe. Eine über die Legislaturperiode hinausgehende Schutzwürdigkeit der parlamentarischen Tätigkeit sei allein bezüglich der Titel der erstellten Gutachten und Informationen über die Auftraggebenden nicht ersichtlich.

  • parlamentarische Arbeit muss und kann ein gewisses Maß an Öffentlichkeit und Kontrolle aushalten

Als Begründung für eine derart weitgehende zeitliche Ausdehnung des Schutzraums für die fraktionsinterne Meinungsbildung bliebe letztlich nur eine Annahme: Nämlich, dass Abgeordnete und Fraktionen auch dadurch in ihrer parlamentarischen Unabhängigkeit unbillig berührt wären, dass nach Ende einer Legislaturperiode eine öffentliche Debatte über den Gegenstand abgeschlossener Beratungen stattfinden könnte. Von einem derart geringen Selbstbewusstsein der gesetzgebenden Gewalt auszugehen, erscheine fernliegend. Die parlamentarische Arbeit müsse und könne vielmehr ein gewisses Maß an Öffentlichkeit und dadurch bewirkter Kontrolle durch Dritte aushalten. Das freie Mandat umfasse nicht das Recht, sich nachträglich einer öffentlichen Diskussion über die Nutzung der Wissenschaftlichen Dienste entziehen zu können. Eine solche Rechenschaftspflicht sei gerade Ausdruck des Mandats in der repräsentativen Demokratie, die durch die politische Verantwortung der Abgeordneten gegenüber den Wählenden und der Rückkopplung zwischen ihnen und dem Wahlvolk gekennzeichnet ist.

Dem Anspruch stehen keine Ausschlussgründe entgegen

Dem Anspruch auf Informationszugang stünden auch keine Ausschlussgründe nach dem IZG entgegen. Der Beklagte habe vorgebracht, dass eines der Gutachten für ein vertraulich tagendes Gremium erstattet worden war. Schon die Bekanntgabe des Gutachtentitels hätte negative Auswirkungen auf die Beratungen, weil der Titel Rückschlüsse auf deren Inhalt ermöglichen würde. Das OVG war der Ansicht, dass nicht dargelegt wurde, inwieweit die Kenntnis allein des Titels eines Gutachtens geeignet ist, Beratungen zu beeinflussen, die mehrere Jahre zurückliegen.

Hinsichtlich der Titel der für die Fraktionen erstellten und bisher nicht veröffentlichten Gutachten habe der Landtagspräsident u.a. auf eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit verwiesen. Dies sei gegeben, weil im Falle der Veröffentlichung der Titel die Funktionsfähigkeit des Wissenschaftlichen Dienstes als Teil einer staatlichen Einrichtung in Gefahr sei. Nach Ansicht des OVG wurde in der Rechtsprechung bereits festgehalten, dass durch eine solche Veröffentlichung die Qualität der Arbeit des Wissenschaftlichen Dienstes nicht leidet: Die seit Jahren bestehende – weitergehende – Veröffentlichungspraxis hinsichtlich der Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste in den übrigen Bundesländern sowie dem Bund habe deren Funktionsfähigkeit nicht erkennbar beeinträchtigt.

Vgl. zu diesem Verfahren die Pressemitteilung und den Volltext der Entscheidung.